„Hallo! Freu mich sehr!“ Yoo Teo betritt aufgeräumt und im Teddymantel das Studio von Ahn Seong Jin in Seoul. Lange Zeit sprach er besser Deutsch als Koreanisch. Das ist nur eine der Besonderheiten, die den Schauspieler auszeichnen.
Die Eltern, der Vater war Bergarbeiter, kamen in den 70er-Jahren nach Deutschland. Erst nach Köln, wo Yoo Teo geboren wurde und aufwuchs, zwischendurch verbrachte die Familie ein paar Jahre in Königswinter. Sein Abitur machte Yoo dann wieder in Köln, wo die Eltern bis heute leben. Eigentlich wollte er auf die Sporthochschule gehen, Basketball war seine Passion, obwohl nicht besonders groß, wie in diesem Sport üblich, hatte er es in die Regionalliga geschafft. Doch vorher wollte er sich noch die Hörner abstoßen, ein Jahr in die USA gehen und etwas tun, das gar nichts mit Sport zu tun hat. Eine Filmschule besuchen und jobben.
Und dann passierte was?
Ich bewarb mich am Lee Strasberg Theatre and Film Institute in New York, weil ich damals Al Pacino, Marlon Brando, Robert De Niro so toll fand. Und dort merkte ich, dass ich die Emotionen, die ich beim Sport empfunden hatte, auf die Bühne transferieren konnte. Die Technik war anders, aber die Psychologie war dieselbe.
Wie war das Leben als Einwandererkind?
Ich habe mich immer ein bisschen als der Andere empfunden. Und auch unter den deutsch-gebürtigen Koreanern war ich ein Außenseiter. Ich hatte gute Freunde, aber während die in den Ferien einfach nach Korea fuhren, um Familie zu besuchen, war ich dort im Basketballcamp. Das ist vom Umgang komplett anders, als wenn man quasi als Urlaubs-Koreaner nach Korea kommt und die kulturellen Umstände mit einem Familien-Filter anschaut. Im Camp wurde man sehr grob behandelt.
Yoo Teo im ICON-Interview
Und sehr hierarchisch, nehme ich an. Sind diese Strukturen in Korea noch immer ausgeprägt?
Ja, aber in den 90er-Jahren waren sie es weit mehr. Es war sehr paternalistisch, sehr sexistisch, sehr hierarchisch, einfach krass. Doch das, was man als negative Umstände hätte betrachten können, hat mich sehr bewegt. Ich habe Erfahrungen gemacht, die ein Koreaner, der im Ausland aufgewachsen ist, unter normalen Umständen nicht gemacht hätte. In dem Sinne habe ich mich anders gefühlt.
Haben Sie auch etwas Deutsches?
Ja. In Amerika – ich habe sieben Jahre in New York gelebt – habe ich eher meine deutsche Identität gesucht. Ich merkte, meine Ausbildung und das rationale, diskursive Denken, das organisierte Handeln, wie ich meinen täglichen Ablauf gestalte, das ist schon sehr deutsch.
Empfinden Sie es als Stärke, so tief in zwei Kulturen verwurzelt zu sein?
Besonders bei „Zweitgenerationisten“ ist die Frage nach der Identität sehr kompliziert, der Kernpunkt, der einen bewegt. Man weiß halt nie, wohin man gehört. Ich finde aber heutzutage ist Identität nicht mehr kategorisierbar, sondern fließend.
Hilft Ihnen diese Auseinandersetzung bei Ihrem Beruf als Schauspieler?
Ja. Ich ahnte, dass all meine Probleme, die ich anfangs hatte in Bezug auf meine Identität, meine Berufung und Ausbildung, meine Zeit in Deutschland, New York und dann in Korea als Futter für den Schauspieler dienen würden. Das gab mir schon Selbstbewusstsein, dass das später eine tiefere Farbpalette wird.
Yoo Teo trägt einen Mantel von Valentino
Sie haben gerade eine neue Serie abgedreht, eine romantische Komödie – ein eher ungewöhnliches Genre für Sie, nach dem Erfolg beim Filmfestival 2018 in Cannes in dem Independentfilm „Leto“?
Ja, meine nächste Netflix-Serie. Eine romantische Komödie mit dem Titel „Love War“.
Was für eine Rolle spielen Sie?
Einen Schauspieler, der für seine Frauen-Phobie bekannt ist, aber gut romantische Rollen spielen kann. Dann lernt er eine Frau kennen, die eine Phobie gegenüber Männern hat. Die beiden lernen über Streitereien, sich zu lieben.
Gefällt Ihnen so eine Rolle?
Sehr. Das Genre ist nun mal sehr anstrengend, Dramatik und Melodramatik, das richtige Timing ist schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe.
Ist der hohe Anspruch an vermeintlich platte Themen ein Grund für den Erfolg der koreanischen Welle, die jetzt über die ganze Welt schwappt?
Also es gibt schon ein Erfolgsrezept, das bestimmten Kriterien folgt. Ich habe mir in den vergangenen zwei Jahren Rollen nach diesem Prinzip ausgesucht, nachdem ich 2018 das Glück hatte, mit einem nichtkoreanischen Film beim Filmfestival in Cannes und auch in Korea mehr ins Rampenlicht zu rutschen.
Wie kamen Sie eigentlich ausgerechnet zu einem russischen Independent-Film?
Ein Freund von mir, ein aus Usbekistan stammender Koreaner und Filmemacher, hatte mir von einem russischen Produzenten erzählt, der ein Biopic machen wollte über Viktor Tsoi, einen russisch-koreanischen Punkmusiker. Ich schickte mein Audition Tape, sie luden mich zum Casting ein, das erste Mal war ich für nur 24 Stunden in Moskau. Einen Monat später haben wir den Film gedreht.
Und seither läuft es mit der Karriere?
Ja, und ich kann sie modellieren.
Das heißt?
Ich überlege, wie ich mein Image als Schauspieler und auch als Star so bilden kann, dass ich meine Integrität bewahre. Also eine gewisse Marktfähigkeit habe und trotzdem als Schauspieler glücklich mit mir selbst sein kann.
Und wie fühlt sich das jetzt an?
Man spürt schon den Druck, aber man lernt damit umzugehen.
Fandom spielt in Asien eine wichtige Rolle. Es ist ein richtiger Kult, ein Geschäftsmodell für sich. Es gibt extra Events, und manche Fans schicken dekorierte Coffeetrucks zum Drehort und aufwendige Geschenke zum Geburtstag. Wie gehen Sie damit um?
Ich sehe es als Teil meiner Arbeit. Ich habe mir genau angeschaut, welche Stars in Korea gut mit ihren Fans umgehen und deren Fans wiederum eine gute Unterstützung sind. Das Paradebeispiel, würde ich sagen, ist BTS. Eine Gruppe, die nicht in das typische K-Pop-Schema fällt und sich weiterentwickelt hat. Ich habe mir gedacht, so agiere ich auch.
Das bedeutet?
Ich kommuniziere über Instagram direkt mit meinen Fans, zeige in meinen Storys zum Beispiel, dass ich die Geschenke bekommen habe und bedanke mich so.
Es gibt viele Stars, die schlagartig extrem populär sind und dann eiskalt von Kritik erwischt werden.
Ein Angstfaktor spielt immer mit. Man muss sehr vorsichtig sein mit seinen Meinungen.
Hatten Sie schon mal einen Shitstorm?
Nein, bisher nicht. Ich bin da ganz klar, sage das, was ich zu sagen habe. Eine Fanbase und gutes Aussehen sind wichtig für Erfolg. Das Wichtigste ist aber immer noch, ein guter Schauspieler zu sein.
K-Culture wird inzwischen global wahrgenommen und respektiert. Man spricht von der koreanischen Welle, ist das eigentlich respektlos?
Es ist eher ein Ozean. Inhaltlich war und ist die Qualität immens. Aber der Westen war immer besser aufgestellt.
Und jetzt?
Ich habe von 2002 bis 2008 in New York gelebt und auch die Entwicklung von Netflix beobachtet. Die Qualität koreanischer Serien und Filme war schon vor 15, 20 Jahren so super, dass ich mich immer wunderte, warum sich das keiner in Europa oder Amerika ansieht. Doch mir war klar, dass sich das mit dem Streaming-Konzept ändern würde. Deswegen bin ich nach Seoul gezogen. Ich wollte lieber erst einmal der „lonely wolf“ in Korea sein. Meine Freunde dachten, ich sei verrückt. Weil der Weg hier nicht einfach ist, schon gar nicht vor 15 Jahren. Aber es hat sich ausgezahlt.
Einsamer Wolf als Koreaner in Korea?
Damals ja. Vor allem als kreativer Mensch und Schauspieler. Korean American ist eine ganz andere Identität. Ich kenne in meiner Generation keinen deutschstämmigen koreanischen Schauspieler. Mittlerweile ist das ein Asset, vor allem in Amerika, ich bin halt Europäer mit einer anderen Erziehung und Ausbildung. Dazu kommt, dass ich jetzt auch „hot“ in Korea bin, die verschiedenen kulturellen Fäden laufen jetzt alle zusammen. Ein großes Glück.
Dass des Tüchtigen und Fleißigen, oder?
Nun, ein Jahr vor dem Cannes-Debüt habe ich meiner Frau gesagt, es sei möglich, dass es nicht funktionieren könnte und ich als Straßenartist mein Geld verdienen müsste. Wenn sie damit zufrieden wäre, könnten wir zusammenleben.
Auch das hat offenbar funktioniert.
Ja, wir leben noch zusammen, glücklicherweise.
Ihre Frau ist die Konzeptkünstlerin Nikki S. Lee. Ihre persönliche Geschichte taugt auch zu einem Serienstoff. Sie verliebten sich, als Sie eigentlich auf einem anderen Date waren. Wobei es darin generell auch immer um gesellschaftliche Themen geht. Man kann viel über die Entwicklung, Auseinandersetzungen, Hierarchien der koreanischen Gesellschaft und die konfuzianische Macht der Älteren lernen.
Und den sozialen Clash. Kein anderes Land hat wohl so viele extreme Unterschiede in wenigen Jahrzehnten erlebt.
Und auch so gelitten in der Geschichte.
Ja. Ökonomisch bis in die 90er-Jahre. Die krassen Gegensätze und die Generationenwechsel, das spiegelt sich in unseren Familien, auch bei meinem Vater und meinen Großeltern. Ich habe das alles selbst miterlebt, was man in diesen Serien sieht. Es ist schon interessant, dass das, was für mich Alltag war, für andere als Entertainment dient. Ich denke, dass Koreaner so gut sind im Storytelling, alles so dramatisch gut zu verbinden und zu umfassen und irgendwie ein Happy End daraus zu machen, weil Koreaner Leid verstehen.
Aber darin nicht versinken?
Genau. Weil Koreaner Leid und Unfairness kennen und verstehen. In dieser Unfairness aber trotzdem Menschlichkeit finden müssen.
Ihre Eltern sind immer in Deutschland geblieben?
Ja, meine Mutter ist mittlerweile eingebürgert. Sie sind glücklich da. In Korea habe sich, sagen sie, so viel verändert. Sie vermissen es, aber fühlen sich in Deutschland wohler.
Ein guter Tag, wie sieht der aus?
Ich fange mit ein bisschen Dehnen und der „Tagesschau“ an. Ja, ich schaue jeden Morgen „Tagesschau“ über YouTube (lacht). Manchmal noch die „Tagesthemen“ mit Ingo Zamperoni, dann koreanische Nachrichten. Ein gutes Mittagessen mit meiner Frau. Und nachmittags und abends ein guter Dreh.
Und wie sieht ein guter Drehtag aus?
Ein guter Drehtag? Viel Dramatik am Set, dann alles dalassen, schlafen gehen in den Armen meiner Frau.
Wie geht das mit der Liebe am Set? In den Dramen ist ja Küssen wahnsinnig wichtig.
Die Frage beinhaltet eine Vorstellung, der ich mir nicht bewusst war. Je nach Set und je nach Projekt war es immer anders. Wenn man wegen Licht und Kamerawinkel irgendwie mogeln will, dann mogelt man auch. Und wenn man es mehr realistisch machen kann und es eine gewisse Chemie gibt, macht man das auch. Das liegt vielleicht auch daran, dass es in Korea keine so lange Theaterkultur gibt, die auf gewissen Techniken beruht. Hier muss man sich mehr auf Instinkt und Chemie stützen.
Yoo Teo ist demnächst auf Netflix in „Love to Hate You“ zu sehen, außerdem in der Serie „Dr. Brain“ auf Apple TV und demnächst in der Serie „The Window“, die in Kooperation mit dem ZDF entstanden ist.