Frisch

The Big Blue

Schauspieler Samuel Schneider ist seit fast 20 Jahren im Geschäft. Derzeit als Bademeister im Film „Freibad“.

Neun Uhr früh an einem Montag im Hochsommer. Überall sonst läuft das Berliner Großstadtleben heiß, hier nicht: Das Sommerbad im Humboldthain wird erst in einer Stunde öffnen. Bis dahin wirkt es wie die innerstädtische XL-Version eines David Hockney Gemäldes: Die Verheißung des sich kräuselnden Wassers bricht sich an der Geometrie der Becken. Das Blau des Himmels wetteifert dagegen. Vereinzelte Angestellte schlappen über die Anlage, die von hochgewachsenen Laubbäumen umsäumt wird. Die Siebzigerjahre-Jahre-Flachdach-Umkleidebungalows sind zwar die nicht ganz standesgemäße Verwandtschaft der modernistischen Gebäude aus Hockney’s Gemälden, verströmen dafür aber den beruhigenden architektonischen Charme des alten Westdeutschlands.

In diese Kulisse platzt der Schauspieler Samuel Schneider leicht verspätet mit einem Müslibecher in der Hand: Groß, dunkle Locken, schwarze Shorts, weißes Feinrippunterhemd und rotes Käppi. Die auffällig hellen Augen eine weitere Nuance von Blau an diesem Tag. Aus mehreren Gründen ist dieser Treffpunkt heute zwingend: Soeben ist Schneider in Doris Dörries neuem Film „Freibad“ als Bademeister beziehungsweise als einzige männliche Person in einem Frauenbad zu sehen, in dem das Frausein Tag für Tag aufs Neue ausgehandelt wird und welche Regeln es dabei zu beachten, beziehungsweise welcher es sich zu entledigen gilt.

Dafür recherchierte der Schauspieler für die Rolle hier im Humboldthain vor Ort, interviewte einen altgedienten Berliner Bademeister. Der Job, fand er heraus, verlange Übermenschliches. Neben Leben retten, Streit schlichten und alles im Blick haben, werde man für die Badegäste zum Katalysator: „Alle Leute kommen mit ihren Problemen an, nur weil man eine Uniform trägt“, lernte er. „Die sagen sogar Sachen wie: ‚Ey, die Bäume sind scheiße.‘“ Trotzdem dürfe ein guter Bademeister niemanden bloßstellen:

 

„Man muss immer erst einmal ja sagen und die Probleme einer Person annehmen.“

Seit seiner Kindheit ist der 27-Jährige selbst Teil des diversen Besuchergemischs, das in dieses Weddinger Schwimmbad jeden Sommer einfällt und deren Geschichten eine Herausforderung für jeden Drehbuchautor wären. Ein Schauspieler mehr oder weniger fällt hier jedenfalls nicht weiter ins Gewicht: Hier schwimmt der Anwalt vom Prenzlauer Berg morgens um sieben, bevor er in die Kanzlei geht oder die ältere Dame mit onduliertem Haar und Voll-Make-Up neben dem tätowierten Chefkoch und den Kindern, deren Eltern sich keinen Urlaub leisten können. Manche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wiederum wechseln abends ins Nachtleben und arbeiten in Clubs wie dem „Berghain“. Würde man zudem die Pässe am Eingang kontrollieren, könnte man vermutlich die Vereinten Nationen nachspielen.

Schneider, die deutsche Mutter Sozialpädagogin, der türkische Vater ehemaliger Surflehrer, ist an der Straße, an dem dieses Schwimmbad liegt, aufgewachsen, zog dann einige Male in dieser Gegend um: „Wedding“, sagt er, „ist Heimat“. Derzeit lebt er in Zürich, noch bis Ende des Jahres macht er dort seinen Master Theater an der Hochschule. Dazwischen liegt bereits jetzt eine Karriere, an der andere Kolleginnen und Kollegen unter Umständen ein ganzes Leben lang basteln: Mit acht Jahren geht er mit einem Freund zu einem Schauspiel-Coaching. Dort entdeckt man sein Talent, fördert ihn, und bald spielt er zwei Jahre lang unter Robert Wilson am Berliner Ensemble.

Es folgen Filme wie „Boxhagener Platz“ von Matti Geschonneck, „Exit Marrakech“ von Caroline Link oder Detlev Bucks „Asphaltgorillas“. Neben „Freibad“ ist er derzeit in der französischen Serie „Toutes ces choses qu’on ne s‘est pas dites“ an der Seite von Jean Reno und Alexandra Maria Lara zu sehen, die international auf Starzplay läuft. Warum also überhaupt zurück an die Uni? „Hier arbeite ich an eigenen Projekten, lerne, wie man sie finanziert, produziert und auf die Bühne bringt.“

Von Anfang an war die Schauspielerei für Schneider kein Hobby, sondern der Job und das Ticket raus aus der Welt, die für Weddinger Jungs, bei denen es zu Hause schwierig ist und in der Schule auch, oft nicht so viel vorgesehen hat – außer vielleicht noch ein paar Probleme mehr mit zunehmendem Alter: „Ich habe viel gearbeitet und oft während der Schulzeit oder in den Sommerferien gedreht. Mir hat die Schauspielerei viele Dinge ermöglicht, die sonst nicht drin gewesen wären. Ich habe mir einen Gameboy gekauft, Schlagzeug gespielt und konnte verreisen“, erzählt er.

Er selbst hat sich beruflich dahin katapultiert, wo all die Milieu-Zuschreibungen und Klischees nicht mehr greifen. „Mir ist es wichtig, meinen Master of Arts in Theater zu beenden, ich habe mich sonst immer für die Arbeit entschieden und das ist jetzt die letzte Möglichkeit auf einen richtigen Abschluss.“ Ende des Jahres wird er ihn mit Schweizer Brief und Siegel haben. Im Moment denkt er über seine Abschlussprüfung nach: Ein Ein-Mann-Bühnenstück, in dem er sowohl Produzent, Regisseur als auch Darsteller sein wird. Und plötzlich stellen sich neue Fragen:

„Was kann ein weißer, heterosexueller Cis-Mann alleine auf der Bühne heute noch sagen? Vielleicht sollte ich auch gerade mal gar nichts sagen“, überlegt er.

 

 

Hier sitzen wir nun im inzwischen brütend heißen Weddinger Sommerbad, umgeben von Badegästen, leicht ermattet an einem winzigen Tisch – aber gedanklich wirds erfrischend. Was kommt denn als Nächstes, wenn die Wunderkind-, Wütender-junger-Mann-Phase abgeschlossen ist? Und was, wenn das, was da kommen könnte, nicht nur einen selbst, sondern gleich das gesamte Geschlecht mit betrifft? Und damit auch die Art von Rollenangeboten, die Männern wie Schneider in Zukunft gemacht werden?

Im Film von Dörrie wird dieses Thema angerissen: Der Bademeister und ehemalige Profisportler, der für Ordnung sorgen soll, allein unter Frauen, gleichzeitig dem vermeintlich feindlichen Lager angehört und dessen männliche Körperlichkeit zusätzlich für sexuelle Schwingungen sorgt. Auch in der echten Welt knallen diese und noch viele andere widersprüchliche Botschaften und gesellschaftliche Entwicklungen aufeinander.

„Es ist eine spannende Zeit“, sagt Schneider. Mit seinen Freunden rede er viel darüber. Manche von ihnen sähen sich immer nur als Opfer. Andere seien „Keksfeministen“, die „die ganze Zeit Applaus“ für ihren Dienst am Feminismus haben wollten. Beides findet er „unerträglich“. Und die Drehbücher kämen auch noch nicht so ganz hinterher. Im Moment gäbe es viele, in denen die Frau im Mittelpunkt stehe, umgeben von einem Panoptikum toxischer Männlichkeit: „Das ist mir zu eindimensional“, bemerkt er. „Mich interessieren Figuren, die Hoffnung machen und eine neue Perspektive aufzeigen. Zum Beispiel heterosexuelle Männer, die ihre weibliche Seite zulassen. Oder Figuren bei denen ‚männliche‘ oder ‚weibliche‘ Seiten gar kein Thema mehr sind.“

Samuel Schneider jedenfalls macht sich auf den Weg. Und manchmal kommt er dabei wieder am Start vorbei: Bei den Dreharbeiten mit Jean Reno in Berlin saß er vor zwei Jahren am sogenannten Gipsdreieck, einem kleinen Park in Mitte, wo die Bar „Hackbarth’s“ ein letztes Denkmal dafür ist, dass man sich hier bis vor einigen Jahren draußen nicht zum Champagner-Trinken traf oder sich in den engen Straßen sorgte, dass der SUV nicht in die Parklücke passt. Hier befindet sich die Kinderschauspielagentur von Schneider. Damals wurden am Gipsdreieck die Probeaufnahmen gemacht und „die alten Ossis hingen am Fenster und pöbelten: ‚Ey, ihr Pädos‘“, erinnert er sich und lacht.

Während also der junge deutsche Schauspieler mit der alten französischen Schauspielerlegende dort auf seinen Einsatz wartete, kam Schneiders ehemaliger Kinderagent mit seinem Hund vorbeigelaufen, und „irgendwie schloss sich in dem Moment ein wahnsinniger Kreis“. Vielleicht eher ein Kreisverkehr. Egal welche Ausfahrt Schneider daraus nimmt, er wird weiter Spuren hinterlassen.

 

Text
Heike Blümner
Video
Bilder
Thomas Meyer