Wir wollten mal etwas ausprobieren, wir nennen es ICON°Motion. Eine Reportage in Film und Wort von einem Happy Place. Eine kleine, glückliche Auszeit. Also fuhren wir zum Saisonauftakt nach St. Moritz. Wir, das sind Inga Griese, Sara Krüger und Nico Kawohl mit der Kamera.
Am Paradies

Die Wette galt. Der Überlieferung nach saß Johannes Badrutt im Herbst 1864 mit vier englischen Feriengästen in seinem „Kulm Hotel“ in St. Moritz vor dem Kamin. Badrutt schwärmte vom Winter in St. Moritz: Sonne, eine Schneelandschaft wie aus dem Bilderbuch und tagsüber milde Temperaturen. Kurz: „Ein Paradies auf Erden“. Die Engländer glaubten ihm kein Wort. Winter. Das war kein Begriff in ihrem Urlaubsvokabular. Der Hotelier schlug eine Wette vor: Sie sollten im Dezember wiederkommen. Wenn sie es nicht genießen würden, erstatte er ihnen die Reisekosten.
Die Engländer schlugen ein, kamen im Dezember wieder – und blieben bis Ostern. So war das damals. Und der Wintertourismus im Engadin war geboren. Denn die Freunde kamen auch, immer mehr Engländer verbrachten ihre Ferien in St. Moritz, führten neue Sportarten ein: Bob, Skeleton und Cresta. Sportsgeist gehört seither zur DNA. Im weitläufigen Kulm Park wurden 1928 und 1948 die Olympischen Winterspiele eröffnet. Bis heute beherbergt das „Kulm Hotel“ den St. Moritzer Toboganning Club, den Cresta Club, den Olympia Bob Run St. Moritz–Celerina.








Die Wette gilt: 158 Jahre später ist am zweiten Wochenende im Dezember (zumindest am Freitag) der Himmel sehnsuchtsblau, die Berge sind wattig weiß, der See noch nicht erfroren, die Luft ein Traum. Wir können leider nicht bis Ostern bleiben, aber knapp drei Tage sind heute ja das, was früher drei Monate waren. Engländer sind bestimmt auch irgendwo, aber vor allem Italiener. Es sind Feiertagsferien bei unseren europäischen Nachbarn, die auch längst das Engadin als Freizeitziel ins Herz geschlossen haben, auch Giorgio Armani, Gildo Zegna, Moncler Chef Remo Ruffini zum Beispiel haben hier eigene Betten. Zum Saisonstart sind viele der Modeleute da. Armani lädt zur Schmuck- und Uhrenpräsentation im „Kulm“ und zur „Trunk Show“ in einem Freiluft Unterstand im Badrutts Park vor dem alten Stadion. Dort fanden einst die olympischen Wettkämpfe im Eisschnelllauf, Eishockey und Eiskunstlauf statt. Inzwischen ließ der Designer Rolf Sachs das lange ungenutzte Stadion renovieren und wohnt darin.












Die Sachs Familie ist dem Ort schon lange verbunden, der 2011 verstorbene Gunter gewann bereits 1959 als Mitglied des St. Moritz Bobsleigh Club den Junioren-Meistertitel im Zweierbob; gründete den legendären „Dracula Club“, der bis heute eine handyfreie Privatsphäre beim Feiern verspricht. Da steht man dann auch mal neben einem ganz entspannten Fiat-Chef John Elkann. Dessen Großvater Gianni gehörte wie Sachs zu jener internationalen Clique der letzten wahren Playboys. Der Deutsche aber prägte in den 50er und 60er Jahren das mondäne Image des Ortes wie kaum ein anderer zuvor. Geld war für den charismatischen Erben, Mathematiker, Feingeist und Kunstexperten vor allem Mittel, eben nicht zum Zweck möglichst viele Frauen zu vernaschen, sondern für Entertainment auf höchstem Niveau. Sport und Spielen, das war Sachs. 1969 bezog er als Dauermieter den Turm vom „Palace Hotel“, nachdem er die Restaurierung nach einem verheerenden Feuer 1967 finanziell unterstützt hatte. Er stellte die Räumlichkeiten befreundeten Künstlern wie Andy Warhol, Yves Klein, Allen Jones, Roy Lichtenstein, die damals noch kaum einer auf dem Schirm hatte, wie eine Leinwand zur Verfügung, es wurde die spektakulärste Herberge überhaupt. Dass er später dann nach Gstaad zog, hatte mit der Fürsorge für seinen jüngsten Sohn zu tun, der dort behütet aufwachsen konnte.
Die Dommermuths, die hier auch seit je ein Haus haben, bitten zum Saisonstart erst zum Lunch auf den Berg ins „Paradiso“ das jetzt vom „Badrutt’s“ bespielt wird, einen Gucci Space eingerichtet hat und seinen Namen völlig zu Recht trägt. Auch wenn der Schneenebel an diesem Tag so dicht ist, dass sich Panorama eher auf den Serviertabletts abspielt. Abends dann ein großes, aufregendes, völlig privates Fest im „Dracula Club“. „Einfach so und endlich mal wieder, weil es wieder möglich ist“, sagt Judith Dommermuth, die mit ihrer Leasurewear Marke „Juvia“ die passenden After-Ski-Kuschelsachen liefert.
Man sieht auch viel Pelz, aber niemand trägt den merkwürdigen Nerz Heiligenschein über der Stirn, wie man es von den Fotos vom „Polo on Ice“ kennt. Das im Februar doch wieder stattfinden kann, endlich war der See doch noch so zugefroren, dass Mitte Januar die offizielle Erlaubnis auf den letzten Organisationsdrücker erteilt werden konnte. Mit St. Moritz verhält es sich ein wenig wie mit Kampen auf Sylt. Das Klischee als Happy Place von „Schön und Reich“, auch dort geprägt in den legendären Gunter Sachs-Zeiten, trägt wie der See nur begrenzt. Klar, wenn „Wetten dass..?“ Star Michelle Hunziker morgens mit ihren Kindern und wohl einer Nanny am üppigen Buffet im „Hotel Kulm“ zugreift, dann liegen beide Begriffe nah. Und sie ist nicht die Einzige im Saal, die diesen Kriterien entspricht. Aber die Italiener bringen jene Allure mit, die den eigentlichen Geist von St. Moritz ausmacht: Sie sind ganz offensichtlich hier aus sportlichen Gründen. Vor dem Schaulaufen kommt das Skilaufen. Oder Langlaufen. Jedenfalls etwas, für das man reelle Stiefel und Thermowäsche darunter trägt.


Für Après-Ski ist natürlich gesorgt, die Luxusboutiquen sind alle vertreten, Louis Vuitton baut eigens für die Saison neben dem „Kulm“ einen Pop-up-Store auf, der an eine große Jurte erinnert. Aber es gibt halt auch ein „wahres“ Dasein hier, vor dem „Cashmere House Lamm“, wo es den schönen St.Moritz Hoodie von Bally gibt, verkauft der Frauenverein St. Moritz am frühen Abend warme Getränke und Kekse für einen guten Zweck. Wir sind auf dem glatten Weg zur Galerie Hauser & Wirth gegenüber vom „Palace Hotel“ und neben Dior. Hier hat Mario Weichselmann grad die „Bar Roth“ eröffnet. Mario, wie alle ihn nennen, ist Geschäftsführer vom „Dracula Club“, Initiator des Super Mountain Teams, das das Forum Paracelsus wieder belebt. Der junge „Mover and Shaker“ von St. Moritz.

Die „Roth Bar“ von Mover and Shaker Mario Weichselmann in der Galerie von Hauser & Wirth ist ein neuer Hotspot

Bei dem Namen Pucci denkt man ja eher weniger an Winter. Doch Emilio Pucci hat eben nicht nur sein Capri zu einem unverkennbaren Look verarbeitet. Die erste Kollektion, die er entwarf, waren Skianzüge. Und so hat auch der Luxus Onlinehändler Mytheresa.com gemeinsam mit der Pucci Designerin Camille Miceli Kunden und Influencer zum bunten Wochen ende und Launch der „La Famiglia“ und dem Revival der „Pucci x Fusalp“Kollektion in die Schweizer Berge geladen.
Man darf bunt wörtlich nehmen. Die Outfits mit den fröhlichen psychedelischen Wellen schwappen durch den Ort, am Berg entpuppen sie sich als geradezu ideal. Weil die Materialien heute so gar nichts mehr zu tun haben mit den Michelin-Männchen Anzügen früherer Jahre, so wie auch die Leih-Skistiefel plötzlich so bequem sind, dass man sie zum Bummeln tragen könnte. Vor allem aber entpuppen sich die Leuchtfarben auf der Piste ganz sinnvoll im Schneegestöber. Und man sieht schon mal schnittig aus, egal wie man den Berg herunter eiert. Wobei die Erfahrung schön ist: Viele Jahre stand ich nicht auf Skiern, die passenden Muskeln sind in Vergessenheit geraten, aber der Körper weiß noch, wie es geht. Quasi doppelter Blindflug. Denn es hört gar nicht auf zu schneien. Aber ist es nicht das, was wir im Winter hoffen? Auch das Glück kommt doppelt daher: als Gefühl und als Schutzengel. Also noch mal in den Lift. Ich verpasse glatt das Käse Fondue im „White Marmot“.
Am Abend werden wir mit kleinen Bussen über viele Kurven hinauf zur Party gefahren, die Hütte ist komplett puccisiert, selbst der Tannenbaum (es ist ja Dezember) trägt Muster. Vor mir steigt eine Kundin im knöchellangen Pucci-Party-Look aus, sieht toll aus, auch die Riemchen High Heels. Sie konnte ja nicht ahnen, dass man vom Auto noch gut 50 Meter durch den Schnee stapfen muss. Aber: Passt schon. Alles.







Am Tag zuvor, bevor wir zum „Paradiso“ (im jetzt beheizten! Sessellift) fuhren, haben wir Station bei Florian Thöni im „Suvretta House“ gemacht. Noch so eine Legende. Thöni, auch ein guter, freundlicher Typ, ist Marketing Manager dort und führt uns herum und durch die Geschichte. Die begann mit einem Missverständnis.
Anfang des 20. Jahrhunderts ließ der englische Schiffsbauer Edwards für seine Frau die „Villa Suvretta“ vom Schweizer Architekten Karl Koller bauen. St. Moritz war ja inzwischen Hotspot unter Briten. Doch seine Frau war keinesfalls begeistert. Also verkaufte Edwards das Anwesen an seinen Freund Charles Sidney, der mit Diamantenhandel zu Vermögen gekommen war. Dem wiederum gefiel es so gut, dass er 4,5 Hektar Land dazukaufte. Irgendwann kam er dann mit dem Hotelier Anton Bon ins Gespräch und Geschäft, im April 1911 wurde mit dem Bau des prächtigen „Suvretta Hotels“ begonnen. Es blieb stets in der Familie der Bons. Und bei aller Grandezza auch Familien-Hotel. Generationen buchen immer wieder.
Zur Ausstattung des Hauses gehört eine Limousine für den Gästetransport. In Racing Green. Eine Referenz an die Briten. Und den Sportsgeist. Im Umkleideparadies im Keller hilft Patrick Salutt einer Schülerin in die schweren Stiefel. Er stammt aus dem Engadin, lebt als Maler in Hamburg. Und ist Skilehrer in der Saison. Im Winter, wenn die Wette gilt.
