Im Gespräch mit Sam Riley

Der richtige Mann

Hinter jeder starken Frau steht ein Mann, der sie liebt: Dann sind beide stark. So war es bei Marie und Pierre Curie. Der Brite Sam Riley spielt im Kino den Wissenschaftler.  Inga Griese sah sehr gern zu

Im zweiten Anlauf steht die Zoom-Verbindung, Interviews in Zeiten von Social Distancing. Sam Riley hat die männliche Hauptrolle in dem Film „Marie Curie – Elemente des Lebens“ von Marjane Satrapis, der nun in die Kinos kommt. Er ist Pierre, der Mann der zweifachen Nobelpreisträgerin, die große Liebe ihres fokussierten Lebens. Es ist ein Film mit starken Bildern, subtilem Pathos, ohne Kitsch. Riley sitzt beim Interview am Schreibtisch, im Hintergrund hängen an einem langen Faden sehr viele schwarze Sonnenbrillen nebeneinander. Kunst? Nein. Er lacht. „Meine Tarnung.“ Worte voller Selbstironie. Sam Riley ist ein bekannter Schauspieler mit einer bekannten Schauspieler-Ehefrau, Alexandra Maria Lara. Aber sie vergeuden keine Zeit mit Allüren. Er nimmt einen Schluck aus einem Rotweinglas. Höh? Jetzt? Und am helllichten Tag? Es ist Saft. So fängt ein Gespräch gut an. Und es bleibt gut. Unverstellt, offen und viel länger, als hier Platz ist.

ICON: Auch dieser Film musste verschoben werden, aber das Timing jetzt scheint besonders passend. Zwei außerordentliche Wissenschaftler widmen ihr Leben der Forschung, das, was sie entdecken, bringt Fortschritt und Heilung, aber auch Vernichtung. Wir haben in den vergangenen Wochen ja quasi das Genre Wissenschaft neu entdeckt.

Ich weiß nicht, ob das in Deutschland auch so war, aber in den letzten Jahren neigte man dazu, dem Fachwissen keine Beachtung zu geben. Ich glaube, es war der britische Bildungsminister Michael Gove, der sogar sagte: „Wir haben genug von Experten!“ Und doch ist die Wissenschaft so wichtig. Ich wusste ziemlich wenig über Marie und Pierre Curie, in der Schule wurden sie nicht weiter durchgenommen.

Im Kinofilm „Marie Curie – Elemente des Lebens“ spielt Sam Riley (rechts) den Ehemann Pierre Curie

Sie spielen Pierre, den liebevollen und unterstützenden Ehemann, was in der damaligen Zeit nicht gerade die Regel gewesen ist. Warum haben Sie ihn spielen wollen?

Es gibt immer verschiedene Gründe, warum man eine Rolle annimmt. Ich kannte Marjane, die Regisseurin, weil sie vor zehn Jahren mit Alexandra in der Jury in Cannes war. Ich mochte sie sehr – eine faszinierende, sehr starke Frau. Und Rosamund Pike, die Marie spielt, ist eine der feinsten britischen Schauspielerinnen. Angeblich waren einige meiner Kollegen nicht so daran interessiert, vielleicht weil sie nicht scharf drauf waren, die zweite Geige mit einer Frau in der Hauptrolle zu spielen.

Sie stehen doch keinesfalls im Schatten.

Nein, genau. Marie hat ein Buch über ihren Mann geschrieben, dass ich in der Vorbereitung las. Seine Eltern standen sich sehr nahe und haben sich gegenseitig sehr unterstützt. Und obwohl er ein brillanter Kopf war, hat man das in der Kindheit nicht so gesehen, und die Eltern haben ihn nicht unter Druck gesetzt, sie ließen ihn in seinem Tempo lernen. Er war von Marie angezogen, da war keine Spannung, er konnte das eine besser, sie das andere, und sie haben sich zusammengetan, um weiterzukommen. Und als sie ihm den Nobelpreis angeboten haben, hat er ihn abgelehnt, solange sie nicht auch anerkannt wurde. Es gibt eine Szene, in der sie sich streiten, aber das war sozusagen eine filmische Entscheidung, damit sie nicht zu turteltaubenhaft rüberkommen.

Marie wirkt oft sehr schroff, das macht sie aber auch interessant, oder?

Ich bin auch mit einer starken Frau verheiratet. Als wir uns kennenlernten, hatte sie bereits 15 Jahre Erfahrung und war in Deutschland eine bekannte Schauspielerin, während ich ein Newcomer war. Insofern war ich es gewohnt, mit ihr auf dem roten Teppich zu stehen und nichts gefragt zu werden. Ich habe mich nicht bedroht gefühlt, es gibt keine direkte Konkurrenz.

Schauspieler-Ehefrau Alexandra Maria Lara und Sam Riley

Das ist vermutlich entspannter so.

Als wir uns trafen, war Alex etwas erschöpft von ihrer Prominenz, und ich war vorsichtig, ich wurde mit einem Knall in das Business hineinkatapultiert – und hatte sofort das Gefühl, alle wollen Geld mit mir machen. Dabei bin ich eher in der Musikindustrie zu Hause. Alex und sind ähnlich ambitioniert, lieben, was wir machen und sind im Einklang. Ich schlug nicht vor, wir sollten nach LA gehen, das hat ja bekanntlich mit vielen Paaren auch nicht geklappt.

Stattdessen leben Sie in einem idyllischen Stadtteil von Berlin. War wohl ganz gesund.

O ja! Und dass ich England verlassen habe, ist es auch.

Am Ende des Filmes ist klar: Bei allem Ruhm, die Liebe ist das, was zählt.

Ja. Ich denke, die Familie war auch für Marie Curie das Wichtigste und sie hatte sehr zu kämpfen, als Pierre auf so tragische Weise starb. Alexandra und ich kommen aus Familien, in denen die Eltern noch zusammen sind, was selten ist für Kinder, die in den 70ern und 80ern aufgewachsen sind. Auch meine Großeltern sind erst 2019 ziemlich kurz nacheinander gestorben, sie waren über 90. Ich denke, es ist einfacher, durch schwere Zeiten zu gehen, wenn man jemanden an seiner Seite hat.

Eine Sache, die uns Corona ja auch gelehrt hat.

Ich habe noch nie so viel mit meiner Mutter telefoniert, ich wollte mich immer vergewissern, dass es ihr gut geht. Und wir hatten eine schöne Zeit alle drei zusammen, Alex, unser Sohn Ben und ich – zwölf Wochen am Stück, das wird vermutlich nicht wieder passieren. Wobei der Gedanke, wie es in manchen Familien zuging, kaum zu ertragen ist.

Marie Curie wurde diskriminiert, weil sie eine Frau ist. So sollte sie zunächst nicht den Nobelpreis bekommen. Sind Sie je an unsichtbare Grenzen gestoßen?

Mir sind nur Kleinigkeiten passiert und eher von der lustigen Sorte. Aber das kann man nicht mit Diskriminierung aufgrund von Rassismus oder Homophobie vergleichen. Mein Akzent war gewissermaßen ein Problem, zuerst in der Privatschule, die ich besuchte, dort war mein Akzent nicht schick genug. Und später in Leeds, wo ich herkomme, sprach ich nicht so wie die anderen und kam mir ein wenig wie ein Verräter vor. Lange fühlte ich mich nirgendwo wirklich zu Hause und war froh, als ich dann hier nach Berlin gezogen bin.

Und beruflich?

Im Filmgeschäft hat der ganze Casting Prozess etwas Diskriminierendes. Größe, Hautfarbe, Herkunft oder einfach nur der Regisseur, der sagt „Nein, nicht der…“, weil man keinen Sixpack hat oder das richtige Gesicht. Es gibt eine inhärente Form von Diskriminierung bei jedem Casting, das ich besuche. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber es ist schon komisch, und ich frage mich immer wieder, wie man dieses Problem lösen könnte. Alexandra ist da sehr „tough“, wahrscheinlich, weil sie als Kind von Rumänien nach Deutschland kam, kein Deutsch sprach…

 

Das Paar Riley-Lara stand auch schon mal für ICON gemeinsam vor der Kamera

Wie war Ihre Kindheit?

Ich war sehr determiniert, zu machen, was ich wollte, und ich wusste recht früh, was das war. Ich träumte davon, ein Rockstar zu werden…wie jeder andere auch in einer gewissen Phase, nur, dass ich dem etwas näher gekommen bin. In meiner Band damals war ich der Frontman, ich war immer derjenige, der bereit war, sich zum Narren zu machen.

 

Der Film zeigt auch, dass vor allem wir selbst verantwortlich sind für unser Leben.

Nun, manche müssen mit unfairen Gegebenheiten klarkommen und das macht es nicht einfach zu pauschalisieren. Vor zwei Jahren habe ich aufgehört zu trinken. Ich habe damals Verantwortung übernommen und ich war noch nie so glücklich, weil ich wieder die Kontrolle hatte. Und durch die Vaterschaft ist mein Leben „zweitrangig“ geworden. Je mehr Kontrolle und Verantwortung ich übernommen habe, desto glücklicher bin ich geworden.

Sam Riley

Was werden Sie als Nächstes machen?

Ich schreibe wieder Musik. Vor zwei, drei Jahren hatte ich eine längere Phase ohne Arbeit, das war nicht ganz meine Entscheidung, und ich fragte mich, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Ich war ziemlich deprimiert. Und Alexandra sagte „Warum versuchst Du nicht, wieder Musik zu schreiben?“ Wir kauften ein Klavier und es hat mir viel Spaß gemacht, etwas zu schaffen, was nicht mit einem konkreten Engagement zu tun hat. Ich weiß noch nicht, ob ich etwas daraus machen werde, ich diskutiere noch mit mir selbst, ein Teil von mir hat noch etwas offen mit der Musikindustrie und der andere Teil hat kein Verlangen danach, zusätzlich in der Öffentlichkeit zu sein.

 

Und Filmen?

Ich schreibe Kurzfilme. Die Inspiration kam von einem Regisseur, mit dem ich arbeite, Ben Witheley. Ich habe mit ihm 3 Filme gemacht, den letzten, Rebecca, haben wir letztes Jahr für Netflix gedreht. Er sagte „Du lebst mit einem Filmstar, Du hast ein iPhone 6 mit 4K-Auflösung und Du hast Ideen, Du kannst Filme machen, warte nicht darauf, die Erlaubnis dafür zu bekommen.“

 

Text
Inga Griese
Foto
Edith Held
Haare/Make-up
Sonja Shenouda
Styling
Daniel Sartore