„No rules, our game!“

Für alle, die jung und ungeduldig sind

„Eigentlich wären wir jetzt in Genf“, seufzt es noch immer wehmütig durch die Uhrenindustrie. Dabei haben viele ganz vergessen, dass der klassische Messekalender mit dem Genfer Salon in Januar und der Baselworld im Frühjahr schon vor Corona hinfällig war. Immerhin füllen jetzt ein paar Spitzenmarken die Wartezeit auf die, natürlich rein virtuelle, „Watches & Wonders“-Show im April und präsentieren ihre Neuheiten: nicht etwa schüchterne Weiterentwicklungen, sondern in Gestaltung wie Technik entschiedene Fortschritte.

Das gilt allemal auch für Roger Dubuis. Die Manufaktur mit den flamboyanten Modellen unter Leitung von Nicola Andreatta hat in diesem Jahr bereits die zweite Portion neuer Werke und Designs vorgestellt: zunächst die von Grund auf überarbeitete Modelle „Excalibur Skeleton Double Flying Tourbillon“, jetzt eine „Excalibur Spider“ mit 39 Millimetern Durchmesser, für die ein verhältnismäßig zierliches Kaliber konstruiert wurde.

Das Zifferblatt der „Excalibur Spider“ wird dominiert von einem spinnenartigen Stern

„Wir haben in den vergangenen Monaten unsere Agilität trainieren müssen“, sagt der CEO, der Charakter und Entwicklung der Marke an unüblichen Maximen ausrichtet. Er sieht die Manufaktur wie einen Organismus, der sich in seinen Bewegungen der schnell ändernden Situation anpassen müsse. Bei logistischen Maßnahmen genauso wie bei den wechselnden Ansprüchen des kleinen Kundenkreises, den Andreatta seinen „Tribe“ nennt: „Eine neue Generation junger Leute – mit offenbar einer Menge Geld –, die sich anders definieren als ihre Eltern und nach Uhren verlangen, die genau ausdrücken, wie sie sein wollen. Die sind extrem anspruchsvoll – und ungeduldig.“

Für diese Klientel hat Roger Dubuis die erfolgreichen „Excalibur Skeleton Double Flying Tourbillon“, in der Szene „DFT“, zeitgemäß neu aufgestellt. „Dabei beginnen wir immer mit der Ästhetik“, so Andreatta, „2009 wollten wir massiv sein, jetzt ging es uns um eine neue Linienführung. Für die haben wir alle Kurven getilgt, die Linien gestreckt, lassen das Gehäuse leichter wirken.“ Dem folgte die Neukonstruktion des gesamten Werks, der Tourbillonkäfig zum Beispiel besteht jetzt aus amagnetischem Material, die Legierung der Aufzugsfedern sorgt für deutlich höhere Gangautonomie.

Zwei Tourbillons zum Schwerkraftausgleich: „Excalibur Skeleton Double Flying Tourbillon“

Neue Finissierungstechniken bilden die Verbindung von Technik und Optik. Sandgestrahlte, gebürstete und polierte Flächen betonen die Dreidimensionalität des skelettierten Werks und mussten auch ihren uhrmacherischen Mehrwert beweisen. Anders hätten die Kaliber nicht das Genfer Siegel führen dürfen, das für traditionelle Haute Horlogerie bürgt. Andreatta will Traditionen nicht ablegen, aber transformieren.

Bei den neuen „DFT“-Modellen kommt wieder mehr Edelmetall zu Einsatz; Weißgold gab es im Hause lange nicht. Damit setze man neben den Motorsport-affinen Uhren andere Schwerpunkte: „Dort geht es um Adrenalin, hier um Connaisseure von Oberflächen-Finish und mikromechanischer Exzellenz“, erklärt der CEO. Materialität bleibt nach seiner Überzeugung eine wichtige Botschaft. Zurzeit entsteht in der Manufaktur das „Q Lab“, in dem man an der Zukunft der Uhrmacherei arbeitet, unter anderem an neuen Legierungen.

„Metallurgie ist wichtig, nicht nur technisch gesehen. Sie hat auch immer etwas mit Magie zu tun. Wir entwickeln neue Goldlegierungen und sind die einzigen, die mit Kobalt arbeiten.“ Gleichzeitig sollen im Hightech-Labor noch nie da gewesene mechanische Finessen entstehen. Schließlich geht es ihm um neue Facetten von Extravaganz: „Licht ist ein ganz wichtiges Thema, wir haben mit Nanoröhren experimentiert, mit Leuchtmasse auf Werkskomponenten.“

Roger Dubuis hat mit dem japanischen Künstler Kaz Shirane kooperiert, der mit Lichtbrechungen arbeitet und dieses Thema auf das Modell „Superbia“ übertrug. „Solche Kooperationen werden für uns zu einem interessanten Spielplatz“, ist sich Andreatta sicher. „Unser Motto bleibt: „No rules, our game! Dafür arbeiten wir mit diesen Künstlern zusammen, die ebenfalls von der Vergangenheit inspiriert sind, aber einen anderen Weg finden, sich auszudrücken.“

Auch mit der Auswahl der Partner will Roger Dubuis eine Welt entstehen lassen, die die Mitglieder des Tribes nicht wieder verlassen wollen. „Wir haben eine Weile nach dem Wort gesucht, das diese Welt am besten beschreibt: Exzess ist der beste Begriff.“ Das könne auch negativ verstanden werden, räumt Andreatta ein, aber er meine es im Sinne der ursprünglichen lateinischen Bedeutung: ein Übertreffen jedes herkömmlichen Maßes – an technischer Qualität, aber auch an „Spaß, Verrücktheit und Freiheit.“

Dass sich immer mehr Kunden auch die Freiheit nehmen, eine eigene Uhr gestalten zu lassen, passe da schon genau. „Ich glaube, dass das oberste Luxussegment stark in Richtung Customizing drängt.“ Es gehe in seinem Segment um größtmögliche persönliche Zuwendung, um das Gefühl, umsorgt zu sein. „Deshalb ist auch der Begriff der ,Marketing Automation’ so fatal. Es gibt keine Automatisierung in Beziehungen.“

Die schwarz-rote „Pirelli“-Version mit Reifengummi von Renn-Champions

Die pflegt das Haus schon mal mit der Zusendung von rarem Cognac in selbst designten Flaschen an die 88 besten Kunden „Aber am Ende muss ich, wo immer das möglich ist, raus auf die Märkte, meine Kunden treffen und mit ihnen Zeit verbringen. Natürlich in einem viel kleineren Kreis als sonst, dafür haben wir jetzt einen noch direkteren Kontakt“, erklärt Andreatta.

Das ist umso wichtiger dort, wo man bislang auf spendable Touristen gesetzt hat und sich nun um die lokale Kundschaft bemühen muss – in Deutschland zum Beispiel. Das wichtigste Marketing-Tool sei die Mundpropaganda durch Leute, die mit uns etwas erlebt haben und davon in ihren exklusiven Zirkeln erzählen. Der Kreis potentieller Kunden nicht sehr groß: „In München sind das vielleicht 30 bis 40 Leute“, schätzt Andreatta.

Die nächste Boutiqueeröffnung jedoch findet in Asien statt, in Singapur. Aus diesem Anlass präsentiert Roger Dubuis dort schon die nächsten Neuheiten dieses Jahres, drei „Excalibur Spider“-Modelle, mit nur 39 Millimetern Durchmesser. Möglich wird dieses für das Haus wirklich zierliche Format durch ein neu entwickeltes, nur 34 Millimeter messendes Kaliber mit fliegendem Tourbillon, das RD510SQ.

Die „Spider“-Modelle sind bei Roger Dubuis stark mit dem Motorsport verbunden; die neuen Referenzen taugten auch für Frauen, die etwas Aggressives wollten, meint Andreatta und hat ins Armband der schwarz-roten „Pirelli“-Version Reifengummi von Renn-Champions einarbeiten lassen. Die neue Boutique ermöglicht als erste auch einen virtuellen Besuch.

Zu den Qualitäten von Andreattas ungeduldigem Tribe gehört ohnehin, dass er auch online kauft. Man habe in den vergangenen Wochen Stücke für 70.000, 80.000 Dollar online verkauft: „Dabei haben die Kunden die Uhren ja noch gar nicht richtig begutachten können. Natürlich dürften sie sie bei Nichtgefallen zurückgeben. Das tun sie aber nicht.“ Dazu seien unter den Käufern etliche Neukunden.

„Dieser Erfolg zeigt, wie die Welt sich ändert“, sagt der Marken-Chef. Natürlich könnten auch die Bilder aus der virtuellen Boutique kein echtes „touch and feel“ ersetzen. Aber Andreatta denkt schon weiter darüber nach, welche sinnlichen Eindrücke sich fernvermitteln lassen. Vielleicht auch das ein Fall für sein Q Lab.

 

Text
Jan Lehmhaus