Rallyes fand Heike Blümner fast so uninteressant wie Autos. Bis sie selbst eine in Frankreich fuhr. Seitdem ist nichts mehr so wie es war.
Liebe auf den ersten Tritt
Das Hochgefühl springt während der Fahrt durchs offene Fenster. Es hatte am Rand der Landstraßen im französischen Departement Seine-et-Marne gelauert. Südöstlich von Paris, wo Felder, Wiesen und Wälder verschlafene Dörfer einrahmen. Besagte Fensterscheibe bewegt sich analog. Echtes, händisches Kurbeln. So ist das im Porsche 356 C, Baujahr 1965: Der Körper muss mitmachen, nicht nur mitfahren. Nichts passiert automatisch. Kein Touchscreen, kein Surren, kein Blinken. Stattdessen Hebel und Stecker, das satte Brummen des Motors, die Vibrationen der Straße, der Geruch von Benzin und ein Schmierölfleck auf meiner Hose, von dem ich nicht weiß, wie er dort hingekommen ist. Dieses Auto zu fahren, ist eine sinnliche Angelegenheit und in dieser Szenerie fühle ich mich wie Marcello Mastrioanni und Romy Schneider in Personalunion. Auch der Blick durch die kleine Windschutzscheibe hat etwas von Autorenfilm.
„Die zwei Gesichter einer Frau“ entpuppt sich dann auch als mein Motto der Woche: Zuhause in Berlin besitze ich kein Auto. Dort bin ich meistens mit dem Fahrrad unterwegs. Und nun fahre ich in Frankreich eine Oldtimer Rallye, in einem Wagen, der ungefähr so viel kostet wie der Einsteigerpreis für eine Uhr des Hauptsponsors Richard Mille, dem ich diese Tour verdanke.
In meinen Ohren klingt das ein bisschen nach persönlichem Hochstapler-Syndrom. Was ist, wenn ich gleich in den nächsten Graben fahre? Gar einen Unfall baue?
Dazu der Name der Rallye, bei der nur Frauen mitfahren dürfen, und der bei mir innere Widerstände auslöst und diese Ängste gleichzeitig befeuert. „Rallye des Princesses“!
Ist deren Job nicht eigentlich nur zu winken? Doch so viel vorab: Der Name ist nicht Programm, die Teilnehmerinnen alles andere als prätentiös und die Veranstaltung seit 22 Jahren eine feste Größe in diesem Geschäft. Meistens führt sie von Paris nach Saint Tropez, in diesem Jahr jedoch geht es durch die Normandie an der Atlantikküste entlang. Und all diese Bedenken lasse ich an diesem Frühsommertag, als ich in Ozouer-le-Voulgis vom Hof der spezialisierten Automechaniker-Werkstatt für Oldtimer fahre, ohnehin im Rückspiegel hinter mir. Es ist Liebe auf den ersten Tritt ins Gaspedal.
Die Probefahrt, ein Anfreunden mit Auto und meiner Co-Pilotin, Ming Liu, eine Kollegin aus London, die zu allem entschlossen – und genauso ahnungslos ist wie ich. Sie wird mich in den nächsten Tagen quer durch Frankreich navigieren. Wie es sich gehört, biegen wir auf der Teststrecke an der ersten möglichen Stelle erst einmal falsch ab. Doch wie in einer guten Partnerschaft schweißt uns das sofort zusammen. Wir sind jetzt ein Team. Nach außen hin treten wir gegen 83 Autos beziehungsweise 166 Mitstreiterinnen an. Intern geht es vor allem um eines: Gesicht und Haltung wahren in Anbetracht des brikettschweren Navigationsbuches, das von nun an auf Mings Schoß liegt und uns diktiert, wo es ab sofort langgeht.
Die Rallye des Princesses ist eine sogenannte Gleichmäßigkeitsrallye. Das bedeutet, das Geschwindigkeit nicht im Vordergrund steht, sondern Taktik. Wer zu schnell fährt, bekommt doppelten Punktabzug, wer zu langsam ist lediglich einfachen. Jeden Tag werden ungefähr 300 Kilometer absolviert, die Route führt vom Place Vendôme in fünf Etappen durch den Norden und Westen Frankreichs über Le Touquet, Deauville und Dinard bis nach La Baule. Das Handy beziehungsweise Google Maps sind dabei so gut wie nutzlos – außer man würde sich total verfahren. Es geht nicht darum irgendwie oder möglichst schnell ans Ziel zu kommen, sondern auf der festgelegten Route, innerhalb einer bestimmten Zeit und Geschwindigkeit, die im Schnitt bei 40 bis 50 Stundenkilometer liegt.
Die Strecke führt zu mehr als die Hälfte über abgelegene Straßen, durch winzige Dörfer und entlang Wälder und Felder. An jedem Tag wechseln sich längere Abschnitte und solche, die nur ein paar hundert Meter lang sind ab. Jeder davon wird als Piktogramm abgebildet und muss exakt auf Zeit gefahren werden. Das bedeutet, dass Ming jede dieser Kurzstrecken mit der Stoppuhr kontrolliert und mir sagt, ob ich zu schnell oder zu langsam fahre. Außerdem gibt sie mir Anweisungen, wo es genau langgeht – und zwar vorausschauend. Bei „hier rechts“ ist es meistens schon zu spät, dann heißt es, auf schmalen Wegen einen Wendeplatz zu finden, zurückfahren und zu versuchen, die verlorene Zeit aufzuholen, ohne die geltenden Geschwindigkeitsregeln zu überschreiten. Ohne Ming wäre ich hoffnungslos verloren.
Es ist wie eine Schnitzeljagd, bei dem die verschachtelten Wege und versteckten Abbiegungen, die Kreisverkehre und Höhenunterschiede als Parcours dienen. Ming und ich tauschen permanent Informationen aus. Mit Bleifuß oder mundfaul hätten wir schon verloren. Die wichtigste Regel jedoch, ist die, die uns Amanda Mille, Tochter von Richard Mille und Brand und Partnership Director der Marke ist, mitgibt. Sie lautet: „Folge niemandem“, gefolgt von ihrem kehligen Lachen. Sie fährt in diesem Jahr einen BMW 507 mit der Nummer 1, Baujahr 1958.
Und tatsächlich: Obwohl die Autos in einem Abstand von je einer Minute zueinander losfahren, trifft man irgendwann auf der Strecke unweigerlich auf Konkurrenz, entweder weil sie oder man selbst einen Fehler gemacht hat. Die Verlockung ist dann groß, einfach der vordersten Fahrerin hinterherzufahren und nur noch halbherzig in das Logbuch zu schauen. Gleichzeitig möchte man die anderen nur noch abschütteln, aber da es nicht über Geschwindigkeit geht, hofft man auf deren strategische Fehler:
„Es fühlt sich so gut an, andere scheitern zu sehen“, bringt Ming es nach ein paar Tagen nicht-prinzessinnenhaft auf den Punkt als eine Verfolgerin hinter uns die falsche Abbiegung nimmt.
Vielleicht auch, weil unser Tag 1 der Rallye vom Scheitern handelt. Wir erreichen den Badeort Le Touquet erschöpft, aber guter Dinge…und als Vorletzte. Ein Schock: Wir waren zu langsam, zu zaghaft und haben wohl mehr auf den Ruf unserer gefüllten Blase gehört, die genau wie der Tank irgendwie zu klein zu sein scheint, als auf den der Stoppuhr. Doch aus dieser Niederlage erwächst ein Gefühl, das mir in der sonstigen Rallye meines Lebens in dieser Intensität so noch nie begegnet ist: Brennender, alles verzehrender Ehrgeiz. Nach einem Debrief durch einen Mitarbeiter, der uns genau unsere Fehler erklärt, fällt der Groschen und am liebsten würden wir gleich weiterfahren. Doch vor uns liegt die Nacht und davor das Abendessen im Speisesaal des Hotels. Ein wiederkehrendes Ereignis, wo die jeweiligen Etappensiegerinnen gekürt werden und Zeit ist, sich auszutauschen: Wie war’s bei Euch? Ehrgeiz oder mangelnder Erfolg schnurren sich dann für den Abend zur lustigen Anekdote zusammen.
Anekdotisch wurde lange Zeit auch die Beziehung zwischen Frauen und Autos abgehandelt, galt sie doch als Motiv für für Herrenwitze und Spind-Kalender. Dabei machten sich bereits zu Belle Epoque-Zeiten Französinnen wie Hélène van Zuylen, Camille du Gast oder Anne de Rochechouart de Mortmart auf, den Kontinent zu durchqueren und erfuhren sich damit einen Namen. So geschehen 1898 bei der Rallye Paris-Amsterdam-Paris, 1901 auf der Strecke Berlin-Paris, oder 1903 auf dem Weg von Paris nach Madrid, damals bekannt als “das Todesrennen”. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Ansicht durch, dass Autos im allgemeinen und Motorsport im speziellen Männersache sei.
Dabei ist bis heute geblieben. Männer geben das Steuer nur ungern aus der Hand. Wenn, dann sind Frauen bei Rallyes eher Co-Pilotinnen und auch heute sind sie dort meistens in der Minderheit: Bei der 8000 Kilometer langen Dakar Rallye (früher Paris-Dakar) zum Beispiel starteten im Januar über 4000 Teilnehmer – nur 52 von ihnen waren Frauen, davon nur 19 als Fahrerinnen, 32 als Co-Pilotin und eine Mechanikerin. Die Gründerin der Rallye des Princesses, Viviane Zaniroli, die zusammen mit ihrem Mann Patrick über Jahrzehnte viele berühmte Rallyes organisierte, so auch die Dakar-Rallye, bekam immer wieder von Frauen zu hören, dass sie gerne selbst und mehr fahren würden. So gründete sie im Jahr 2000 die Rallye des Princesses – anfangs noch ein gemischtgeschlechtlicher Event, bei dem die Frauen sich aber bald durchsetzten. In diesem Jahr zogen sich die Zanirolis aus dem Geschäft zurück und übergaben das einstige Pionier-Projekt an den französischen Groß-Organisator von Motorsportveranstaltungen Peter Auto.
Was auffällt: Auch die Teilnehmerinnen sind in der überwiegenden Mehrheit Französinnen. Das mag am Heimvorteil liegen, aber auch an einer größeren Affinität zu Rallyes. Dazu gesellen sich ein paar versprengte Amerikanerinnen, eine Kanadierin, sowie einige wenige Frauen aus Belgien, Spanien, Italien und der Schweiz. Aus Deutschland sind neben mir lediglich zwei weitere Frauen am Start. Dafür sind die Autos umso vielfältiger: Das älteste ist ein Porsche 550 Spyder, Baujahr 1957, das jüngste ein BMW Z8, Baujahr 2001. Dazwischen tummeln sich unter anderem verschiedene Mercedes-Typen, Alfa Romeos, ein Chevrolet Corvette, ein Pontiac, aber auch ein Käfer Cabriolet oder Fiat 500, beide Baujahr 1969. Alle Autos parken abends an einem zentralen Ort, der jedes Mal viele Schaulustige anzieht. Sie klatschen selbst noch für den Letzten begeistert, der nach jeder Etappe durchs Ziel fährt und durch das Fenster ein Glas Champagner im Plastikbecher gereicht bekommt.
Es ist der erquickensde Champagner, den ich je getrunken habe. Nach durchschnittlich sechs Stunden Fahrt und absoluter Konzentration weiß ich endlich, warum Motorsport als Sport gilt, wenn auch wohl keiner, der einem vom Physiotherapeuten ans Herz gelegt werden würde: Ich habe Muskelkater von der Anspannung, bin durchgeschwitzt, erschöpft und gleichzeitig euphorisiert. Meine Bandscheiben finden es jedoch nicht so lustig, fast den ganzen Tag in einem schlecht gefederten Auto in bodennaher Sitzhaltung über den Asphalt zu hüpfen.
An Tag 2 verlassen wir den Marktplatz von Le Touquet in Richtung Deauville und der Bann ist gebrochen: Ming, Herrscherin über Stoppuhr und Logbuch, dirigiert mich durch die sattgrüne Landschaft, durch hübsche Dörfer, in denen die Bewohner uns zuwinken, klatschen und anspornen. An Schlössern und Herrenhäusern vorbei bis wir irgendwann den Atlantik sehen. Am Abend haben wir uns um vier Plätze nach oben verbessert – und das, obwohl wir im Nirgendwo an einem steilen Hang mit qualmender Bremse und einem unguten Geruch in der Luft liegen geblieben sind. Ein bisschen Angstschweiß war auch dabei. Doch riesiger Zufall und Glück: Hinter uns tauchte ein Mechaniker-Wagen auf und die Helfer schoben uns einfach den Berg hinauf als wären wir ein Spielzeugauto. Ganz ohne Männer geht es also doch nicht.
Tag 3. Oh, geliebte Routine! Wir schwingen uns in den Wagen als wäre es unser Job. Jeder Griff sitzt. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob wir auch wirklich gut versichert sind. Wir sind im Flow.
Das Ziel ist Dinard, wo wir uns in der Stadt selbst, ganz kurz vor dem Ziel spektakulär verfahren und aus den Einbahnstraßen nicht mehr herausfinden. Wir sind zu erschöpft, um uns darüber zu ärgern – und trotzdem zwei weitere Plätze aufgestiegen. Dazwischen lagen verschlungene, einsame und auch uneinsehbare Wege, auf denen eine Geschwindigkeit von 40 oder 50 Stundenkilometer sich mindestens doppelt so schnell anfühlen. Wir sehen Mont Michel aus dem Atlantik aufragen wie eine Kulisse zu Game of Thrones und fahren mitten in einen Platzregen hinein, wo der Scheibenwischer auf der Fahrerseite seinen Geist aufgibt: Es ist herrlich!
Am nächsten Morgen muss ich abreisen. Es fühlt sich an als würde ich desertieren. Zusammen Rallye zu fahren, ist keine polygame Angelegenheit. Ming wird den Wagen zwei Tage später mit anderen, wechselnden Partnerinnen in La Baule durchs Ziel bringen müssen. Aus der Ferne überwache ich das Ranking über die App wie eine eifersüchtige Ex-Partnerin. Sie schickt mir im Gegenzug Fotos. Und siehe da: Nachdem ich weg bin, geht es mit Startnummer sieben bergab im Ranking. Schlussendlich landet unser silberner Porsche, nachdem einige Wagen aufgeben mussten, auf Platz 74 von 76 mit 16156 Fehlerpunkten. Natürlich hätten wir das gemeinsam besser hinbekommen, ist mein erster, leicht schäbiger Gedanke. Unsere Beziehung braucht eine zweite Chance. Bis dahin trainiere ich auf dem Fahrrad im Berliner Stoßverkehr an meinem inneren Gleichmut.