Quality Time

Es ist kompliziert

Im Zusammenleben folgt auf die Einsicht „Es ist kompliziert“ oft genug der Satz „Wir müssen reden“. Da solche Gespräche ein eher überschaubares Vergnügungspotenzial bieten, meiden Menschen sie, wann immer sie können – und ganz allgemein hat das Klare, Überschaubare, Einfache einen weit besseren Ruf als das Komplizierte.

Außer bei Uhrenfans. Es gibt Funktionen und Werksteile, deren komplexe Mechanik sich für Laien so wenig nachvollziehen lässt, dass sie an Magie grenzt:

Schlagwerke, ewige Kalender, Stoppuhren, Mondphasen oder Tourbillons zum Schwerkraftausgleich sind für die Hersteller Hilfsmittel, noch dem nüchternsten Sammler ein Lächeln hervorzulocken.

Entsprechend konsequent beschäftigen sich die Manufakturen, die hohe Preise für ihre Produkte verlangen, mit dieser Materie. Derzeit lässt sich eine Art Wettrüsten beobachten. Angetrieben von den Branchengrößen Patek Philippe und Audemars Piguet, bringen auch Manufakturen wie Vacheron Constantin, A. Lange & Söhne oder Richard Mille Modelle auf den Markt, die mehrere Funktionen vereinen.

Dass die Preise für solche Superuhren in die Millionen gehen können, bedeutet übrigens nicht, dass bei den Herstellern viel Geld übrig bleibt. Audemars Piguet beispielsweise definiert eine „Grande Complication“ als Uhr, die ein Schlagwerk mit Minutenrepetition, einen ewigen Kalender und einen Chronografen mit Schleppsekundenfunktion aufweisen muss.

Allein der Zusammenbau dieser Modelle, den ein Spezialist allein vornimmt, dauert rasch 1000 Stunden, und dabei sind die Entwicklungskosten noch nicht berücksichtigt.

Da leuchtet es ein, dass Zeitmesser, deren Teile am Fließband zusammengesetzt werden, höhere Margen versprechen. Was das Image betrifft, so profitiert die ganze Kollektion, die das jeweilige Haus im Angebot hat, von den Komplikationen. Uhrmacherische Exzellenz wirkt auch in Zeiten, in denen das Design wichtiger wird. Eine Manufaktur, die diesen Weg mit aller Entschlossenheit geht, ist Jaeger-LeCoultre. 1833 von Charles Antoine und François Ulysse LeCoultre gegründet, hatte schon ihr Vater Jacques Teile für Uhren gefertigt und die Qualität des Stahls verbessert, aus dem sie bestanden. Mitte des 20. Jahrhunderts belieferte man dann Patek Philippe mit Rohwerken, auch in der „Royal Oak“ von Audemars Piguet arbeitete lange Feinmechanik aus jener Manufaktur.

Diese Expertise macht die Firma aus. Heute gehört sie zur Richemont-Gruppe, die Kollektion beginnt mit der „Master Control“ in Stahl, einer robusten Drei-Zeiger-Uhr mit Datum am Lederband für weniger als 7000 Euro. Doch die Chefin Catherine Rénier legt auch großen Wert auf feinmechanische Spezialitäten und hat in diesem Frühjahr die „Reverso Hybris Mechanica Calibre 185“ vorgestellt.

Das Grundmodell ist die bekannte rechteckige Wendeuhr, ursprünglich ein Accessoire für Polospieler, doch was die Konstrukteure daraus gemacht haben, darf einem getrost den Atem verschlagen:

Das Modell ist die erste Uhr der Welt mit vier Zifferblättern. Zu ihren elf Funktionen gehören ein Schlagwerk mit Minutenrepetition, ein springender ewiger Kalender und Mechanismen, die den Lauf der Sterne bestimmen.

Zwölf Patente konnte das Haus anmelden – und für das, was die Uhr leistet, ist das Weißgoldgehäuse mit 15,15 mm nicht sehr hoch. Die Konkurrenz wird das Teil zur Kenntnis genommen haben. Der Wettlauf nimmt an Intensität zu. Den Fans gefällt das – sie beschäftigen sich mit einer Branche voller Leben.

Vier Zifferblätter, elf Funktionen:  ein Schlagwerk mit Minutenrepetition, ein springender ewiger Kalender und Mechanismen, die den Lauf der Sterne bestimmen:

„Reverso Hybris Mechanica Calibre 185“ von Jaeger-LeCoultre
Text
Philip Cassier