Zu Hause arbeiten? Für den einen ist das ein Versprechen, für den anderen ein Fluch. Hier schreiben Lukas Krombholz und Philip Cassier, was, zumindest für sie als Journalisten, für und gegen das Homeoffice spricht.
Homeoffice
PRO
Jetzt kann ich’s ja sagen. Die riesigen Kopfhörer, die ich im Büro immer überstülpe, sobald ich mich an meinen Schreibtisch setze, auf denen läuft meistens gar keine Musik. Sie fungieren als Tarnkappe und Scheuklappe. Als Konzentrationsverdichter. Ist es dreist und egoistisch, sich als Einziger so abzunabeln? Alles nämlich purer Selbstschutz. Kein Kaffeemaschinensurren, kein Kleiderbügelklappern, kein Spontankollegenplausch soll mich ablenken.
Ich bin wahnsinnig privilegiert, was das Arbeiten im Homeoffice angeht, ich weiß. Kinder zum Beispiel habe ich nicht. Dafür einen Balkon, auf den vormittags die Sonne knallt und auf dem ich, barfuß und mit Eiskaffee, den Sommer über viel geschrieben habe. Jobverlust, Kurzarbeit? Gab es nicht. Dafür immer Freitagmittag ein saftig-krosses Fried-Chicken-Sandwich vom michelinsternambitionierten Bistro um die Ecke, so gut, dass irgendwann Kolonnen an Carsharing-Autos aus Prenzlauer Berg und Charlottenburg angerollt kamen, mit anderen kinderlosen, sorgenfreien Homeoffice Arbeitenden. Danach noch ein Eis? Merkt ja auch niemand, wenn die Pause 10 Minuten länger dauert. Oder Freitagnachmittag schon das Wochenende beginnt. Nie wieder stumpfes Zeitabsitzen! Ich erinnere mich noch gut an die ersten Videokonferenzen im Homeoffice, plötzlich waren alle sogar pünktlich. Wie weit ist die Lockdown-Verwahrlosung bei den anderen vorangeschritten? Wie steht’s um die Frisuren? Wie sieht die Regalwand bei den Kollegen aus, haben sie ihre Bücher nach Farbe sortiert? Wir lernten uns besser kennen. Bei mir war lange Zeit die Minibar zu sehen, was in Konferenzen verlässlich für Lacher und, falls erforderlich, den nötigen Eisbrecher-Moment sorgte. Als ich kurz vor einer wichtigen Präsentation eine Millisekunde lang mit dem Gedanken spielte, zur Beruhigung einen kleinen Scotch zu trinken – sieht ja niemand, riecht ja niemand –, entschloss ich mich, die Minibar in die Küche zu verfrachten. Dort steht sie noch immer.
An meinem Bildschirm im Büro klebt ein kleines gelbes Post-it, auf das ich „Schreiben ist Denken“ geschrieben habe. Das Mantra einer ehemaligen Kollegin. Aber ist Denken nicht Freiheit? Aufstehen, hinsetzen, tief Luft holen, vom Wohnzimmertisch mit dem Laptop aufs Sofa umziehen. Die Augen schließen. Und manchmal müssen Denkblockaden auch niedergeschrien werden. Mindestens aber niedergetanzt. All das passt nicht so gut in ein Großraumbüro. Es sei denn, alle fangen an, die Noise-Cancelling-Kopfhörer zu tragen, die wir zu Beginn der Corona-Krise vom Unternehmen zur Aufmunterung geschenkt bekommen haben.
CONTRA
Es geht ohne Kaffee. Es geht ohne Kippen. Es geht selbst eine Weile ohne Schlaf – ohne Menschen und ohne Oberhemd geht es nicht. Diese Einsicht sollte eine Banalität für jeden sein, der über ein Berufsethos verfügt, das seinen Namen verdient. Ohne Menschen aus Fleisch und Blut in der Nähe kann man nichts gemeinsam tun. Ohne ein Mindestmaß an Form versagt man seiner Umwelt und dem eigenen Schaffen den Respekt.
In Zeiten, in denen das Homeoffice zum Schutz der Gesundheit zur Pflicht wird, liegt all das nur noch deutlicher zutage. Niemals zuvor hätte ich vermutet, einen Streit mit Kollegen zu vermissen. Aber haben Sie je versucht, jemandem bei einer Videokonferenz die Meinung zu sagen? Schon die Vorstellung ist lächerlich. Wo jedoch keine Ansichten mehr aufeinanderprallen, gewinnt der Stillstand. Noch dazu ist der Arbeitsplatz immer auch ein Ort für Klatsch, Können, Lästerei, Ideen, Verdächtigungen, eben ein einziges Mit- und Gegeneinander, ohne das es keine Inspiration gibt. Von dem Gefühl, zusammen eine schwierige Situation gemeistert zu haben, will ich gar nicht erst anfangen. Hinzu kommt noch: Viele Menschen bilden sich offenbar ein, sich nicht mehr um sich selbst kümmern zu müssen, wenn sie ihren Artgenossen nur noch am Monitor begegnen. Da soll man mir ruhig nachsagen, ich würde selbst meine Unterwäsche bügeln – die Ansammlung an Schlabberpullis und wirren Haaren, die ich in jüngster Zeit online zu Gesicht bekam, hat nichts Lässiges. Um solche Looks nach etwas aussehen zu lassen, muss man sich verdammt lang mit ihnen beschäftigen. Das Bild, das sich teilweise bot, bestätigte nur, dass einige Zeitgenossen nicht einmal noch versuchen, die eigene Schludrigkeit zu bemänteln: Es stellt sich die Frage, wie so jemand formal korrekt arbeiten will. Traditionell ist die Berliner U-Bahn im Sommer ein gutes Soziotop, um diese Einstellung in ihrer ganzen Erbärmlichkeit zu erleben. Da interessiert sich ebenfalls niemand dafür, wie schlecht anzusehen das Körperteil sein könnte, das er oder sie gerade entblößt. Dass dieses Prinzip nun auf die Arbeit übergreift, muss mir beim besten Willen nicht gefallen.
Selbstredend nerven mich meine Kollegen im persönlichen Kontakt ab und zu. Selbstredend ist es gut, zu Hause eine Ausweichmöglichkeit zu haben. Selbstredend spart es Zeit, nicht zur Arbeit zu fahren, sie lässt sich prima anderweitig verdaddeln. Aber eins muss allen ganz klar sein: Sollte das Homeoffice zur Normalität werden, wird dafür ein Preis zu zahlen sein. Er könnte so hoch werden, dass er die Gesundheit gefährdet. Menschen, die kaum Kontakt zu Menschen haben, leben nicht mehr, sie haben nur noch ein Dasein. Das zu verhindern ist die Aufgabe der Stunde.
DAHEIM IST DAHEIM: Unser Mr ICON Fotoshooting gibt Inspiration.
Ein neuer Dresscode wird jetzt definiert. Am Anfang der Pandemie haben es sich alle im Homeoffice gemütlich gemacht. Jetzt wissen wir: Das Homeoffice bleibt, Remote wird fester Bestandteil unserer Arbeitswelt. Die Verunsicherung ist da. Soll man im Zoom-Meeting noch Anzug tragen? Oder wenigstens ein Sakko, mit T-Shirt oder leichtem Kaschmirpullover? Und welche Schuhe tragen wir, wenn wir auf dem Weg vom Bett ins Büro das Haus gar nicht mehr verlassen müssen? Wir müssen das Unternehmen, für das wir arbeiten, ja weiterhin repräsentieren. Und dann ist da die Sehnsucht nach Sicherheit, auch äußerlich. Etwas, das uns Stärke gibt und den Unterschied macht zwischen Freizeit und Entscheidungsmodus. Eine Uniform, wie es vor Corona der Anzug war. Eine Video-Konferenz ist kein privater Fernsehabend. Die Bilder aus Livestreams gehen um die Welt, werden gepostet und geshared und bleiben für immer im Internet. Jedes gute Haus hat eine Haltung, auch zu Hause. Wir baten Lars Burmeister, ewiges Topmodel, zu einem Shooting in einen gepflegten Berliner Altbau.
Fotograf: Max von Treu c/o Kathrin Hohberg
Styling: Daniel Sartore
Model: Lars Burmeister c/o Mint Artist Management
Haare + Make-up: Stefanie Willmann c/o Ballsaal
Digital Operator: Ben Breuer c/o Blink Imaging
Lichtassistenzen : Mark Simpson Sebastian Resch c/o Blink Imaging
Styling-Assistenz: Jakob Schaefer
Casting: Dominik Wimmer
Location: Gebrüder Fritz, Berlin