In den mechanischen Objekten von Van Cleef & Arpels wird die Zeitanzeige zur Nebensache – oder zum Spektakel mit Glockenklang und sausenden Kometen.
POESIE, GANZ AUTOMATISCH
Grazile Feen, die auf mild bewegtem Wasser langsam mit ihren Flügeln schlagen, Pfauen, die am Rand von funkelnden Brunnen entlangtrippeln: Auf der „Watches & Wonders“ hat der Messestand von Van Cleef & Arpels die Rolle der Wunderkammer. Von den Automaten, die die Manufaktur neben ihren Armbanduhren ausstellt, fühlen sich die Besucher berührt, amüsiert, erinnert.
Solche Kunstwesen kommen in Erzählungen vor und in Märchen, etwa als mechanische, aber betörend singende Nachtigallen an orientalischen Fürstenhöfen. Die gehörten tatsächlich zu den besten Kunden, als die Uhrmacher der Renaissance entdeckten, was man mit feinmechanischen Fertigkeiten noch alles anstellen konnte. Der Automatenbau hat dieselben Wurzeln wie die Uhrmacherei: die Konstruktion von Dingen, die sich für eine ganze Weile autonom bewegen.
Während es aber bei der Uhr um exakte Regelmäßigkeit geht, wirken Automaten viel lebendiger, wenn sie – dem Schein nach – unregelmäßig agieren. Im 18. Jahrhundert ging der Neuenburger Konstrukteur Jaquet Droz mit seinen schreibenden und zeichnenden Puppen auf Europa-Tournee, führte sie gegen Eintritt einem adligen Publikum vor. Zu seinen Verkaufserfolgen gehörten Spieldosen, aus denen kleine Vögel auftauchten und über gut verborgene Blasebälge und winzige Flöten sehr natürlich zwitscherten.
Solche Stücke sind heute nur noch in Museen ausgestellt, sollte man meinen. Aber Automatenbauer gibt es nach wie vor. Und Van Cleef & Arpels setzt die eigene Tradition fort, bestückt die Kabinette heutiger Sammler. „Das hat 1906 angefangen“, erklärt Rainer Bernard, in der Genfer Manufaktur zuständig für die Entwicklung von Uhren und mechanischen Objekten. „Das erste Stück war die Nachbildung der Yacht des Auftraggebers. Sie stand auf seinem Schreibtisch, und ein Druck auf den Schornstein rief den Butler herbei.“ Bernard ist Maschinenbauingenieur und vertritt die technische Seite in einem Dreier-Komitee, das neue Projekte plant.
Das heiße aber nicht, dass immer er die Funktion des Bedenkenträgers habe, wenn der Vertreter des Marketings und CEO Nicolas Bos als Chef des Designstudios etwas ausspinnen.
„Jeder spricht für seinen Bereich und muss auch bremsen können, wenn er die Gouachen der Entwürfe nicht leiden mag oder wir überzeugt sind, dass sich die Mechanik nicht gut bedienen ließe. Wir finden immer einen Kompromiss, auch wenn das viel Zeit braucht.“
Das ist einer der Gründe dafür, dass eine Produktentwicklung vier, fünf Jahre dauern könne. Die Umsetzung der „Heure Florale“, einer Armbanduhr-Sensation des vergangenen Jahres, hat wesentlich Bernard vorangetrieben. Die Zeit zeigt sie durch das Öffnen winziger Blüten, auf immer neue Weise. „Bei solchen Entwicklungen entstehen Dinge, die es noch nie gab. Man kann also nicht irgendwo nachschlagen, wie man es macht“, sagt Bernard. Die Inspirationsquellen, über die sich die Produktentwickler austauschen, sind ganz verschieden: „Natürlich museale Stücke, aber auch Tanz, Musik, Literatur – wie die Schriften des Botanikers Linné, auf den die Blumenuhr zurückgeht.“
An der Naturdarstellung interessiert Bernard die Auflösung der Kontinuität, mit der ein Uhrwerk läuft, in Zufälligkeit. Bei der Entwicklung der „Papillon Automaton“, auf deren Zifferblatt ein Schmetterling mit den Flügeln schlägt, war schnell klar, dass das nicht im Sekundentakt geschehen sollte. „Das hätte sehr viel Energie gekostet – und es wäre zu regelmäßig gewesen, nicht schön. Das schaut man sich zwei, drei Sekunden an und denkt: ,Das hab ich jetzt verstanden.“ Am Ende regte sich der Schmetterling kaum vorhersehbar, aber deutlich öfter, je mehr sich die Trägerin der Uhr bewegte. Ein konstruktiver Geniestreich, was sich schon darin zeigt, dass seine Wirkweise auch für Mechanik-Kenner kaum nachvollziehbar ist.
Ins poetische Programm der großen und kleinen Automaten gehören auch magische Themen, das Spiel mit astrologischen Motiven und uralte Mythen wie der um Undine, die das Süßwasser bewacht. Van Cleef & Arpels setzte sie als „Fée Ondine“ auf die sanften Wellen eines Seerosenteichs. Solche Projekte umzusetzen, bereite ihm größte Freude, sagt Rainer Bernard.
Dabei lässt sich das Haus auch von kleinen Unternehmen unterstützen, die sich ganz den fantastischen Maschinen verschrieben haben. Wie das Atelier von François Junod. In dessen Haus im Jura-Dörfchen Sainte-Croix sieht es aus, wie es sich die Ausstatter eines Fantasyfilms nicht ausdenken könnten. Über mehrere Stockwerke sind die großen Werkstatträume gefüllt mit Seltsamkeiten. Mit Reihen von Körperteilen in Gips und Holz, mit mechanischem Spielzeug, das Junod aus der ganzen Welt zusammengetragen hat, mit stählernen Androiden, Papierskeletten, Gemälden und Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge. An der Decke hängen etliche alte Super-8-Kameras, auf den Tischen tragen Schädel-Drahtmodelle einen gläsernen Augapfel, mit langen Wimpern daran. Und wie der Aufseher über all das thront in der Mitte die Figur eines bärtigen alten Mannes; vollständig bekleidet bis auf den skelettierten rechten Arm, mit dem er, wird der Mechanismus in seinem Leib in Bewegung gesetzt, Gedichte schreibt.François Junod selbst tritt zwischen seinen Werken keineswegs wie ein Magier auf, sondern ganz unprätentiös.
Er könnte, umgeben von so viel verrücktem Zauber und Zinnober, gern etwas über die Gabe der Fantasie sagen, über Mythen, kulturelles Erbe oder das kollektive Unbewusste. Aber er spricht über sein ganz profanes Ideal: über die völlige Geräuschlosigkeit, die es anzustreben gelte, weil doch alles Quietschen und Ruckeln den Eindruck natürlicher Bewegung verderbe. Manche Mechanismen werden erst als großes Modell auf ihre Überzeugungskraft überprüft. Per Handkurbel setzt Junod auf einem Tisch wellenförmig geschnittene Glasscheiben in gegenläufige Bewegungen; er sucht nach der perfekten Darstellung aufgewühlten Wassers.
Und er findet Inspiration auch in Alltagstechnik: An den alten Kameras gefällt ihm der solide Schneckengang, mit dem die Objektive fokussiert wurden. Junod schwärmt von neuartigen Schubladenauszügen, die er in einem Möbelhaus entdeckt hat, wegen deren geräuschlosen Bewegung. Wenige Meter weiter entsteht der Mechanismus für ein neues Objekt von Van Cleef & Arpels, die „Floraison du Nénuphar“. Langsam öffnet sich die Blüte einer Seerose, aus der sich dann ein filigraner Schmetterling er hebt. Öffnen und Schließen funktionieren schon als weiche, gleitende Geste.
Junod ist nicht zufrieden, er sieht, was sonst keiner sieht, ein leichtes Ruckeln. Aber er ist eher angetan als verärgert; ein letztes Problem, an dem er mit seinen Mitarbeitern tüfteln kann. Am Ende wird die Bewegung fließend und still sein. Zu hören ist bei den auf der „Watches and Wonders“ präsentierten Tischuhr-Automaten, der „Floraison du Nénuphar“ und der „Éveil du Cyclamen“, nur ein kristallklares Glockenspiel, wenn sie in Bewegung gesetzt werden.
Während manch ein Hersteller lieber verschweigt, dass er externe Entwickler beschäftigt, ist man bei Van Cleef & Arpels stolz auf die Zusammenarbeit mit Kreativen wie François Junod oder dem Schweizer Jean-Marc Wiederrecht, der für das Haus die verspielte Armbanduhr „Pont des Amoureux“ entwickelt hat. Auf solche Kooperation wolle man auch zukünftig keinesfalls verzichten, sagt Rainer Bernard, aber auch mehr Konstruktionsarbeit ins Haus ziehen. „Bei der Arbeit mit Externen muss das Lastenheft sehr klar sein und lässt sich kaum verändern, wir ändern aber gern, reden weiter, das ist schwierig mit Außenstehenden.“ Idee und Konstruktion regten einander an, seien ein iterativer Prozess. „Lagert man einen Teil davon aus, geht Kreativität verloren.“
Neben der Uhren-Montage ist in Genf viel Kunsthandwerk zu sehen. Hier entstehen die zarten Emaille-Malereien der Zifferblätter und die transparenten Insektenflügel. Und hier wer den auch die großen Planetarien gebaut, deren erstes im vergangenen Jahr Furore machte. Bei 50 Zentimetern Höhe und 66 Zentimetern Durchmesser ist unter der gläsernen Kuppel Platz für große Himmelskörper in natürlicher Bewegung. Der Merkur (aus Chrysopras) benötigt 88 Tage für einen Umlauf um die Sonne (gelber Saphir, Spessart und Diamanten), der Saturn (Obsidian mit Ringen aus Gold) mehr als 29 Jahre. „Die Umlaufzeiten sind korrekt, die Interpretationen sind sehr Van Cleef & Arpels“, betont Bernard. Das wird spätestens klar, wenn man die Zeitanzeige einschaltet. Das wuchtige Werk in der Basis des Planetariums lässt eine Stern schnuppe auftauchen und auf die Uhrzeit weisen. Begleitet wird das Spektakel vom Klang speziell angefertigter Glocken; die Melodie schrieb der Komponist Michel Tirabosco.
Nach wie vor verwirklicht Van Cleef & Arpels auch Kunden-Fantasien. „Das Studio interpretiert die Ideen, macht Vorschläge, fertigt Skizzen“, sagt Rainer Bernard, „so etwas bleibt privat und taucht in keinem Katalog auf.“ Aber es kann dauern. „Wir nehmen uns die Zeit, die es braucht“, erläutert Bernard, „da wird der Käufer in Geduld geschult.“ Die Fürsten von heute warten bestimmt gern.