Pelze tragen, darf man das? Der Vater von Autorin Susanne Matthiessen war der Kürschner der Wirtschaftswunderjahre, bediente auf Sylt die Republik. Dann kam das große Bashing. Nun ist offenbar die Zeit gekommen, die guten Stücke aufzutragen – ohne schlechtes Gewissen.
Klassiker der Moderne
Es ist immer mit einem besonderen Reiz verbunden, das Verbotene zu testen. Die Jugend macht es vor. Als Erwachsener geht man Risiken nur noch ungern ein. Man bewegt sich in einem Korridor aus Erfahrung und Routine. Das Weltbild steht. Erschütterungen sind unerwünscht. Einen Pelzmantel anzuziehen, käme in dieser Logik einem Erdbeben gleich. Für meine Generation, die Babyboomer, ist das Pelztragen die reinste Barbarei. An dieser Einstellung wird sich auch nichts ändern. Nein!
Ganz anders dagegen unsere Mütter. Ich sehe sie noch vor mir. Die 70er- und 80er-Jahre. Für unsere Mütter war der Pelzmantel die Erfüllung aller Träume. Mit einem Nerz, mit einem Fuchs oder Zobel ließ sich ohne Zweifel sichtbar und fühlbar beweisen, dass man drin war im Club des Wohlstands. Pelz war Stolz. Und schick war er meistens auch noch. Man kann schon sagen, eine gute Ehe war nicht komplett ohne Pelzmantel für die Gattin. Ich kann das beurteilen, denn ich wurde in einen gut gehenden Kürschnerbetrieb hineingeboren. Meine Eltern führten auf Sylt ein großes Geschäft mit eigener Werkstatt in dritter Generation. Mein Vater war der Künstler, meine Mutter das Verkaufsgenie. Kein Jahr, in dem mein Vater keine Goldmedaille nach Hause brachte von der Leistungsschau des Branchenverbands für sein „hervorragendes modisches Schaffen“. Heute ist Pelz passé. In meiner Generation moralisch und ethisch nicht vertretbar. Trotzdem haben wir die Pelze unserer Mütter nicht weggeworfen. Sie hängen noch überall in den Schränken. Aus Nostalgie?
Man hat einfach Hemmungen, den ehemals teuren Pelz zu entsorgen. So ein Fuchsmantel war ja nicht einfach nur ein Kleidungsstück. Er war Teil ihrer Identität, er hat der Mutter etwas bedeutet. Sie hat sich stark und selbstbewusst darin gefühlt. In vielen Familien wurde auf so ein besonderes Stück auch lange gespart. Und heute? Dass die Qualität immer noch stimmt, kann man daran ablesen, dass so ein Pelz häufig selbst nach dreißig, vierzig Jahren noch aussieht wie neu.
Funkige Schnitte im Original-Design der 70er- und 80er-Jahre, gut erhaltene Einzelstücke aus der Glanzzeit des traditionellen Kürschnerhandwerks sieht man wieder häufiger auf den Straßen. Mit allerbester CO2-Bilanz, biologisch abbaubar und garantiert ein Hingucker. Für sehr junge Frauen ist es ein bisschen aufregend, wieder Pelz zu tragen, schon allein, weil die Mütter aus meiner Generation das am liebsten verbieten würden. Doch die Mäntel und Jacken, die jetzt wieder an die Luft kommen, sind Klassiker der Moderne.
Sie haben ihre Schuld abgebüßt. Der Begriff Vintage trifft es nicht. Diese Einzelstücke sind Zeitzeugen einer vergangenen Epoche und statten ihre jungen Trägerinnen scheinbar mit demselben Selbstbewusstsein aus, das schon früher auffällig war. Man muss zwar länger suchen, um noch einen Fachbetrieb zu finden, der Änderungen vornehmen kann, damit das Secondhandmodell noch einmal richtig Wirkung entfaltet. Aber es lohnt sich.
Susanne Matthiessen, Jahrgang 1963, ist gebürtige Sylterin, lebt in Berlin, ist Journalistin und Autorin des Bestsellers „Ozelot und Friesennerz – Roman einer Sylter Kindheit“, Ullstein