Sep 23

SPRING/SUMMER 2024

Persönliches Casting

Hier passiert der krasseste Moment gleich zu Beginn der Show: Eröffnet wird sie von der Mutter des Kreativdirektors. Es folgen sein ehemaliger Lehrer, dann Freunde und Weggefährten wie die Trans- und Modeikone Amanda Lepore, die Modejournalistin Cathy Horyn und sein Ehemann im Brautkleid.

Demna, der seinen Nachnamen Gvasalia in der Öffentlichkeit nicht mehr hören oder lesen will, hat für die Balenciaga-Show die Menschen zusammengebracht, die ihm im Privat- und Berufsleben am meisten bedeuten (Kim Kardashian läuft zwar nicht mit, taucht aber im Lookbook zur Kollektion auf). Das Casting ist also schon mal ein Hit; sehr persönlich und deshalb auf eine aufrichtige Art und Weise auch diverser als überall sonst. Die Mode ist größtenteils typisches Demna-Balenciaga: viel schwarze Matrixmäntel, Sneakers wie Monstertrucks, ausgewaschene Hoodies und Sci-Fi-Sonnenbrillen. Neu ist eine sperrige V-Silhouette, die Demna mit breiten Schultern und fließend-leichten Stoffen kreiert.

Improvisiertes Sommergefühl

Miuccia Prada hat es sich mit ihrem Zweitlabel Miu Miu modisch noch nie leicht machen können. Die Show markiert traditionell das Ende der Pariser Modewoche, und damit auch gleichzeitig das des gesamten „Fashion Month“. Alle Designer, inklusive jener aus New York, London und Mailand, haben also vor ihr gezeigt. Das Modepublikum ist längst gesättigt. Zuletzt konnte ihm Prada mit ihrer Zweitmarke und dem No-Pants-Look noch einmal so richtig Appetit machen. Und jetzt? Schickt sie einen Mix aus Bademode, Sportswear und Abendmode über den Laufsteg.

Unter tief sitzenden Bügelfaltenhosen, Sweatpants und Baumwollröcken blitzen Bikinihöschen hervor. Andere Outfits bestehen aus Sakkos, Strickpullovern und Speedos. Dazwischen sind immer mal wieder funkelsteinbesetzte Kleider über gestrickten Longsleeves zu sehen. An den Füßen tragen die Models ausgelatschte Bootsschuhe und viele bunte Pflaster. Sieht alles ein bisschen improvisiert aus. So, als ob sie gerade noch am Meer oder am See waren, dort die Zeit vergessen und sich für den Termin in der Stadt einfach schnell was übergezogen hätten. Ein Bild, das viel mehr echtes Sommergefühl auslöst als die meisten anderen Kollektionen.

Hommage an den Gründer

Niemand liefert derzeit eine Mode ab, die so durch Mark und Bein geht, wie Anthony Vaccarello für Saint Laurent. Einkäufer lechzen nach ihr, Kritiker verehren sie. Es liegt daran, dass Vaccarello nicht darauf schaut, was die Kollegen machen, sondern sein eigenes Ding durchzieht. Das ist vor allem: sexy im französischen Sinne. Zu Füßen des Eiffelturms hat er dieses Mal ein Plateau samt freistehender Wände aus Marmor errichten lassen. Drumherum laufen die Models in Outfits, die allesamt auf der berühmten Safarijacke – Saharienne genannt – von Hausgründer Yves Saint Laurent aufbauen. In der Taille gebundene Hemden in Überlänge und tief ausgeschnittene Kleider mit Brusttaschen, Cargopants, Overalls und Bleistiftröcke mit Extrataschen.

Keine Kreuzschnürung wie im Jahr 1967, dafür jede Menge große Sonnenbrillen, plakativer Schmuck und hohe Pumps. Keine Muster, dafür alle möglichen Sandtöne und Sonnenuntergangsrot. Simpel in der Komposition, spektakulär in der Wirkung!

Reich auf der Baustelle

Ähnlich ist es bei Louis Vuitton. Anstatt wie üblich im Innenhof vom Louvre gleich neben der Pyramide extra eine Halle für die Show aufzubauen, dient Aristic Director Nicolas Ghesquière als Location nun ein temporär leerstehendes Gebäude auf den Champs-Élysées. Sein Arbeitgeber erwarb es vor ein paar Monaten. Gerüchte darüber, dass es das erste eigene Hotel werden könnte, wurden schon dementiert. Was aus dem Haus mit der Nummer 103 aber nun wirklich wird, ist nicht bekannt.

Fakt ist: Es wird gebaut. Weshalb Ghesquière alle Wände, Säulen und Publikumsränge mit knisternder, halbtransparenter Plastik-Schutzplane verkleiden ließ. Nicht in irgendeiner Farbe, sondern einem satten Safranton; passend zu den Einkaufstüten von Louis Vuitton. Die Kollektion reicht von Tages- bis Abendmode. Luftige Blousons zu wadenlangen Layering-Röcken, Kleider mit Metallic-Glanz und geschlitzte Longblazer aus Lasercut-Bouclé. Der Look ist reich und reich an Handwerk. Chapeau!

Verstörend schön

Fast 27 Jahre im Unternehmen, die letzten 13 davon als Kreativdirektorin. Sarah Burton verkörpert das, was es kaum noch in der Modewelt gibt: menschgewordenes Urgestein. Ihre Karriere bei Alexander McQueen begann sie 2006 als Praktikantin, da war sie noch mitten im Studium am Londoner Central Saint Martins College. 2010 übernahm sie nach dem Selbstmord des Hausgründers die Verantwortung über die stilistischen Geschicke. Nun tritt die Frau, deren großer textiler Coup 2011 das Hochzeitskleid von Kate Middleton ist, ab – und zeigt noch einmal, wie sie die Legende des großen Lee Alexander McQueen fortführte.

Messerscharfes Tailoring, Rosen als Drucke und Vorlagen für Drapage-Techniken, viel Schwarz und rote Stickereien auf Kleidern, die von Weitem wie Blutgefäße aussehen. Verstörend schön! Für das Best-of gibt es Standing Ovations. Beim Schluss-Walk muss sich sogar die sonst so coole Naomi Campbell eine Träne von der Wange wischen.

Text
Dennis Braatz