On the Road

Königlich

Der „Gault & Millau“ hat das „Les Trois Rois“ zum Hotel des Jahres 2020 gewählt. Es ist das älteste Hotel der Schweiz und eines der ältesten in Europa. Reich an Geschichte, jung im Herzen.

Das Morgenlicht spielt mit den Strudeln des Wassers. Es ist früh, noch vor sieben. Ein Luftzug bewegt den Vorhang. Draußen lockt die Frische, bevor es warm wird, zu heiß in den Mittagsstunden. Nur wenige Geräusche dringen hinauf. Ein Jogger läuft an der gegenüberliegenden „Riviera“ entlang. Am Abend zuvor schwebten Badende wie kleine bunte Punkte die Strömung hinunter, ihre wasserfesten Kleidersäcke, die man hier Wickelfisch nennt, vor sich hertreibend. Vom Zimmer aus sieht man direkt hinunter zum Fluss, das Wasser ist hellgrün. Riviera? Wir sind mitten in Basel. Direkt über dem Rhein, im Hotel „Les Trois Rois“.

Zur Rechten schachteln sich mittelalterliche Häuser den Hang hinauf. Gegenüber, hinter der Riviera, überragen zwei Türme die Dächer von Kleinbasel. Baukräne ziehen sie in die Höhe. Weiß, wie die Wolken, in die sie ragen, lösen sie sich im morgendlichen Sonnenlicht auf. Der Chemiekonzern Hoffmann-La Roche baut hier an einem modernen Wahrzeichen. Noch ungewohnt ist der Anblick, aber er wird zu Basel gehören, so wie auch das „Les Trois Rois“ Teil der Geschichte der Stadt ist. Zu den neuen Himmelstürmen der berühmten Architekten Herzog und de Meuron hat das Hotel schon ein wenig Vorsprung – um genau zu sein, 339 Jahre. Es war 1681, dass eine Herrenherberge mit dem Namen „Drei Könige“ am Rhein dokumentiert wurde. Ein Gasthaus erster Kategorie sollte Handelsreisende entlang des Rheins bewirten. Mit zunehmender Reisefreude, sei es für Handel oder für Tourismus, wurde es um Anbauten und Ställe erweitert.
1841 wurde ganz neu gedacht und gebaut. Amadeus Merian, Architekt und seinerzeit Bauinspektor der Stadt, erhielt den Auftrag, die Herberge in ein Grandhotel zu verwandeln. Mit dem für Basel untypischen Stil des romantischen Klassizismus verlieh er dem Gebäude eine vornehme Leichtigkeit. Die Fassade war in hellem Gelb und Grau gehalten. Das Herzstück wurde ein Lichthof mit zwei enormen Kristalllüstern. Alles wurde neu, elegant und edel. Einzig die hölzernen Figuren der Namensgeber wurden bewahrt. Sie fanden wieder ihren Platz über dem Portal und wachten fortan geschützt durch einen steinernen Baldachin in ihrem mit Blattgold besetzen Ornat über ihr neues Domizil. Sie sind bis heute die Zeugen, „Les Trois Rois“ ist das älteste Hotel der Schweiz und eines der ältesten in Europa.

Ein Sommertag am Rhein. Die Baslerin Tanja Wegmann managt das „Les Trois Rois“ mit einer kleinen Unterbrechung seit 2006
Das Restaurant „Cheval Blanc“ ist ausgezeichnet und beliebt, dank Peter Knogl

„Merken Sie etwas?“ Ja, in der Tat, trotz des dicken Teppichs ist die Unregelmäßigkeit des Steins zu spüren. Die Marketingchefin Caroline Jenny führt durch das Haus und ist, wie sie selbst sagt, von dem Ort „infiziert“. Die Etagen sind leicht, nein, sichtbar schief. Das Gebäude hat sich in Richtung Rhein abgesenkt. Ein zweiter Blick in den Lichthof eröffnet Schrägen, die durch eingezogene Balken ausgeglichen werden. 2004 nahm sich der Basler Unternehmer Thomas Straumann des Hotels an. Zunächst galt es, das Gebäude zu stabilisieren. Und dann wurde erst einmal sorgfältig recherchiert. Drei Historiker sichteten Originalpläne von Amadeus Merian, Kupferstiche und Zeichnungen, um möglichst nah am Grandhotel von 1844 rekonstruieren zu können. Darauf folgte die Suche nach Spezialisten. Die fertigten Tapeten nach Originalmustern und gusseiserne Heizkörper. Antiquitäten wurden gefunden. 20 Monate und mehrere Schichten Farbe waren nötig, um den Wänden und Holzsäulen rund um den Lichthof den Anschein von Marmor zu verleihen. Drei Frachter lagen vor dem Haus, um Schreinerei, Material und andere Werkstätten unterzubringen.

 Wir besichtigen die Suite Napoleon. Schwere Brokatvorhänge und lindgrün getäfelte Wände mit Goldverzierungen machen das Prachtzimmer zu einem historischen Exponat. Magisch das Gemälde einer aufbäumenden See, das eigentlich eine antike Tapete ist. In einem bescheideneren Zimmer nächtigte 1897 der österreichische Schriftsteller Theodor Herzl während des Internationalen Zionistenkongresses. Auf dem Balkon soll ihm der Gedanke zur Gründung des Staates Israel gekommen sein. Dieses Zimmer steht unter Denkmalschutz. Langsam fragt man sich, warum man nicht, wie üblich in historischen Räumen, mit Filz-Pantinen an den Füßen die Zimmer besichtigt. „Das Parkett ist auch original. Unter einigen Teppichschichten verborgen wurde es beim Rückbau wieder freigelegt“, sagt Caroline Jenny.

Inzwischen ist schon der Rückbau selbst Teil der Geschichte des Hotels. Die Begeisterung von Thomas Straumann für das Gebäude hat alles hervorgebracht. Er hat auch die Idee wieder zum Leben erweckt, gleichzeitig ein nobles Hotel für Reisende und ein wichtiger Bezugspunkt in der Stadt zu sein. Deshalb gibt es auch keine Filz-Pantinen. „Es ist kein Museum. Es war und ist immer ein Hotel, in dem die Gäste sich wohlfühlen. Dazu gehören auch die Basler selbst.“

Wir sitzen in der Brasserie. Die Wände sind in einem tiefen Petrolblau. Eine der vielen Farben des Flusses. Sie schmeichelt – der Kunst, besonders aber den Menschen an diesem Ort. Man schaut durch die hellen Storen zum Fluss hinunter. Ein Wasserskifahrer zieht seine Kurven hinter einem Motorboot. Man schaut ihm verwundert zu, hier auf dem Rhein. Irgendwann ist er verschwunden. Ein schwerer Frachter aus Holland kämpft gegen die starke Strömung. Dieses Bild kennt man schon eher vom mächtigen Fluss. Beruhigt darüber, nicht zu träumen, wenden wir uns wieder dem Menü in der Brasserie zu – das Risotto in tiefem Violett, das Dessert in Creme- und Schokoladentönen. Alles hier harmoniert. Wie eine Wespe ist der Wasserskifahrer wieder zurück. Die Gäste des mit drei Sternen ausgezeichneten Restaurants „Cheval Blanc“, die nebenan auf der Terrasse sitzen, würdigen ihn keines Blickes. Ihr Interesse gilt einzig der Küche Peter Knogls. Ein Stammgast bedankt sich beseelt. Eine perfekte Komposition, einfach einzigartig. Welches sind die passenden Worte? Raffiniert, Wahrung der Aromen, delikat? Welches Kompliment würde er am liebsten hören? „Das ist das Essen meines Lebens“, sagt Knogl selbstbewusst. So einfach? Besser geht es nicht.

 Man schaut zu dem Fluss hinunter, taucht ab. Bilder stapeln sich im Kopf. Da ist Picasso, rauchend und Wein trinkend, wohl wütend, weil ihn Paul Klee versetzt haben soll. Da sind die Rolling Stones, die nach ihrem Konzert in den 90er-Jahren wohl mit einem nicht ganz ungefährlichen Satz über die Terrasse in die dunklen Fluten sprangen. Da ist der fasnächtlich geschmückte Ballsaal zu den „drey schönsten Tagen“ im Jahr. Aber vor allem tauchen wir ab in den Eindrücken vom Tag und denken an die Menschen des Hotels. Sie gestalten die Zukunft – mit Kreativität und Wertschätzung für das Leben. Es wird Nacht, man hört noch Lachen von der gegenüberliegenden „Riviera“ herüberschallen. Die Lichter der Stadt spiegeln sich im nächtlichen Schwarz des Wassers, gerade so, wie es Charles Dickens auch schon beschrieben hat. Der Rhein fließt stoisch weiter und nimmt die Gedanken mit.

 

Foto
Massimo Rodari
Text
Barbara Krämer