Paul Grüner ist als Hüttenwirt umtriebig und als Südtiroler heimatverbunden. Deshalb gibt es jetzt am Schnalstaler Gletscher eine Installation von Ólafur Elíasson.
TRANSFORMATIONSGIPFEL
Natürlich wird das Buch auch signiert. „Der Autor ist zufällig im Hause“, sagt Paul Grüner, grinst, zückt Lesebrille und Stift und schreibt zu seinem Namen noch die Widmung, „In alpiner Verbundenheit“. Der Band heißt „Himmelnah am Gletscher“, er hat ihn zusammen mit einem Historiker über die Schutzhütte „Schöne Aussicht“ in Südtirol verfasst, deren Wirt und Besitzer er ist. Die Hütte besteht seit 125 Jahren, und wenn überhaupt, würde man zu einem solchen Jubiläum eher eine Publikation für den Coffeetable erwarten, mit wenig Text und vielen hübschen Fotos. Aber es ist eine umfassend recherchierte Festschrift zur Kulturgeschichte der Region geworden, seriös und unterhaltsam zugleich – man könnte sagen: wie Paul Grüner selbst.
Der Hotelier ist ein Mann mit verschmitztem Charme und trockenem Humor, der sich selbst nicht so ernst nimmt, seine Umgebung dafür umso mehr. Paul Grüner, Jahrgang 1964, stammt aus dem Schnalstal, einem schmalen Tal an der Grenze zu Österreich, das sich, keine zehn Kilometer von Meran entfernt, durch die Ötztaler Alpen zieht und über dem sich dann in etwa 300 Metern Höhe der Gletscher Hochjochferner befindet. Hier liegt die Schutzhütte, die er seit 1987 führt, da war er gerade 23 und eben mit der Hotelfachausbildung fertig. Vier Jahre später übernahm er auch die „Goldene Rose“, das Hotel seiner Eltern im Dorf Karthaus, in dem er aufgewachsen ist und heute mit seiner Familie lebt. Die Hütte hat er renoviert, erweitert, um Sauna und kleinen Pool ergänzt und raffinierte regionale Küche auf die Karte gesetzt, die „Goldene Rose“ zusammen mit seiner Frau Stefania in ein kleines Luxushotel mit elegant gezähmtem Alpenambiente verwandelt. Er bringt auch eine hochwertige Kosmetiklinie aus Gletscherwasser heraus und betreibt außerdem die Film-Catering-Firma „Ö wie Knödel“. Seine Frau attestiert ihm „Leidenschaft für Networking und Socializing“ und es ist beeindruckend, wie sich bei ihm Heimatliebe und unternehmerische Umtriebigkeit verbinden.
„Hier oben sind alltägliche Sorgen entrückt. Es geht um Essenzielles.“
„Die Hüttenzeit hat mich sehr geprägt“, sagt er. „Hier oben sind alltägliche Sorgen entrückt. Es geht um Essenzielles.“ Die Schutzhütte ist umgeben von schier endlosem Bergpanorama. „Es ist schon was Besonderes, wenn am Morgen die Sonne zwischen den Gipfeln aufgeht und der Tag mit einem solchen Blick beginnt“, findet der Wirt. „Da braucht’s nicht mehr viel. Und was es braucht, das findet man bei uns.“ Seit einem Jahr gehört dazu auch große Kunst. Denn gut vierhundert Höhenmeter weiter oben, auf dem Grawand-Grat, gleich neben der Schnalser Gletscherbahn, hat Ólafur Elíasson eine Installation realisiert, seine erste in Südtirol und seine höchstgelegene sowieso. Es sind neun Tore, die auf dem schmalen Kamm einen Weg markieren, an seinem Ende, schon fast schwebend, befindet sich eine begehbare Skulptur aus Stahlringen und kleinen blauen Glasscheiben. Man kann mit ihr den Weg der Sonne im Jahr und Tag für Tag ablesen wie mit einem astronomischen Instrument, während die Abstände zwischen den Toren den Eiszeiten entsprechen. Hier oben, wo der Raum grenzenlos und der Himmel nah erscheint, soll „Our glacial perspectives“, der Name sagt’s, die Aufmerksamkeit auf eine größere planetarische Perspektive – und damit auch auf die Klimaveränderung lenken.
Es ist, wie meistens bei Elíasson, eine Verzahnung von Naturwissenschaft und Kunst, von Recherche und sinnlichem Erleben. Paul Grüner ist mit hochgestiegen, um die Arbeit zu zeigen, aber er kommentiert sie nicht. Kein Wort davon, dass er eine treibende Kraft hinter dem Projekt war, das von dem privaten Verein „Talking Waters Society“ in Auftrag gegeben wurde. Dass er netzwerkte mit dem Land, der Gemeinde, der Gletscherbahn und sich selbst mit einem beachtlichen Betrag an der Finanzierung beteiligte, erfährt man von anderen. Wenn es wichtig wird, agiert er gern im Stillen. Die Klimakrise liegt ja vor seiner Hüttentür, in Form des Gletschers, der immer weniger wird, den Schwund hat er mit Fotos in der Gaststube dokumentiert. „Zustände kann man nicht auf Dauer konservieren, Veränderungen passieren“, sagt er. Das Kunstwerk dient als Mahnung und Besuchsziel zugleich, es zu unterstützen, entspricht seinem Unternehmergeist und auch der Liebe zur Landschaft. Es ist ein Stück alpiner Verbundenheit.