Rolex

Die neuen „Submariner“-Modelle

Sie sind die Quintessenz der Marke. Was Fans und Beobachter allerdings gleichermaßen verblüffen dürfte, ist das Timing, das die Schweizer haben: Sie entwickelten ein Produkt für eine Krise, von der sie nicht wissen konnten, dass sie über die Welt kommen würde.

Krisenzeiten sind Momente der Besinnung. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Personen: Derzeit geht es weniger darum, Neuland zu erobern, sondern um die Frage, was den eigenen Verein im Innersten zusammenhält. Die Uhrenindustrie hat eigene Zyklen, ihre Produkte brauchen Jahre der Entwicklung, bevor sie der Öffentlichkeit präsentiert werden können. Umso interessanter ist, was der Branchenführer Rolex nun vorstellt: Ihre neuen „Submariner“-Modelle sind die Quintessenz der Marke, bei der sich seit den Tagen von Hans Wilsdorf (1881–1960) alles um Robustheit dreht.

Schon 1914 machte sich der Firmengründer viele Gedanken, wie man das Werk einer Armbanduhr vor dem Eindringen von Wasser schützen könnte. 1922 stellte er dann die „Submarine“ vor – ein Gehäuse um das Gehäuse verhinderte Schäden durch Feuchtigkeit. 1926 kam die verschraubte „Oyster“ auf den Markt – deren Mythos wurde geboren, als sie am Arm der Schwimmerin Mercedes Gleitze im Ärmelkanal keine Schäden davontrug. 1953 war die „Submariner“ die erste Uhr, die bis 100 Meter wasserdicht war, 1960 tauchte eine Rolex-Spezialanfertigung in den Marianengraben.

 

Die Uhr hielt durch: Mercedes Gleitze 1927 beim Versuch, mit einer „Oyster Perpetual“ am Arm den Ärmelkanal zu durchschwimmen.

Die neue „Submariner“-Version ist mit 41 Millimeter Durchmesser etwas größer als der Vorgänger, das Band passten die Genfer entsprechend an. Vor allem aber erarbeiteten die Konstrukteure ein neues Werk: Die Referenz 3230 hat als Herz eine Chronergy-Hemmungsgruppe aus einer Nickel-Phosphor-Legierung mit einer Spirale aus Parachrom, wie sie das Unternehmen im Jahr 2015 erstmals verwenden konnte. Die Bauteile sind nicht nur unempfindlich gegen magnetische Störungen, das Kaliber läuft auch bei Erschütterungen zehnmal genauer weiter als seine Vorgänger.

Ganz konkret werden die Träger den Fortschritt daran erkennen, dass das neue Modell über eine Gangreserve von 70 Stunden verfügt, statt wie bisher über 48 Stunden. An die unerreichte Präzision von höchstens plus oder minus zwei Sekunden Abweichung pro Tag haben sich die Kunden schon so lange gewöhnt, dass sie keine eigene Nachricht mehr hergeben. Auch dass die Zeitmesser bis 300 Meter wasserdicht sind, ist ein etablierter Standard.

Ultrapräzise: Das Werk mit der Referenz 3230 B konstruierte Rolex neu für die nächste „Submariner“-Generation.

Was Fans und Beobachter allerdings gleichermaßen verblüffen dürfte, ist das Timing, das die Schweizer haben: Sie entwickelten ein Produkt für eine Krise, von der sie nicht wissen konnten, dass sie über die Welt kommen würde. Dabei fällt es schon seit Längerem schwer, in welcher Branche auch immer ein Unternehmen zu finden, das ein derartiges Momentum sein Eigen nennen darf.

Bei diversen Stahlmodellen wie der „Cosmograph Daytona“ kommen die Ateliers mit der Fertigung nicht hinterher, sodass schon vor Covid-19 Geschichten von Handgreiflichkeiten zwischen Interessenten die Runde machten. Durch den jetzigen Produktionsausfall sollte der Run noch einmal angeheizt werden – und es ist davon auszugehen, dass die neue Kollektion nicht flächendeckend erhältlich sein wird.

Die „Deep Sea Special“ tauchte 1960 als erste Uhr in den Marianengraben – also in fast 11.000 Meter Tiefe.

Bei Vintage-Uhren gibt es ebenfalls keinen Hersteller, der seit Ewigkeiten im Wert so stabil ist wie Rolex. Wer ihn nicht mutwillig zerstört, kann fast jeden Zeitmesser der Marke ohne Verlust wieder verkaufen. Und wo bei anderen Anbietern beispielsweise Fehler wie eine falsche Zahl auf dem Zifferblatt jedes Modell wertlos machen, sind Uhren bei Rolex unbezahlbar, die die Manufaktur mit einem Makel verlassen haben.

Klingt verrückt, ist aber so. Die Qualitätskontrollen sind derartig rigide, dass Mängel so gut wie ausgeschlossen sind, und wenn sie tatsächlich beim Kunden ankommen, hält der etwas in der Hand, das eigentlich nicht existiert.

Schwarzes Zifferblatt, wasserdicht bis 300 Meter und von hohem Wiedererkennungswert: die „Submariner“ von Rolex.

Dem Vernehmen nach sind sich die Entscheider in Genf im Klaren über die Tatsache, dass diese Situation große Gefahren birgt. Viele Firmen sind schon daran gescheitert, in den Jahren ihrer größten Triumphe den Erfolg als eine Art Recht zu sehen, das ihnen quasi von Natur aus zusteht. Alles zu tun, um diese Falle zu vermeiden, ist eine weise Entscheidung.

Je nach Lesart sind das entweder miserable Nachrichten für die Konkurrenz oder hervorragende. An Rolex wird auf absehbare Zeit niemand vorbeikommen. Aber es ist auch möglich, dass die ganze Industrie profitiert, wenn ihr Zugpferd sich weigert, zu erlahmen.

 

 

Text
Philip Cassier