Durchblick

Brille mit Köpfchen

Erkennungszeichen: Sonnenbrille. Allerdings liegt das khakifarbene, matte Modell vor Daniel Liktor auf dem Tisch eines Cafés in Berlin-Mitte. Dazu trägt der Managing Director der österreichischen Brillenmarke Neubau Eyewear T-Shirt und Jeans, hellbraune Locken rahmen sein Gesicht. Er passt in das trubelige Viertel. Wir trafen uns, als man sich noch treffen durfte, da lebte er seit über einem Jahr in der deutschen Hauptstadt. Glücklich. Nach acht Jahren in Salzburg, wo er im Merchandising-Bereich von Red Bull arbeitete, fehlte ihm die Großstadtluft:

Daniel Liktor, Global Brand Director Neubau

„Ich brauche den intellektuellen Input. Klar, die Natur ist schön. Aber es fehlt am Netzwerk, am Austausch.“ Eine Landflucht, auch der Liebe wegen.

Seit Ausbruch der Pandemie fährt er nur noch einmal im Monat nach Linz, zum Mutterkonzern „Silhouette“. 2016 wurde Neubau Eyewear unter diesem Dach gegründet. Dort läuft die junge Marke unter „Sustainable Avantgarde“, benannt nach dem 7. Bezirk und Hipster-Viertel Wiens. Der Stadtteil entspricht exakt der Zielgruppe: trendaffin, urban, gut situiert – und an einem bewussten Lebensstil interessiert. So wie Liktor und die Menschen in Shoreditch, Kreuzkölln oder Itaewon in Seoul. Man versteht sich, auch wenn man nicht dieselbe Sprache spricht.

Nach abgeschlossenem BWL-Studium ging der Stuttgarter zu Smart. Er habe nie am Auto gearbeitet, sondern immer am Drumherum: Sportartikel, Mode, Accessoires. Dann der Wechsel zu Red Bull ins Lizenz- und Merchandising-Team, bis der Ruf aus Linz kam. Da war er 36 Jahre. „Das war ein tolles Angebot: eine Gründung innerhalb eines Konzerns, und inzwischen eine eigene Tochtergesellschaft. Die weltweite Verantwortung dafür zu übernehmen war eine riesige Chance. Und das mit einem Produkt, das mich interessiert.“ Die Brille.

Er selbst benötigt keine optische, hat aber ein Faible für Sonnenbrillen. Die waren schon immer sein Ding, von Mykita bis Cutler & Gross und nun seine eigenen Modelle, aber nein, er sei kein Sammler. „Was für Frauen die Handtasche ist, ist für mich eben die Sonnenbrille.“ Auch optische Brillen würden mehr und mehr wie ein Accessoire behandelt. Auf Reisen nach Asien entdeckte er das Phänomen, das inzwischen nicht mehr nur Brillen mit Fensterglas getragen werden, sondern sogar ganz auf das Glas verzichtet wird. Die Brille als Gesichtsschmuck, als Aussage, manchmal sogar mit Kontaktlinsen hinter dem leeren Rahmen.

Und selbstverständlich gehört zu einer Hipstermarke Nachhaltigkeit. Neubau produziert ausnahmslos in Österreich, ein Teil entsteht sogar im 3D-Druckverfahren, ein umweltfreundliches Konzept, ohne Abfälle. Ihr Plastik hat im Gegensatz zu gängigem Kunststoff einen geringeren Erdölanteil: Die Neubau-Rahmen bestehen entweder aus 65 Prozent oder zu 100 Prozent aus Rizinusöl, einem nachwachsenden Rohstoff aus der Pharma- und Kosmetikbranche: „Damit stellen wir dennoch neue Materialien her, die vergleichbare Eigenschaften wie ein Standardkunststoff hat“, so der Markenchef. Stets suche man bei Neubau das Verbindende in Kreativität und Qualität. Generell herrsche in der Sustainability Community gegenseitiges Interesse, erklärt Liktor: „Ich freue mich über jedes nachhaltige Label, egal mit welchem Schwerpunkt. Ob Veja, Koi Jeans oder Ecoalf – es zeigt, dass sie den gleichen Weg gehen wie wir. Und das ist gut so.“

Natürlich seien die Produktionsauflagen in Europa deutlich fordernder, als sie es in Asien wären, berichtet Liktor. Auch die Kosten für Spritzgussformen in Europa übersteigen die asiatischen um ein Vielfaches. „Wir brauchen 18 Monate von der Idee bis zum Launch, in China wären es sechs bis zwölf. Dort könnte ich schneller auf kurzlebige Trends reagieren.“ Doch genau das sei nicht der Ansatz seiner Marke. Im Gegenteil: Er fühlt sich darin bestärkt, sich auf zeitloses Design zu konzentrieren, Kunden schätzen das inzwischen. „Wir erzählen lieber eigenständige Geschichten, wie etwa 2019 anlässlich des Bauhaus-Jahres mit der Kollektion Walter & Wassiliy, das kommt sehr gut an.“ In 30 Ländern weltweit inzwischen.

Jedes Jahr im April bringen die Österreicher eine Sonderedition auf den Markt, die weder zeitlich noch quantitativ limitiert ist. Dieses Jahr haben sie mit den Designern von Odeeh, Jörg Ehrlich und Otto Drögsler, kooperiert. Die Wellenlänge stimmte von Anfang an. Man habe dieselbe Wertschätzung für Materialien, Mode und Funktionalität: „Brillen sind eine tolle Ergänzung für unsere Marke. Wir wollen uns verzweigen, ein Maison Odeeh in kleiner Dimension ist unsere Vision“, sagt Jörg Ehrlich. Gemeinsam haben sie eine fünfteilige Linie entwickelt, erstmals sogar ein Titan-Modell. Die Neubau-Brillen werden übrigens nach den 1500 Mitarbeitern des Mutterkonzerns benannt. Das Modell „Daniel“ gibt es noch nicht, erzählt Daniel Liktor, lacht und schiebt sich die Sonnenbrille in die Locken.

Video / Yves Borgwardt / Felix Hoffmann
Model / Nicole Atieno
Styling / Véronique Tristram

Text
Caroline Börger