WAS ICH VOM LEBEN GELERNT HABE

Als Kind war sie schüchtern bis zur Sprachlosigkeit, mit 16 machte sie als Model Karriere: Monica Bellucci über Ruhm, 33 Jahre Filmgeschäft und ihren neuen Lebenspartner Tim Burton.

Ein kleines wie feines Hotel in der Rue Cassette im Pariser Stadtteil Saint Germain. Monica Bellucci kommt zu Fuß. Trotz ihrer unauffälligen Kleidung – Jeans, dunkelblaue Bluse, schwarzes Jackett, kein Schmuck – zieht die 58 Jährige die Blicke auf sich, denn ihr Privatleben füllt derzeit die People Magazine. Ihr zweiter Ehemann, Vater ihrer beiden Kinder, war der Filmstar Vincent Cassel. Seit Frühjahr ist sie mit dem amerikanischen Regie-Veteranen Tim Burton liiert, mit dem sie gerade „Beetlejuice 2“ dreht. Burton, 64, war 13 Jahre lang mit der Schauspielerin Helena Bonham Carter zusammen, mit der er zwei Söhne hat. „Bella Bellucci“ und Burton, das sei das neue transatlantische Traumpaar – finden zumindest die Paparazzi. Das Gespräch beginnt Bellucci mit einem juristischen Hinweis. Wegen des Streiks der amerikanischen Schauspielergewerkschaft dürfe sie weder über ihren jüngsten Film „Mafia Mamma“ sprechen noch über die Erfahrungen beim Dreh von „Beetlejuice 2“. Eine Missachtung des Verbots könne eine lebenslange Sperre für alle US-Produktionen bedeuten – „und das“, sagt sie mit erhöhter Lautstärke, „wäre für mich ein Desaster!“

Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an Ihre Kindheit in Città di Castello in Umbrien denken?

Meine quälende Schüchternheit. Wegen ihr ging ich nicht gern zur Schule und blieb auch in meiner Freizeit meist für mich. Ich bin ein Einzelkind. Mit anderen Menschen in Berührung zu kommen, war für mich jedes Mal ein Kraftakt. Ich galt als verschlossen und dünnhäutig.

 

 

Lässt sich Schüchternheit überwinden oder ist sie ein lebenslanges Schicksal?

Sie bleibt ein Leben lang, aber die Zeit ist ein beständiger Lehrmeister. Ich habe gelernt, mit meiner Schüchternheit zu leben und sie zu kaschieren. Schüchtern zu sein schärft andere Sinne in dir. Weil du ständig auf der Hut bist, beobachtest du genauer als andere.

 

 

Was ist Ihre früheste Erinnerung an Glück?

Familienleben in den Ferien, mit Großmüttern, Tanten und meinen vielen Cousinen. Dieses Gefühl von Wärme und Sich beschützt wissen versuche ich an meine Kinder weiterzugeben. Ohne dieses Grundvertrauen aufzuwachsen, macht aus Kindern Erwachsene, die nicht vertrauen können.

 

 

Sie waren schon als junges Mädchen eine Schönheit. In welchem Alter ist Ihnen das bewusst geworden?

Mit 13.

 

Mochten Sie es, beäugt und begehrt zu werden?

Es wäre mir nicht eingefallen, mit meinen körperlichen Reizen zu spielen. Dafür war ich viel zu gehemmt. Es machte aber vieles leichter, dass mein Aussehen für Aufmerksamkeit und Neugierde sorgte. Die Menschen kamen auf mich zu, und so hörte ich auf, eine Einzelgängerin zu sein, die in der Ecke steht und die anderen beobachtet. Mit 16 begann ich, als Model zu arbeiten.

 

 

Nach Abschluss der Schule studierten Sie Jura in Perugia.

Die Wahrheit ist, dass ich nach ein, zwei Semestern nur noch als Model vor der Kamera stand und das Studium hingeschmissen habe.

 

 

Mit 20 heirateten Sie den Fotografen Claudio Carlos Basso, sechs Monate später ließen Sie sich scheiden.

Ich habe diesen Mann seither nie wieder gesehen – was nicht heißen soll, dass er allein schuld an unserer Trennung war. Als Model reiste ich zwei Drittel des Jahres in der Welt herum und war für eine Ehe längst nicht reif genug.

 

 

Hatten Sie als Model MeToo Erlebnisse?

In den ersten Jahren gab es einige heikle Situationen, in denen ich die Flucht ergriffen habe, aber ich bin nie ernsthaft in Bedrängnis geraten. Im Rückblick war es reines Glück. Als ich 1990 mit der Schauspielerei anfing, behandelten die Fotografen mich fortan mit großem Respekt. Hinzu kam, dass ich inzwischen finanziell unabhängig war. Ich musste mir nichts mehr gefallen lassen.

 

 

Was waren damals Ihre lukrativsten Jobs als Model?

Ich hatte die große Ehre, das Gesicht von hochklassigen Marken wie Dolce & Gabbana, Dior, Cartier und Revlon zu sein.

 

Mantelkleid: Gucci. Lackpumps: Christian Louboutin. Collier Les Indomptables de Cartier

Sie waren 25, als Sie das erste Mal vor einer Filmkamera standen. Mit Ihrer Erfahrung von heute, welchen Ratschlag würden Sie der jungen Schauspielerin Monica Bellucci mit auf den Weg geben?

Ich würde ihr sagen: „Die Fehler, die du in den ersten Jahren machen wirst, werden später einmal dein klügster Ratgeber sein. Aus Erfolgen lernst du so gut wie gar nichts. Nimm es nicht persönlich, wenn du eine Rolle nicht bekommst, auch wenn du glaubst, du könntest sie besser spielen als alle anderen. Es passiert eben, dass ein Regisseur für eine Rolle ein ganz bestimmtes Gesicht vor Augen hat – und das muss nicht deines sein.“

 

 

Brennen Sie nach 33 Jahren als Schauspielerin noch für Ihren Beruf?

Die Leidenschaft ist noch da, aber gleichzeitig wächst die Distanz. Hat der nächste Film die höchste Priorität in meinem Leben? Nein. Meine Kinder und mein privates Leben sind mir wichtiger.

 

 

Ist die Schauspielerei ein Angstberuf?

Ja, die Angst hört nie auf. Du musst es schaffen, sie in Energie zu verwandeln, sonst gehst du kaputt. Gelingt dir die Umwandlung von Angst in Energie, fühlst du dich auf eine berauschende Weise lebendig.

 

 

Ob Polizist oder Gehirnchirurg, jeder Beruf führt zu Deformationen. Was sind Ihre?

Wenn du nicht mehr zwischen dir und deinem Image unterscheiden kannst, bist du in Gefahr. Dein Image ist eine Projektion der Zuschauer. Du bist nicht identisch mit dem Menschen, der auf der Titelseite eines Magazins abgebildet ist. Das Foto zeigt eine stilisierte Figur, nicht dich.

 

 

Gefragt war nach Ihren persönlichen Berufsdeformationen.

Vielleicht ist es meine Deformation, dass mir auf diese Frage keine Antwort einfällt, die mit mir selbst zu tun hat.

 

 

Ihre Töchter Léonie und Deva sind 13 und 18 Jahre alt. Was sagen die?

Ich habe mir größte Mühe gegeben, dass meine Kinder mich nicht als Schauspielerin wahrnehmen. Ich bin ihre Mutter, das zählt, sonst nichts. Ich habe sie nie aufgefordert, einen Film anzusehen, in dem ich mitspiele, und sie wissen sehr genau, dass mir mein privates Leben weitaus mehr bedeutet als die Schauspielerei.

 

 

Sie haben Ihr erstes Kind mit 40 bekommen.

Als späte Mutter ist es einfacher, klare Prioritäten zu setzen. Zuvor bestand mein Leben aus Dreharbeiten, Fototerminen, Flugzeugen und Hotelzimmern. Das war höchst interessant, aber die Dinge begannen sich zu wiederholen, und ein Gefühl in mir wurde immer stärker: Du kannst so nicht weitermachen, du brauchst etwas Reales in deinem Leben, keine neue Filmrolle. Meine Kinder haben meinem Leben einen Sinn gegeben, den ich vorher nicht kannte. Dieser Sinn ist stärker als der, den dir eine großartige Rolle in einem großartigen Film geben kann.

 

Trenchcoat aus Vinyl: Dolce & Gabbana

Was haben Sie über Ruhm gelernt?

Dass er eine Illusion ist. Niemand ist berühmt, wenn er früh morgens todmüde aufsteht und in den Spiegel schaut. Ich bringe meine Kinder zur Schule und gehe selbst zum Bäcker. Ich will so normal und unauffällig leben wie nur irgend möglich.

 

 

Ihre französische Kollegin Fanny Ardant sagte unlängst, es gebe im Leben zwei unwürdige Dinge: sich zu beschweren, man zahle zu viel Steuern, und sich über das Älterwerden beklagen. Womit hat das Älterwerden Sie positiv überrascht?

Das Klischee stimmt: Die Gelassenheit nimmt zu, die Kämpfe nehmen ab. Was man früher als Drama empfand, lässt einen heute oft lächeln. Man erkennt, wie viel Komödie im Leben steckt und dass man den Wesenskern seiner Mitmenschen nicht verändern kann. Diese Distanz mir selbst gegenüber genieße ich sehr. Sie lässt mich das Leben leichter nehmen als früher.

 

 

Sie gelten als Inbegriff von Schönheit, europäischer Eleganz und Sophistication. Fällt es schönen Menschen schwerer, auf die 60 zu zugehen?

Ich habe gelernt, dass es ein Fehler wäre, das eigene Selbstwertgefühl vom Spiegelbild abhängig zu machen. Ich bin gesund, meine Kinder sind gesund – worüber sollte ich mich beschweren? Dankbarkeit ist auch etwas, das mit dem Älterwerden zunimmt.

 

 

Gibt es eine schöne Frau, die nicht unter der immerwährenden Angst leidet, ihre Schönheit zu verlieren, nach dem Motto: Wer hat, dem wird genommen?

Sie haben falsche Vorstellungen. Ich kenne viele schön Frauen, die dem Älterwerden mit Ironie begegnen. Es ist auch die erfolgreichste Methode, die ich kenne. Kinder zu haben hilft ebenfalls. Die Fürsorge für sie vermindert die Fixierung auf einen selbst. Für jemanden, der lange Zeit Windeln gewechselt hat, wird das eigene Älterwerden lediglich zu einem Thema unter vielen.

 

 

Andy Warhol meinte, Schönheit sei ein Zeichen von Intelligenz. Stimmen Sie ihm zu?

Nein, Schönheit wird nach ein paar Sekunden langweilig, wenn man sonst nichts zu bieten hat, was die Neugier der anderen am Leben hält. Schöne Menschen werden beachtet, aber Menschen mit Talent werden noch viel mehr beachtet. Talent und Begabung leben länger als äußerliche Schönheit.

 

 

Sind Sie heute sentimentaler als mit 40?

Nein, fatalistischer. Das Leben unterliegt nicht unserer Kontrolle, es passiert uns und entscheidet für uns. Du hörst auf, mit Umständen zu kämpfen, die du nicht ändern kannst.

 

„Eleganz ist eine Frage von Allüre und Attitude. Man wird mit diesen Eigenschaften geboren oder eben nicht.“ 

Kleid: Valentino

Was haben Sie in der Vergangenheit toleriert, wofür Sie jetzt keinen Platz mehr in Ihrem Leben haben?
Zeit in Menschen und Dinge zu investieren, die mir nicht wirklich am Herzen liegen.

 

Wovon hängt das Gesicht, das wir mit 50 haben, eher ab: Gene oder Charakter?
Auf diese Frage möchte ich nicht antworten. Ein anderes Thema bitte.

 

Der weltweite Siegeszug von Sportswear scheint unaufhaltsam zu sein. Ist modische Eleganz ein Wert aus der Mottenkiste geworden?
Junge Leute tragen heute oft eine Art Uniform, die sie als Statement ihrer Freiheit empfinden: Sneakers, überweite Hose, dazu T-Shirt oder Kapuzenjacke. Mit dieser globalisierten Einheitsästhetik wollen sie zum Ausdruck bringen: „Wir sind alle gleich!“ Für meine Generation ist Kleidung ein Distinktionsmerkmal, für die Jungen ist sie ein Zeichen, dass niemand ausgeschlossen werden soll. Jeder ist eingeladen, über seine Zerbrechlichkeit zu sprechen und zu sagen, welche Macken und Schwächen er hat. Diese Offenheit hat natürlich Grenzen. Wenn junge Leute nicht reden wollen, ziehen sie sich kurzerhand die Kapuze ins Gesicht. Ich kenne das von meinen Kindern.

 

Kennen Sie jemanden, der in Birkenstocks elegant gehen kann?
Eleganz ist eine Frage von Allüre und Attitude. Man wird mit diesen Eigenschaften geboren oder eben nicht.

 

Ihre 18jährige Tochter Deva Cassel ist ein höchst erfolgreiches Model mit einer Million Followern auf Instagram. Sie haben fünf Millionen Follower, aber der Abstand schmilzt.
Deva war mit 16 zum ersten Mal auf dem Cover einer großen Zeitschrift. Sie mag, was sie tut, und ist ein fröhlicher Teenager. Ich habe keine Sekunde versucht, sie zu einer Model-Karriere zu pushen. Ihr künstlerisches Feingefühl stellt sie neuerdings auch als Schauspielerin unter Beweis. Im August lief ihr erster Film „The Beautiful Summer“ auf dem Filmfest in Locarno, zurzeit dreht sie eine Netflix-Produktion.

 

Kleid mit Trompe-l’œil-Effekt: Loewe

Langes Klied mit Rollkragen: Gauchere. Darüber: Tüllkleid mit einem Gedicht von Baudelaire: Maison Rabin Kayrouz

Vor drei Jahren haben auch Sie ein neues Medium entdeckt, das Theater.

Der Regisseur Tom Volf brachte 2019 ein Buch heraus mit bis dahin unbekannten Briefen von Maria Callas und Auszügen aus ihren nie fertiggestellten Memoiren. Sie hat Briefe an so unterschiedliche Menschen geschrieben wie Grace Kelly, den Regisseur Pier Paolo Pasolini und die amerikanische Klatschkolumnistin Elsa Maxwell. Aus diesem Material hat Volf ein Ein-Personen-Stück zusammengestellt mit dem Titel „Maria Callas. Letters & Memoirs“. Ich habe lange gezögert, die Rolle anzunehmen, denn Bühnenangst ist weit schlimmer als die Angst vor dem ersten Take. Beim Film kann alles wiederholt werden, auf der Bühne dagegen bekommst du keine zweite Chance. Am Set hast du es mit einem Kameraauge zu tun, auf der Bühne mit Hunderten Augenpaaren von echten Menschen.

 

 

Sie haben das Stück in einem halben Dutzend Länder gespielt und wollten auch nach Deutschland kommen. Warum ist im Januar in New York der letzte Vorhang gefallen?

Maria Callas wäre dieses Jahr 100 geworden. Das schien uns der perfekte Moment für den Abschied zu sein. Tom Volf hat unsere Tournee in einem Dokumentarfilm festgehalten, der noch in diesem Jahr in die Kinos kommen wird. Angereichert wird die Dokumentation mit Szenen, die wir im Apartment von Callas in der Avenue Georges Mandel im 16. Arrondissement von Paris gedreht haben. Dort lebte sie in den neun Jahren vor ihrem Tod zurückgezogen und vereinsamt mit Bediensteten und ihren beiden Pudeln. Mit 53 starb sie an einem Herzinfarkt. Man kann auch sagen: an einem gebrochenen Herzen, nicht wegen Onassis, sondern weil sie keine Familie hatte.

 

 

Sie standen mit Ihrem Ex-Mann Vincent Cassel in neun Filmen gemeinsam vor der Kamera. Mit dem Regisseur Tim Burton haben Sie neuerdings einen Lebenspartner, der seit mehr als 40 Jahren hinter der Kamera steht und zu dessen Beruf es gehört, Ihnen bei den Dreh arbeiten zu „Beetlejuice 2“ Anweisungen zu geben. Wie heikel, wie vergiftend ist es, Liebe und Beruf zu vermengen?

Null, bei uns jedenfalls. Wenn Sie an einem Film mit jemandem arbeiten, der zugleich Ihr Lebenspartner ist, entsteht eine besondere Komplizenschaft. Das Gefühl, miteinander verschworen zu sein, lässt einen über sich hinauswachsen.

 

INTERVIEW
SVEN MICHAELSEN
FOTOGRAF
DANT STUDIO/H&K
STYLING
NATALIE MANCHOT
HAARE
JOHN NOLLET
MAKE-UP
LETIZIA CARNEVALE
ASSISTENZ
PIERRICK SELLENET (HAARE); NAOMI SAFRAOUI (STYLING)