Milan Moments

Was am Rande des Laufstegs passiert, ist mindestens genauso spannend, was auf dem Laufsteg passiert. Das hat sich nun auch wieder auf der Modewoche in Mailand gezeigt. Die Atmosphäre war ein wenig ruhiger, die Kollektionen tragbarer, der Fokus lag auf Klassikern und Investment-Pieces. Bei Gucci wartet man noch gespannt auf den neuen Chefdesigner und Prada huldigt der Berufskleidung. Ein paar Beobachtungen.

Zurück zu Size Zero

Während der Dolce & Gabbana-Show führte das kurvige Top-Model Ashley Graham ein eng anliegendes knallrotes Trägerkleid vor. Es war einer der seltenen Momente der Mailänder Modewoche, in denen eine Frau ohne klassische Modelmaße auf dem Laufsteg zu sehen war. Während Marken im Hinblick auf das Thema Alter und Hautfarbe am Diversity-Thema erfreulicherweise festhalten, scheint die Vielfalt an Figuren wieder abzunehmen. In Mailand fielen neben Dolce & Gabbana nur Max Mara mit einem Casting auf, das ein Model mit kurviger Figur einschloss. Der Standard bleibt sehr schlank, der füllige Körper à la Graham die Aufmerksamkeit erregende Ausnahme. Der Weg hin zu Castings, in denen normale Figuren vorherrschen, scheint noch lang.

Pfaueninsel bei Gucci

Vor ziemlich genau zehn Jahren schimpfte die renommierte Modekritikerin Suzy Menkes über die “Pfauen”, die das Geschehen vor den Modenschauen mit extravaganten Outfits dominierten und eine zirkushafte Show der Selbstdarstellung abhielten. Die „ernsthaften“ Kritiker und Journalisten skizzierte Menkes derweil als schwarz gekleidete „Krähen“. Nun, auch zehn Jahre später brodelt es im Vogelnest. Ein Grund dafür ist auch die aktuelle Gucci-Show, in der Influencer in eine eigene runde Sitzgrube auf den Laufsteg platziert wurden, während Redakteure und Celebrities in aalförmig angeordneten Sitzreihen drumherum platziert waren. Die Influencer-Insel fiel so sehr auf, dass mehrere Kritiker sie in ihre Reviews der Show einbauten, inklusive spitzen Kommentaren. Das wiederum echauffierte den Social Media-Star Bryanboy, der ebenfalls im inneren Kreise saß. Er fasste das Ganze in einem Instagram-Post zusammen und fragte sich – zu Recht – warum diese Diskussion heute noch geführt werde. Die Koexistenz von Content Creators und klassischen Journalisten und Redakteure ist vielleicht doch nicht so friedlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber Sitzplätze waren ja schon immer ein heikles Thema bei Modenschauen.

Lieber leise Töne

Ob es an der wirtschaftlich unsicheren Weltlage liegt oder am mitten in die Fashion Week fallenden ersten Jahrestag des Ukraine-Krieges: Bombastische Mega-Events, die Mode, Musik, Celebrities und Menschenmassen zusammenbringen, suchte man diese Saison vergebens. Es mochte auch daran liegen, dass zwei der Marken, die besonders gern auf diese Weise auftreten, der Mailand Fashion Week fernblieben: Moncler stellte sein Genius-Event dieses Mal in London vor und Boss hat eh immer andere Pläne. So oder so: Das Bewusstsein dafür, dass der post-pandemische Boom von Inflations- und Rezessionsängsten verdrängt wurde, ist auch in der Mode zu spüren.

China kehrt zurück

Menschenmassen, kreischende Mädchen, Fanplakate und hochgestreckte Smartphones: Dass sich vor Schauen wie Prada oder Tod’s solche Szenen abspielten, hat auch mit dem Ende der Lockdowns in China zu tun. Jetzt sind es nicht mehr nur die Koreaner und Malaysier, die Kreischalarm auslösen und von Fotografenklumpen umgeben sind, auch chinesische Superstars, wie der Sänger Chai Xucun (Künstlername Kun) oder der mulitibegabte Schauspieler Xiao Zhan durften wieder nach Europa reisen, brachten ihre Entourage und hatten zahlreiche aufgeregte Fans im Schlepptau, von denen viele eigens nach Mailand angereist waren. China nimmt nun wieder am internationalen Mode-Geschehen teil, ob VIP’s, Redakteure oder Kunden.

Große Offenbarung

Lang, zart und durchsichtig: Seit einigen Saisons etabliert sich das „Naked Dress“ als selbstverständliche Option für Red Carpet-Events und Partys. Der Mut einer neuen Generation Frauen, die ihren Körper auf diese zeigen und inszenieren, hat auch diese Saison wieder zu einer Reihe durchsichtiger Kleider inspiriert. Dieses Mal rückt dabei die Unterwäsche noch mehr in den Fokus: Bei Gucci, Dolce & Gabbana, Bottega Veneta oder Sportmax schimmern unter den durchsichtigen Kleidern und Röcken Slips und BHs hervor. Ganz wichtig aber: dazu trägt Frau am besten einen lässigen, bodenlangen Kaschmirmantel.

Tisch frei

Was tun, wenn man während der Fashion Week in einem vollen Restaurant steht und der bestellte Tisch aus dem Reservierungsbuch verschwunden ist? Hoffen, beten, lieb fragen – im „A Santa Lucia“, seit den 30er-Jahren eine Institution in Mailand, hat das gut funktioniert. Schnell wird in einer Ecke ein kleiner Tisch vorbereitet, Stühle ran gerückt, der Blick in den Gastraum und auf das Foto von Willem Dafoe an der Wand ist ideal. Das Pasta-Gericht auf der Tageskarte ist zwar aus, dafür gibt’s extra Pizzabrot und auf die Spaghetti Vongole wird ein wenig Fischrogen gerieben. Das Kompliment vom Ober, man sei „der schönste Tisch im Restaurant“ gibt’s kostenlos dazu.

Und was ist besser als Champagner? Eine richtige Mailänderin versteht was von einem anständigen Aperitivo. Das bewies zumindest Carolina Castiglioni, Designerin hinter dem Label Plan C, die an einem Abend zu Drinks und Häppchen in ihre beeindruckende Residenz mit Blick auf das Castello einlud. Serviert wurde neben Arancini auch Franciacorta – den man schon an den zwei Abenden davor getrunken hatte. Das Problem: Nun will man nichts anderes mehr trinken.

Text
Silvia Ihring