Die Mailänder Fashion Week

Renaissance in Mailand

 Unzählige Events, intime Modenschauen, und Trends aus den 00er-Jahren: Die sechs wichtigsten Erkenntnisse der Mailänder Modewoche.

Die Events werden nicht weniger 

Was wurde zu den Hochzeiten im Lockdown noch beteuert, wie sehr sich die Mode durch und nach dieser Pandemie verändern würde: Weniger Events, weniger Reisen, weniger Verschwendung und weniger Kollektion. Doch nun, da Modewochen mit Live-Publikum wieder stattfinden dürfen, war die Versuchung zu groß, wieder zu den etablierten Präsentationsformen zurückzukehren. Fast alle großen Marken, bis auf Gucci und Bottega Veneta, veranstalteten Modenschauen (mit den üblichen Verspätungen), unzählige Showrooms luden zu Kollektionspräsentationen ein und die Abende waren gefüllt mit Cocktails und Dinners. Die Schmuckmarke Pomellato feierte das Jubiläum ihrer “Nudo”-Kollektion, Michael Kors das 40. Bestehen seiner Marke, der Online-Shop Mytheresa feierte sich selbst. Die Wiedersehensfreude war allenthalben groß. Auf allen Veranstaltungen auch darüber gesprochen, wie satt man es habe, Mode nur auf dem flachen Bildschirm zu sehen. Eine Rückkehr zu einer rein digitalen Fashion Week wünschte sich keiner. Und doch waren die Modenschauen, vor allem wegen der klaren Sicherheitsbestimmungen der italienischen Regierung, anders: kleiner, intimer, mit viel Platz zwischen den Sitzplätzen.

Freizügige Kleidung ersetzt Loungewear

Tops, Kleider, Röcke: Kleidung schrumpft gerade auf Mini-Maße zusammen, und wo doch mal etwas mehr Material zum Einsatz kommt, ist dieses oft transparent. Miuccia Prada und Raf Simons kombinierten Miniröcke und viel nackte Haut zu wuchtigen Lederjacken. Bei Sportmax trug ein Model ein transparentes Kleid, unter dem nur eine Unterhose durchschimmerte. Auch bei Tod´s und Max Mara war Mini die bevorzugte Rocklänge. Ian Griffiths, Chefdesigner bei Max Mara, kombinierte seine Modelle zu Blazern und Tube Tops, und bewies damit wie auch Prada und Versace, weit mehr Gefühl für das Spiel aus zeigen und verstecken, für echte Spannung als der neue Missoni-Designer Alberto Caliri, der seinen Models lieber ein Lederband um die Brüste schnallte oder sie gleich im ordinären String-Bikini über den Laufsteg schickte. Viel subtiler und überzeugender wirkte die Sexyness, die Veronica Etro vertrat: Neckholder-Tops mit hauchdünnen Trägern, weit aufgeknöpfte leichte Blusen, ein Kleid mit Cut-Outs an der Taille – schmale, minimalistische Schnitte, die an den Stil der 90er-Jahre erinnerten.

Bei der Prada SS22 Show ©Getty Image
Prada SS22 Show ©Getty Images
Bei der Prada SS22 Show ©Getty Images
Sportmax ©Getty Images
Aus der Sportmax SS22 Kollektion ©Getty Images
Die Blazer und Tube-Top Kombination von Max Mara an Model Gigi Hadid ©Getty Images
Max Mara SS22 ©Getty Images
Knappe Schnitte bei Missoni  
Missoni SS22©Getty Images
Etro SS22 ©Getty Images
Model Joanne Smalls in Etro ©Getty Images

Gemeinschaft ist alles

Mode sieht und feiert sich oft als Mittel zum individuellen Selbstausdruck, als Ausdruck von Lebensfreude, wie Domenico Dolce es nannte, aber sie ist auch der Klebstoff, der ein Kollektiv zusammenhält: Man kleidet sich für das Zusammensein mit anderen, beurteilt Menschen nach ihrem Outfit, lässt sich von ihnen inspirieren oder fühlt sich durch Kleidercodes mit ihnen verbunden. Ein Gefühl der Verbundenheit nach so langer Zeit der Trennung wollte auch Marni-Designer Francesco Risso wiederherstellen, mit einer so ehrgeizigen wie genialen Idee: Alle Gäste, Mitarbeiter und Beteiligten an seiner Modenschau trugen übrig gebliebene Kleidungsstücke aus dem Marni-Lager, die eine lokale Künstlerin bemalt und nummeriert hatte. Insgesamt 800 Exemplare wurden auf diese Weise verteilt, die Anwesenden waren in den Tagen zuvor für Fittings ins Marni-Headquarter gekommen. Am Abend der Schau fand man sich in einer Lagerhalle außerhalb des Stadtzentrums zusammen, um dieses Format aus einer völlig neuen Position heraus zu erleben: Als Teil einer Vision, die über den Laufsteg hinausgeht und ins Leben greift, die Gestalter und Zuschauer einander fast physisch nahe bringt und daran erinnert, dass kein Kleidungsstück nur für sich steht. Die emotionale Show, auf der ein Chor und ein kleines Orchester für die musikalische Untermalung sorgten, stellte weiterhin eine neue Kollektion in den Mittelpunkt, und doch ging es um mehr als Kleider.

Weniger philosophisch aber ebenso innovativ war Pradas Idee, seine Modenschau in Mailand mit einer zeitgleich stattfinden Show in Shanghai zu ergänzen, auf der die exakt gleiche Kollektion dem chinesischen Publikum vorgestellt wurde. Über riesige Screens waren die Gäste in beiden Ländern quasi miteinander verbunden.

 

Unsere Autorin Silvia Ihring in und bei Marni

©Marni

Die besten Beziehungen hat Donatella Versace 

Menschenmassen vor dem Eingang, hochgereckte Smartphones, Gekreische und Gejohle: Was nach dem Publikum eines Rihanna-Konzerts klingt war in Wahrheit die Menschenmenge, die sich außerhalb der Versace-Show eingefunden hatte. Man weiß es eben: Zu Versace kommen die besten und größten Stars. Gerade für viele junge Italiener gehören dazu die Influencerin Chiara Ferragni und ihr Ehegatte, der Rapper Fedez, die bei Versace in der ersten Reihe saßen. Viel mehr beeindruckten jedoch die Persönlichkeiten auf dem Laufsteg: Madonnas Tochter Lourdes Leon trat als Model auf, ebenso wie die Popsängerin Dua Lipa, die die Show eröffnete und abschloss.

Madonnas Tochter Loures Leon auf dem Versace Laufsteg ©Versace  
Model Irina Shayk in Versace ©Versace
Dua Lipa
Donatella Versace

Die 00er-Jahre sind die aktuelle Lieblingsdekade 

Hüfthosen, Fransenstiefel, Exzess: Immer mehr Designer blicken derzeit in die 00er-Jahre zurück, als Frauen wie Britney Spears oder Paris Hilton ihre glitzernden Sonnenbrillen zu blondierten Haaren und Bauchnabelpiercings trugen und mit ihrer Dauerpräsenz in der Boulevard-Presse eine von Celebritys besessene Gesellschaft bespaßten. Dolce & Gabbana lieferten dafür die richtige, kompromisslos und hemmungslos extravagante Mode, und so ließen die Designer den Geist jener Zeit wieder aufleben, mit Fransenstiefeln, Camouflage-Hosen, glitzernden Miniröcken und Animal Prints. Der neue Blumarine-Designer Nicola Brognano hat den Look längst zu seinem Markenzeichen gemacht: Seine Cardigans mit Fake-Fur-Besatz, Gürtel mit Schmetterlingsschnalle und rosafarbenen Chiffontops eignen sich perfekt für junge Tik Tok-Fans, die Juicy Couture-Anzüge ebenso für sich wiederentdeckt haben wie Sonnenbrillen mit bunten Gläsern.

Animal Print bei der Dolce & Gabbana Show ©Dolce&Gabbana  
©Dolce&Gabbana
Der Y2K-Style ©Dolce&Gabbana
Fanshirt der 2000er Ikone Jennifer Lopez ©Dolce&Gabbana
©Dolce&Gabbana
Denim und Fake Fur bei der Bluemarine SS22 Kollektion. ©Getty Ima
©Getty Images
Erinnert an den ikonischen Denim Partner-Look von Justin Timberlake und Britney Spears im Jahr 2001 ©Getty Images
©Getty Images

Marken überbieten sich mit neuen Ideen

Wer liefert die größte und aufregendste Neuigkeit der Saison? Die Wahl dürfte für viele auf die geheime Kollaboration zwischen Fendi und Versace fallen, die erst am allerletzten Abend auf einer Modenschau für wenig übrig gebliebene Gäste in Mailand enthüllt wurde. Aber auch Gucci, das sich vom traditionellen Schauenrythmus verabschiedet hat, war mit “Gucci Vault” Gesprächsthema: einem digitalen Concept Store, in dem zwischen kuratierten und individualisierten Vintage-Stücken von Gucci auch Mode von Nachwuchsdesignern verkauft wird. Damit steigt Gucci selbst ins Vintage- und Resale-Geschäft ein – und trägt so als globaler Player eine wertvolle Idee zum Thema Nachhaltigkeit bei.

Text
Silvia Ihring