Mailänder Momente

Bewegend, berührend und immer wieder überraschend: Diese Themen dominierten die Milan Fashion Week:

 Kim schmeckt’s ?

Schon Tage vorher wurde es auf Instagram angekündigt: Dolce & Gabbana und Kim Kardashian hatten anlässlich der Modenschau der Marke irgendwas gemeinsam ausgeheckt. Klar, das am Tag der Show Hunderte Fans die Straße vor dem Metropol-Theater blockierten. Die Spannung stieg währen der Show nur noch mehr, als ein Schwarz-Weiß-Film lief, in dem Kim Kardashian Pasta isst während die Models die neue Kollektion vorführten (und Mama Kris und Schwester Khloé mit den Kindern in der ersten Reihe saßen). Erst zum Finale erschien Kim die Leibhaftige auf dem Laufsteg, gemeinsam mit Stefano Gabbana und Domenico Dolce. Der Star hat als „Kurator“ der Schau agiert und einige Lieblingsentwürfe aus dem Markenarchiv ausgesucht, die in der Kollektion neu aufgelegt wurden. Zu den schönsten gehören eben jene, für die man Dolce & Gabbana kennt und liebt: Korsagen-Tops, körperbetonte schwarze Kleider, glamouröse Leopardencapes und Smokings.

Dolce&Gabbana

 Viele Neuanfänge ?

Gleich vier Labels präsentierten diese Saison erste Kollektionen von neuen Chefdesignern: Etro, Missoni, Bally und Ferragamo. Das überzeugendste Resultat kam von Ferragamo, das nun von Maximilian Davis geführt wird, sowie von Etro und dessen Chefdesigner Marco de Vincenzo. Vincenzo traute sich, die Etro-Geschichte jenseits von Boho-Romantik, Paisley, Fransen und Volants weiterzuerzählen. Dabei verließ er sich vor allem auf strukturierte Schnitte, grafische, weniger florale Muster und sportliche Details, wie Basecaps, Baggy-Hosen und Poloshirts, die Etro noch mehr jüngere Kunden einbringen dürften. Die fließenden Abendkleider und locker geschnittenen Anzüge von Ferragamo – viele von ihnen in einem neuen, ab sofort markentypischen Rotton – versprühen eben jene Eleganz, die man der geschichtsträchtigen Marke erwartet.

Etro
Bally
Ferragamo

Neutral bleiben

Für die Marke Tod’s ist Italien eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle. Chefdesigner Walter Chiapponi führte sie diese Saison zu einer seiner besten Kollektionen seit Langem. Im Mittelpunkt standen dabei keine neuen Erfindungen, sondern bis ins Detail perfektionierte „Essentials“: Hemdblusen- und Tunikakleider, Trenchcoats, Kostüme, Anzüge und Mäntel aus Leder. Farblich fokussierte sich Chiapponi auf neutrale Sand- und Erdtöne, so wie auch Ian Griffiths bei Max Mara. Seine wichtigste Musen: Der Riviera-Lifestyle der 30er-Jahre sowie Frauen aus jener Dekade, wie die Designerin Eileen Gray und die Malerin Renée Perle. Die Farbe Gold ist natürlich alles andere als neutral, aber Giorgio Armani nutzte goldfarbene Taschen und Accessoires, um silbergraue Outfits mit einem warmen Schimmer zu veredeln.

Tod’s
Giorgio Armani
Max Mara

Paris in Mailand ?

Und dann war da auf einmal Paris Hilton, die On-und-Off-Freundin und Wegbereiterin von Kim Kardashian („Ich würde wirklich alles für sie tun. Sie hat mir buchstäblich eine Karriere gegeben.“) Im November vergangenen Jahres heiratete Hilton den Unternehmer Carter Reum. Die Feierlichkeiten gingen drei Tage lang, zu einer Party trug sie ein pinkes Brautkleid. Nun schloss sie bei Versace als Barbie-Braut im pinken Glitzerkleid und mit kurzem Schleier die Show. Weniger schreitend, mehr tanzend und mit lässig-lasziv geöffnetem Mund. Die Gäste waren entzückt! Donatella Versace hatte auf ihren letzten Schauen für reihenweise Star-Auftritte gesorgt. Jennifer Lopez, Dua Lipa, Lourdes Leon (Madonnas Tochter). Hilton reicht vielleicht nicht ganz an ihre Vorgängerinnen heran, dennoch: It’s hot!

Last Minute-Accessoire ☂️

Der vorletzte Tag der Mailänder Modewoche brachte Regen, auf den man bei Jil Sander jedoch vorbereitet war. Die Schau fand draußen statt, doch kurzerhand drückte man den Models Regenschirme in die Hände, und so ging es gut geschützt über den Laufsteg: in ultraweiten Anzügen mit Westen, kurzen Kleidern mit Cut-outs und schimmernden Blusen. Dass man sich dabei noch besser vorstellen konnte, wie gut die Looks bei Regen auf der Straße aussehen würden, brachte Bonus-Punkte. 

Höher und höher ?

Viele Labels haben mit dem Sneaker-Wahn abgeschlossen und zeigen so gut wie gar keine Turnschuhe mehr auf dem Laufsteg. Stattdessen dominierten ultrahohe Plateau-Schuhe. Bei Max Mara tauchten diese in Form von Riemchensandalen auf, bei Versace erinnerten die Stiefel an frühere Spice-Girl-Looks, Etro kombinierte Socken zu ultrahohen Clogs und bei Fendi liefen die Models in grasgrünen Plateau-Mules. Manche kamen damit nicht besonders weit: Ein Model zog seine Schuhe irgendwann einfach aus.

Etro
Fendi
Max Mara
Versace

Wie im Film ?

Besondere Set-Designs gehören vor allem bei großen Luxusmarken stets dazu. Prada gelang es diese Saison besonders gut, damit Stimmung zu erzeugen. Auch wenn diese zugegebenermaßen etwas düster ausfiel: Gemeinsam mit dem Regisseur Nicolas Winding Refn, der hinter Thrillern wie „Drive“ und „Neon Demon“ steckt, konzipierte man einen Show-Space, der in unterschiedliche dunkle Räume unterteilt war. Die Gäste saßen auf Pappboxen, durch Fenster in den Wänden konnte man auf Bildschirme blicken, die kurze Videos von Refn abspielten. In diesem cineastischen Kontext wirkten die Models wie Filmfiguren, gekleidet in Looks, die aussahen, als hätten sie schon eine Vergangenheit hinter sich: Lederkostüme mit Falten, die sich ins Material eingegraben haben, Seidenkleider mit zerfransten Säumen und Röcke mit Schlitzen, die wie Risse aussehen.

Auch Mathieu Blazy dachte bei seiner Kollektion für Bottega Veneta an die Darstellung einzelner Charaktere, die er in den Kontext eines von Gaetano Pesce entworfenen Sets vorstellte. Vor einer leuchtend bunten Kulisse bestehend aus Laufsteg und Stühlen aus Kunstharz führten die Models Entwürfe vor, die alle für sich stehen könnten: Ein Anzug hier, ein Flannellshirt dort, ein gemustertes Abendkleid oder ein exzentrischer Fransenmantel. Alle haben etwas gemeinsam: Einen zeitlosen, unprätentiösen Look, auf höchstem Niveau ausgeführt.

Prada
Bottega Veneta
Bottega Veneta

Immer noch Top  ?

Während die Instagram-Lieblinge Gigi und Bella Hadid nur wenige Auftritte in Mailand absolvierten (Kendall Jenner war nirgendwo zu sehen), zeigten sich Models einer anderen Generation umso mehr. Naomi Campbell trat bei Boss und Tod’s auf, bei letzterem Label gemeinsam mit Carla Bruni. Bruni bleibt dem Laufsteg meist fern, ebenso wie Kate Moss. Dass sie letztlich für Bottega Veneta lief, sorgte dementsprechend große Aufregung – und zahlreiche Instagram-Posts.

 Gucci im Doppel ?‍♂️

Alessandro Michele sagt, er sei mit zwei Müttern aufgewachsen: Mama Eralda und Mama Giuliana. Unzertrennlich seien sie gewesen, weshalb sie nicht nur im selben Haus lebten, sondern auch alles gemeinsam machten. Eralda und Giuliana waren Zwillinge. „Die eine vervielfachte die andere. Das war meine Welt, verdoppelt und doppelt perfekt“, so Michele. Doch als er sieben Jahre alt war, starb seine Tante. „Tag für Tag wartete ich darauf, dass meine andere Mutter zurückkam. Eine der beiden war verschwunden, aber niemand sagte mir, dass meine Tante nicht meine Mutter war.“ Seitdem sei er fasziniert von Zwillingen. So viel zur Inspiration zu Guccis neuer Kollektion “Twinsburg”. Die Frage ist, wie man so etwas in Textil und die dazugehörige Show übersetzt.

Am vergangenen Freitagnachmittag nahm das Gucci-Publikum vor einer Wand Platz, die über und über mit den Fotos von Zwillingspaaren bedruckt war. Aus dem Off tönte die Stimme von Sängerin und Schauspielerin Marianne Faithfull: „Opposite, different“ wiederholt sie mehrere Male. Dann begann die Show: cleaner also sonst, mit mehr Fokus auf Form und Farbe. Akkurat geschnittene Sakkos, Anzüge und ein leuchtend roter Mantel. Es folgen die typischen Looks mit viel Dekor: ein violettes Eighties-Kleid mit Leo-Strumpfhose und Python-Stiefeln, Tracksuits mit Patchwork-Einsätzen aus Mesh, jede Menge Rüschen, Seide und Pailletten. Manche Models trugen Gremlin-Kuscheltiere in der Hand, jene Fantasiegeschöpfe aus dem gleichnamigen Film von 1984, die mal Teufel und mal Engel sein können. Man kennt diesen unerhörten Mix von Alessandro Michele: Die unterschiedlichsten Einflüsse vermischt er gerne zu einem großen Ganzen. Aus den Sitzen riss es in diesem Moment jedoch niemanden. Und jetzt?

Wurde die Wand mit den Zwillingsfotos hochgefahren und man blickte in einen spiegelverkehrten Raum. Gegenüber saß auch Publikum und es liefen Models: Es waren die Zwillinge jener Models, die gerade an einem selbst vorbeiliefen, in identischen Looks. Die gesamte Zeit über fanden also zwei Schauen parallel statt. Zum großen Finale vereinten sich die Zwillingspaare schließlich auf dem Catwalk, laufen Hand in Hand. Man musste bei diesem Bild in diesen Zeiten unweigerlich auch an Menschen denken, die getrennt sind und wieder zueinander finden. An Zusammenhalt. Das Publikum war ergriffen, manch ein Gast hatte Tränen in den Augen. Auch Alessandro Michele: “Wenn wir mehr sind, sind wir stärker”, sagte er im Anschluss an die Show bei einer Pressekonferenz. Und was hatte es mit den Gremlins auf sich? “Kleine Tiere, die zwar böse werden, sich aber auch im Guten multiplizieren können.”

 

 INGA GRIESE ÜBER MILAN

 

Text
Silvia Ihring & Dennis Braatz