Sven Rebel hat als Coach nicht nur, aber vor allem männliche Klienten. Ein Gespräch über das Mannsein und die Frage: Wo liegt das Problem?
Der Mann muss gar nichts
Sven Rebel kommt vom Dreh und damit aus einer Situation, die er aus seinem früheren Berufsleben gut kennt. Er war TV-Redakteur, Producer, dann selbstständiger TV-Produzent, bis er sich noch einmal ganz neu orientierte – und eine Ausbildung zum integralen Coach machte. Seitdem hilft der 50-jährige Berliner vor allem Männern in der Krise. Gerade dreht er ein neues Coaching-Format für den RBB. Es ist eine Art Fortsetzung der Reality-Serie „Queer 4 you“ (2019), in der vier schwule Experten Menschen in Lebenskrisen berieten. Das funktionierte im klassischen RBB-Fernsehen „gar nicht“, wie Rebel lachend sagt. Dafür umso besser in der ARD-Mediathek. Die neue Show, die anders heißen wird, ist von vornherein viel stärker auf ein Streamingpublikum ausgerichtet.
Herr Rebel, Sie sind spezialisiert auf das Coaching von Männern. Gibt es bei Ihren Klienten ein übergreifendes Thema?
Es gibt tatsächlich etwas, das alle Männer heute verbindet, die zu mir kommen: Sie sind auf der Suche. Sie verspüren eine große Unbestimmtheit und Unsicherheit, wie man als Mann sein darf, sein soll. Was überhaupt möglich ist. Diese Verunsicherung betrifft junge wie ältere Männer, sie geht durch alle Schichten. Fast alle meine Klienten sind an einem Punkt, privat oder in der Karriere, in der sie das Gefühl haben: Mit der Art, wie ich bin, bin ich nicht mehr erwünscht.
Wie sehr hat das Gefühl der Männer, nicht mehr zu funktionieren, mit dem Selbstverständnis der Frauen zu tun?
Man kann das eine nicht ohne das andere betrachten. Die Emanzipation der Frau war sehr nötig, ist ja nicht abgeschlossen und auch keineswegs übersichtlich. Sie hat die Diversität der Lebensentwürfe und die öffentlichen Diskussionen erweitert. Und sie führt bei Männern, die sich selbstbewussteren Frauen gegenübersehen, zu neuen Anforderungen, auf die sie irgendwie reagieren müssen. Das bereitet ihnen inneren Stress.
Sie sind ein integraler Coach. Was bedeutet das genau?
Es gibt ja verschiedene Coachingansätze: Der Business-Coach kümmert sich ums Berufliche, der Lifecoach ums Private, ich kümmere mich um alles, und dabei bezieht der integrale Ansatz alle Ebenen des menschlichen Seins ein. Wenn jemand zu mir kommt und ein Problem in seiner Beziehung als sein Anliegen nennt, dann schaue ich mir alle Quadranten an, die diesen Menschen beeinflussen. Die Familie, den Beruf, das Äußere, die Herkunft, den Freundeskreis. Denn meist ist das Problem, mit dem jemand zu mir kommt, nur das Symptom für ein Problem, das ganz woanders liegt. Der Ansatz basiert auf der Holontheorie, die besagt, dass jeder Mensch ein Holon ist, ein in sich abgeschlossenes Ganzes. Das klingt theoretisch, aber man kann damit in der Praxis gut arbeiten.
„Dass der Mann heute femininer sein muss etwa, weil das als zukunftsfähig und modern gilt, ist totaler Quatsch. Der Mann muss gar nichts. Ein Mann kann – wie eine Frau – alles sein. Er muss Zugang zu seinen Gefühlen haben, das ist richtig.“
-Sven Rebel
Privates Coaching ist in Deutschland, anders als in den USA, ein noch ziemlich neues Phänomen …
… und es wird auch immer noch nicht richtig ernst genommen.
Wie kommen die Kunden zu Ihnen?
Meist über die klassische Mund-zu-Mund-Propaganda. Durch meine Arbeit als TV-Produzent und mein privates Umfeld kenne ich viele Entscheider. Viele Menschen aus dem Unterhaltungs- und Musikbereich, Sportler, ein Nationalspieler war auch dabei. Menschen, die nie laut sagen würden, dass sie zu jemandem wie mir gehen – meine Nummer aber unter der Hand weitergeben.
Was sind die Themen, mit denen Männer zu Ihnen kommen?
Es ist immer schwierig, Einzelfälle zu verallgemeinern, aber die Grundfrage ist meist: Warum werde ich nicht verstanden? Ganz viele Männer kommen an eine Grenze, sie wollen eine tolle Beziehung führen, sie wollen Karriere machen, aber ihr Bemühen wird weder von der Partnerin, dem Partner noch vom Umfeld im Job verstanden.
Worin unterscheiden sich dabei die Probleme von Männern zu denen von Frauen?
Wenn erfolgreiche Frauen älter werden, beschäftigen sie sich in der Regel zunehmend mit ihrer Weiblichkeit, da sie bemerken, wie die in der Berufswelt adaptierten klassischen männlichen Verhaltensweisen sie zunehmend einschränken. Dies geht oft einher mit einem Neuentdecken der eigenen Sexualität. Bei erfolgreichen älteren Männern dagegen braucht es eher massiven Druck von außen, bis sie sich überhaupt infrage stellen. Häufiger ist das der Fall, wenn die Beziehung zu einer neuen Frau nicht funktioniert. Dann beginnen viele Männer alles dafür zu tun, dass es klappt, sogar eigene Überzeugungen aufzugeben. Das bedeutet, dass der Auslöser für ein Coaching ursprünglich eher einem Eroberungsgedanken geschuldet ist, aber die meisten Männer erkennen schnell, welches Potenzial sie durch meine Hilfe freisetzen können.
Und wie gehen Sie dann vor?
Wenn ein Mann zumindest zu mir als einem männlichen Coach kommt, dann beginnt es immer als Wettkampf. Das ist sehr lustig. In der ersten Sitzung wollen mir Männer immer beweisen, dass sie stärker sind als ich.
Wie reagieren Sie, wenn so ein Stier in die Arena kommt?
Ich bin ja auch ein Stier. Als Erstes zerstöre ich die ganzen Märchen und Fantasiegebilde, mit denen meine Klienten sich selbst präsentieren. Wer sie sind und was sie alles können. Das mache ich mit sehr gezielten Fragen. Im Nachhinein wird das sehr geschätzt. Ich bin gut darin, die Finger in die Wunde zu legen.
Frauen kommen übrigens in der Regel viel früher als Männer zum Coaching. Sie sagen: In mir ist eine große Unzufriedenheit. Ein Mann würde das nie sagen. Er sagt: Die anderen machen etwas falsch. Das ist tatsächlich ein ganz großer Unterschied. Frauen spüren den Widerstand in sich, bei Männern wird er immer von außen wahrgenommen.
Wie ändern Sie diese Wahrnehmung?
Indem ich dem Mann auf den Kopf zusage: Ich sehe, dass du Schmerzen hast. Wenn man diesen Schmerz dann auch noch genau bezeichnen kann, dann ist das oft etwas, was ein Mann nicht gewohnt ist. Sie kennen es nicht, dass man sie als emotionales Wesen erkennt.
Aber müsste sich das nicht längst geändert haben? Wenn man die Diskussionen über den „neuen Mann“ verfolgt, dann gehörte das Emotionale doch zum Grundrepertoire …
Ja, aber auch bei jüngeren, emanzipierten Männern geschieht das noch auf einer sehr oberflächlichen Ebene. Wenn ein Mann Schmerzen hat, dann teilt er das auch heute noch nicht mit. Erst wenn man ihm direkt ins Gesicht sagt : Ich sehe, dass du leidest, aber was du mir hier erzählst, ist kompletter Bullshit. Beispielsweise wenn ein Mann bei einer wichtigen Beförderung übergangen wird, flucht er über Ungerechtigkeit, zeigt zwar seine Wut, aber nicht, wie tief er verletzt ist, denn er könnte sich ja „anstellen wie ein kleines Mädchen“. Wenn man zu seinem Schmerz Zugang findet, erweitert sich in der Regel das gesamte Bild, und der Klient erkennt den wahren Grund, warum er beruflich eine Niederlage erlebt hat, die er nicht selten in Wahrheit selbst verursacht hat. Interessanterweise werden Männer an dem Punkt meist ganz ruhig, auch die Stimme. Manche legen in dem Moment auch noch einmal einen Gang zu, ein letztes Macho Aufbäumen. Wenn dieser Moment aber überstanden ist, werden die Männer ganz weich. Sie lassen die Schutzmauern fallen, und man spürt die Erleichterung.
Der emotionale Mann, wie er so gern in Filmen thematisiert wird, ist in der Realität also noch rar. Liegen denn, wie man vermuten könnte, zumindest Welten zwischen dem Selbstverständnis von jungen und älteren Männern?
Es gibt immer wieder Studien, die besagen, Männer seien rücksichtsvoller geworden. Ich würde aber aus meiner Erfahrung mal ganz zynisch sagen: Das stimmt nicht. Was stimmt, ist, dass jüngere Männer viel genauer wissen, was in bestimmten Umfeldern erwartet wird. Sie stellen sich darauf ein – und nutzen es zu ihrem Vorteil.
Das klingt ziemlich ernüchternd …
Es ist Teil der Unsicherheit. Viele Männer verstehen, was die jeweilige Umgebung von ihnen erwartet, das heißt aber nicht, dass sie wirklich ihre Rolle gefunden haben. Dass der Mann heute femininer sein muss etwa, weil das als zukunftsfähig und modern gilt, ist totaler Quatsch. Der Mann muss gar nichts. Ein Mann kann – wie eine Frau – alles sein. Er muss Zugang zu seinen Gefühlen haben, das ist richtig. Aber was ist, wenn diese Gefühle eher aggressiv und dominant sind? Für mich wird der „klassische“ Mann, der eher herber, handfester ist, vernachlässigt. Dabei ist an ihm zunächst nichts Negatives. Viele Führungskräfte sind solche Exemplare – und müssen es auch sein. Gerade in Notsituationen zeigt sich ja oft, dass es dieses Aktive, Nach-vorn-Preschende, Aggressive auch braucht.