Pradas Erbe

Seine neue Welt

Er verkörpert die unternehmerische Zukunft von Prada. Und darüber hinaus das selbstverständliche Umweltbewusstsein einer neuen Generation. Eine Begegnung mit Lorenzo Bertelli, die Hoffnung macht.

Das Meer schwappt friedlich heran an diesem schönen Sommertag Ende Juni im „Parque das Nações“ von Lissabon. Man sieht nicht, dass der Ozean leidet. Aber man kann es lesen auf den Plakaten dort: „Dein Leben hängt von mir ab. Aber du scheinst mich vergessen zu haben.“ #oceansays. Und man kann es deutlich hören, die „UN Ocean Conference“ findet hier statt. Im Innenhof des Wissenschaftsmuseums „Ciência Viva“ werden am Abend Drinks und emotionale Appelle gereicht. Lorenzo Bertelli, 34 Jahre, lockenwuschelige Haare, guter Blick, helle Hose, Jeansjacke, schwarzes V-T-Shirt steht zusammen mit der charismatischen Umwelt-Influencerin Valentina Gottlieb und dem „Aquanauten“ und Abenteurer Fabien Cousteau, alle drei halten bunte Pappen in die Kameras. „Life below water“ „Vida submarina“ steht da zum Beispiel.

Sie sind Verbündete im weltweiten Team Ozean und mit Supersurfer Hugo Vau, Fotograf Enzo Barracco, Wissenschaftlerin Kerstin Forsberg sowie Vladimir Ryabinin, dem Generalsekretär der „Intergovermental Ocean Commission“ (IOC) bei der Unesco auch Mitglieder der Jury des „Sea Beyond Projects“, der Partner-Initiative von Prada und dem IOC. Die Gewinner des Wettbewerbs, an dem wie auch an den dazugehörigen Webinars zehn Schulen international teilnahmen, werden am nächsten Vormittag ausgezeichnet, es ist eine Klasse aus Lima. Sea Beyond versteht sich als Bildungsprogramm, das bei Kindern und Jugendlichen das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und insbesondere die Bewahrung der Meere fördert. Dazu gehört zum Beispiel auch der „Kindergarden of the Lagoon“ in Venedig.

„Es geht um einen Kulturwandel“, sagt Lorenzo Bertelli, Marketingdirektor und Verantwortlicher für Corporate Social Responsibility (CSR) bei Prada. Wie er es sagt, klingt es geradezu versöhnlich. Überhaupt taugt der ältere der beiden Söhne von Miuccia Prada und Patrizio Bertelli zum Role Model. Der Ex-Rennfahrer ist cool, klug, umsichtig, aber dabei klar fokussiert. Wirtschaftlicher Erfolg und Umwelt-Interesse seien durchaus Freunde, nicht Gegner. Es brauche die Starken, um den Schwachen zu helfen. Um es romantischer zu sagen: „Um ein guter Koch zu sein, braucht es gute Zutaten. Auch, wenn man selbst am liebsten Spaghetti pomodoro isst.“ In drei, vier Jahren soll Lorenzo seinen Vater als CEO ablösen. Inga Griese sprach mit ihm.

Lorenzo, Sie sind für Marketing und CSR in der Prada Group zuständig. Mit Ihrer Sea Beyond Initiative, einem weltweiten Bildungsprogramm für Schulen, das Sie gemeinsam mit der Unesco und ihrer Intergovernmental Oceanographic Commission, die sich auch IOC abkürzt, vorantreiben, haben Sie sich der Nachhaltigkeit und dem Schutz der Meere verpflichtet. Ist so etwas heutzutage für Global Player wie Prada einfach eine Selbstverständlichkeit?

Zumindest für uns. Als ich 2017 in die Firma eintrat, wurde bereits gemeinsam mit der Firma Aquafil an einer nachhaltigen Lösung für unsere Nylonproduktion gearbeitet. Ich habe lediglich das Vorhaben vorangetrieben, damit wir nur noch mit „Re-Nylon“ arbeiten können – wenn es eine Möglichkeit gibt, mit der Kreislaufwirtschaft zu arbeiten, sollte man das auch tun. Und Nylon ist eben Pradas Material par excellence, insofern ist das perfekt.

Und wie kam es zu der Idee, Schulen weltweit mit Webseminaren auszustatten und den „Sea Beyond“-Nachhaltigkeitswettbewerb auszuschreiben?

Vorweg, Sea Beyond darf gern auch von anderen Marken unterstützt werden, nicht nur von unserer Gruppe. Als treibende Kraft hinter dieser Initiative gemeinsam mit Unesco IOC geht es uns um das größere Bild. Das Wort „beyond“, also jenseits, steht ja für „über deinen Kreis hinaus“. Für die Kollektion aus „Econyl“, das aus Faser-Abfällen gewonnen wird, haben wir eine Dokumentation in Zusammenarbeit mit „National Geographic“ gedreht. Und wir fragten uns, wie sich das mit dem kulturellen Aspekt, mit der menschlichen Komponente verbinden lässt. Mit Kindern und Jugendlichen für die Zukunft zu arbeiten schien uns der richtige Weg – es ist einfacher mit ihnen.

Weil man sie leichter beeinflussen kann?

Ihr Gehirn ist wie ein Schwamm im Vergleich zu den älteren Leuten, das ist kein Vorurteil, sondern erwiesen …

Dafür erinnern die Älteren die Nylontaschen, für die Prada berühmt wurde, und kaufen sie besonders gern jetzt wieder aus Re-Nylon, oder?

Das stimmt, allerdings möchten wir die Jüngeren schulen und das „Ocean Competence“-Projekt erschien uns als sinnvollstes, es gibt uns die Möglichkeit, ein schönes Narrativ für die künftige Generation zu erzeugen – wir haben damit 2019 begonnen und haben nun zum zweiten Mal den Sea Beyond Award vergeben.

Sieht gut aus und ist aus gutem Stoff: ein Prada-Outfit aus Re-Nylon

Nicht nur die Projekte, auch die jungen Leute waren wirklich beeindruckend. Die Reden, die die nicht mal 15 Jahre alten Gewinner vom Newton College aus Lima bei der Preisverleihung in Lissabon hielten, waren geradezu Oscar-reif. Auch als ihr Lehrer sprach, dachte man, warum können Schulen nicht immer so sein? Fördernd und inspirierend. Stimmt Sie das zuversichtlich?

Ja. Und es erinnerte mich an ein Erlebnis in New York. Ich war unterwegs in New Jersey und beobachtete eine Gruppe von etwa zehn Kindern am Fluss Hudson. Sie benutzten Netze, und ich überlegte, ob sie auf der Suche nach Austern waren. Tatsächlich waren sie aber damit beschäftigt, Austern in den Fluss zu setzen, damit sie das Wasser reinigen. Ich war ziemlich beeindruckt, dass diese Zwölf- bis Vierzehnjährigen an einem Samstagnachmittag so etwas machten, statt Videogames zu spielen. Und es machte mich optimistisch, da man so was in der Vergangenheit nicht gesehen hätte, also ändern sich scheinbar Dinge. Wir müssen den Kindern einen Bezug zur Umwelt geben, damit sie wissen, was es bedeutet, ein intaktes Ökosystem zu erhalten, und was wir verlieren könnten.

In Sachen Klima gibt es viel zu tun. Warum haben Sie sich für den Ozean entschieden? Weil Ihr Vater passionierter Hochseesegler ist?

Es macht für Prada am meisten Sinn. Re-Nylon besteht aus recycelten Teppichen und Fischernetzen – mit den Teppichen kann man auch eine Geschichte erzählen, aber nicht so eine starke wie bei den Fischernetzen. Und wir können unsere Passion für die See und auch Luna Rossa einflechten.

Die Erfolgsgeschichte des Econyl-Herstellers mit den Teppichen und Fischernetzen ist vorbildlich – nicht nur, weil sie damit anfing, dass die Frau von CEO Giulio Bonazzi ihn dazu aufgefordert hatte, doch bitte etwas Nützliches zu machen, wie er gern erzählt…

Sie müssen sich unbedingt das Werk in Slowenien anschauen, Sie werden beeindruckt sein. Und überrascht sein, wie wertvoll Müll sein kann. Man denkt, das Wertvollste an den Fischernetzen ist Nylon, es ist aber das Kupfer.

Sie sind erfolgreich und viele Jahre Rallyes gefahren. War Nachhaltigkeit der Grund, weshalb Sie aufgehört haben?

Nein, ich denke nicht, dass der Motorsport das Weltklima beeinflusst, da gibt es ganz andere Faktoren, über die man sich Gedanken machen sollte … Es war mein Verantwortungsgefühl, das mich dazu gebracht hat, in die Firma einzusteigen, und die Umstände in dem Moment. Wenn Sie mich fragen, ob ich das Rallyefahren vermisse, ja, das tue ich.

Als Rennfahrer lernt man, mit Stress umzugehen. War das eine gute Vorbereitung auf eine Führungsposition in einem Mode-Konzern?

Der Stress ist vermutlich höher beim Rennen, aber die Frustration ist höher im Beruf. Bei Rallyes geht alles schnell; im Business hingegen laufen die Dinge langsamer, das kann nerven. Im Unternehmen riskiere ich allerdings nicht mein Leben.

Kompletter Prada-Look und der ikonische Rucksack aus Re-Nylon

Wie ist es mit der Risikofreudigkeit?

Sport bringt einem bei, sich jeden Tag mit der Konkurrenz zu messen. Man steht im Wettlauf gegen die Zeit oder spielt gegen einen Gegner. In einer Firma sieht man Resultate nach 10 bis 15 Jahren, und man kann nicht mehr zurück. Sport bringt einem bei, sich auf die Vorbereitung zu fokussieren. Das hilft im Beruf, wobei es nicht ums Risiko geht: Man arbeitet so gut man kann, und wenn man erfolgreich ist, gut, ansonsten, auch gut, und man überlässt jemand anderem den Posten. In dem Sinne hilft einem der Sport, sich selbst zu erkennen.

Sie hat leider an Wert und Gewicht verloren, aber wäre die Idee vom Fair Play nicht eine gute Basis für unseren Umgang mit der Natur?

Sie fehlt sicher manchmal beim Sport, aber im Business sollte man sich mehr Gedanken darum machen, man sollte sich von der Konkurrenz anregen lassen, um besser zu werden als sie. Genauso verhält es sich mit der Nachhaltigkeit. Ich bezweifle zwar nicht, dass immer nach der Fair-Play-Regel gespielt wird in CSR (Corporate Social Responsibility), aber manchmal wird es als Hebel benutzt, um den Gewinn zu erhöhen – nicht nur bei uns, viele profitieren davon.

Nachhaltigkeit also doch als Marketing-Werkzeug?

Es geht uns nicht um die Frage, warum wir es tun. Unser Fokus liegt darin, gute Projekte umzusetzen, und darin immer besser zu werden. Natürlich ist es fürs Marketing gut und für den Umsatz.

Tu Gutes und rede ruhig auch über Umsatz?

Ja, in den 80ern und 90ern wurde das Thema Nachhaltigkeit benutzt, um die Gesellschafter glücklich zu machen. Dann wurde das Konzept von CSR eingeführt, und so war nicht mehr nur der finanzielle Aspekt wichtig, sondern auch die Menschen, Arbeit und die Umwelt. Nachhaltigkeit muss also auch zwangsläufig in Verbindung mit Rentabilität und mit Menschen stehen, ansonsten gibt es keine Zukunft. Und das ultimative Ziel ist es, ein Gleichgewicht zu erlangen zwischen Mensch und Ökosystem. Das ultimative Ziel besteht darin, Nachhaltigkeit finanziell noch nachhaltiger zu machen. Es ist nicht alles so, wie es sein sollte, aber die Dinge bewegen sich, und das ist das Wichtigste.

Wenn ich ans Meer denke, werde ich demütig. Es ist so schön und zugleich eine solche Macht. So ein supermodernes Segelboot wie Ihre „Luna Rossa“ wäre ohne Meer nicht denkbar.

Wir sind ein Teil der Natur, nicht an ihrer Spitze. Egal, ob in einem Segelboot, im All oder auf dem Everest im Himalaya – man ist nur ein Teil von etwas sehr Großem. Diese Erkenntnis ist wichtig, um zu verstehen, dass wir das Gleichgewicht brauchen.

Lorenzo Bertelli bei Verleihung der Sea Beyond Initiative, ein Bildungsprogramm, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei Kinder und Jugendlichen fördert

Nachhaltigkeit hat ja mit der realen Welt zu tun. Auf der anderen Seite wird die digitale Welt immer präsenter.

Ich denke, es ist ein wenig wie die sozialen Medien, es handelt sich um eine weitere Möglichkeit zu kommunizieren. Was immer wir machen, es muss für die Menschen genauso nachhaltig sein wie für die Umwelt und für die Firma. Die Kunden entscheiden dann, zum Beispiel, ob sie eine echte Tasche kaufen möchten oder einen NFT. Mir ist es wichtig, dass die Botschaft dieselbe in allen Kanälen ist.

In der digitalen Welt kann man leicht die Verbindung zur Natur verlieren, oder?

Ich denke, man muss zumindest im Unternehmen dieselben Werte auf allen Kanälen und überall gleichermaßen rüberbringen, denn wir sind alle gleich.

Gab es einen Moment, wo Sie realisiert haben, dass Sie wirklich etwas ändern müssen?

Ja, als ich anfing, für die Firma zu arbeiten, habe ich sofort die Notwendigkeit verspürt und Möglichkeit gesehen. Das hängt natürlich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen zusammen, zum Beispiel, als ich Ski fahren wollte und es keinen Schnee gab – das hat mich sehr berührt.

Sie sagten vorhin, es gibt den privaten Lorenzo und den Business-Lorenzo – ist es nicht dieselbe Person?

Ja, absolut, nur dass er sich hier und da etwas anders verhält, aber Nachhaltigkeit ist für mich eine Herzensangelegenheit.

Interview
Inga Griese
Foto
Prada