Fashion Week

Eine neue Liebe für neue Kleider 

Sind Modenschauen noch modern?  Es ist eine provokante Frage, die Jonathan Anderson stellt, aber der Ire hat noch nie vor Provokation zurückgescheut. In einer überraschend aktiven Saison, in der sich viele Labels wieder auf den Laufsteg getraut haben, experimentiert der Chefdesigner von Loewe mit neuen Formen der Kommunikation jenseits der klassischen Show (an deren Zukunft er übrigens immer noch glaubt).

Er liefert seine neue Kollektion dem Publikum direkt vor die Haustür, nicht nur als virtuelles „Ereignis“, sondern als ein Paket, vielversprechend, persönlich, und vor allem analog. Steckte darin im Juli noch die neue Männerkollektion in Miniatur-Version – kleine Kleiderpuppen, die man vor einem szenischen Hintergrund aus Papier aufstellen konnte – dürfen die Frauenentwürfe nun in Lebensgröße beeindrucken. Und das tun sie: Das Loewe-Team konzipierte ein Do-it-Yourself-Tapetenset, mit einem Tapetendesign der Künstlerin Anthea Hamilton. Dazu Pinsel, Kleber, lebensgroße Lookbook-Fotos der Models in neuen Entwürfen, die man über die Tapete kleben sollte – eine Art anspruchsvollerer Bravo-Starschnitt für Fashion-Fans. Und eine geniale Idee, die dazu motiviert, sich mit der Kollektion auseinanderzusetzen und sie nicht nur in Form noch eines Filmchens apathisch am Bildschirm anzustarren.

Loewe

Wie viel würde einem da entgehen, von diesen wunderschönen Kleidern, die der Lockdown aus Andersons Gedanken herausgekitzelt hat. Mehrlagige, Krinolinen-artige Röcke, ein Cape aus dicht geflochtenem Leder, Ballonärmel, verknotete Strickkleider, über und über mit Pailletten in Regenbogenfarben bestickt. Mode für den nächsten Frühling? Nein, Mode für das jetzt, die zum Träumen anregt, die Gedankenflucht ermöglicht, die selbstbewusst erklärt, warum wir auf Mode nicht verzichten können.

“Mode ist weiterhin unglaublich wichtig, nicht nur, weil die Branche einer der größten Arbeitgeber der Welt ist”, sagte Anderson in einem Zoom-Call mit uns. “Aber wir müssen noch besser werden, noch härter arbeiten. Denn Mode wird noch wichtiger werden, je mehr das Digitale übernimmt und je weniger wir im Leben noch echtes Handwerk sehen.” Anderson hofft auf eine Renaissance. Er hat sie schon erlebt, zumindest ein bisschen. Während des Lockdowns sei er der Mode fast etwas überdrüssig geworden. “Dank dieser Kollektion habe ich mich wieder in Kleider und Modedesign verliebt.” Wir uns auch.

 

 

Text
Silvia Ihring