FW23 Paris Men’s Fashion Week

Die moderne Rüstung

Mittags im Pariser Tennisclub: Einige Models trugen kleine, goldene Flügel zu hinten geöffneten Oberteilen, die an OP-Hemden erinnern. Gestutze Träume eines Schuljungen? Designer Jonathan Anderson vermag es immer tief in die Kiste der Imagination und Künste zu greifen, seine gestalterische Antwort auf die Gegenwart kommt quasi unvollendet daher. Etwas fehlt immer wieder mal. Oder ist nicht an dem Platz, wo es – vermeintlich – hingehört.

Im Zentrum standen drei eigens für die Show beauftragte Kunstwerke von Ölgemälden des Amerikaners Julien Nguyen. Die Szenografie der Show zeigte zwei digitalisierte Grossformate; die subversive Darstellung eines „Schuljungen“.

Ein halbnackter Jüngling, tätowiert mit machtvollen Liebes-Symbolen und Zahlen, bindet sich selbstvergessen und mit melancholischem Gesichtsausdruck in einem Hotelzimmer eine Krawatte – die so ganz und gar nicht sitzt, ein Schuluniform Accessoire, das keinen Halt mehr gibt.

Wie soll der junge Mann sein?

Und so war es auch eine intime und reduzierte Kollektion, die Jonathan Anderson diesmal auf dünne und verletzlich wirkende Männerkörper schneiderte. Zarte Models mit Gothic-Kontaktlinsen, die in knöchellangen Tuniken, einen Arm wie gebrochen vor sich hertragen, während der Ärmel lose am Körper baumelt. Dann aber auch gewölbte Jacken wie eine Rüstung, die dicken Teddy-Kurzmäntel, sicher generell ein Trend, aber bei Anderson kommt die subtile Komponente hinzu: Loewe ist spanisch, doch Anderson Ire, die „Teddys“ gehören zum britischen Kulturgut.

So wie die Gemälde durchaus als Referenz verstanden werden können, auch sie sind Verletzungen ausgesetzt, so scheinen die schmalen Männer in den XXL-Mänteln und Anzügen fast zu verschwinden, so, als scheine das alte Männerbild in Auflösung begriffen: Zu lange Ärmel unter runden, nahtlos in Form gepresste Schulterpartien, viel zu breit für den Körper darunter.

Aber sie laufen voran in ihrer Rüstung.

Fotos Molly Lowe & Loewe