In Mailand trifft Kunst auf Architektur, Geschichte auf Gegenwart, Mode auf Design. Wir haben für ein Shooting alles verbunden und baten Persönlichkeiten der italienischen Designszene in die prächtige Barockkirche San Paolo, aus der die Architekten Locatelli Partners ihr Büro machten.
Design mit Segen
ICON: Herr Locatelli, haben Sie gezielt nach einer Kirche als Ort für das Büro gesucht?
Nein. Ich bin durch reinen Zufall daran geraten, als ich ein kleines, extrem schmales Stadthaus aus dem 18. Jahrhundert renovierte, um es selbst zu bewohnen. Es gehört der Kirche, die mir dann auch San Paolo zur Miete anbot. Sie ist seit dem Zweiten Weltkrieg entweiht, aber komplett erhalten. So eine Gelegenheit bekommt man nicht zweimal im Leben.
Hatten Sie gleich eine Idee, wie daraus ein Büro werden könnte?
Eigentlich ist es meine Gabe, in einem Raum sofort das Potenzial zu sehen. Aber San Paolo war wirklich schwierig. Nicht nur, weil der Bau ein nationales Monument ist, an dem man praktisch nichts verändern und vor allem die Wände nirgendwo berühren darf, sondern auch wegen seiner Atmosphäre. Selbst wenn man nicht religiös ist: Es ist eine Kirche! Man kommt rein, da ist der Altar, das Kruzifix, all diese Symbole, dazu die ungeheuren Dimensionen, die Präsenz der frühbarocken Malereien – davon will man nicht ständig verschlungen und erschlagen werden. Also wollte ich die Balance finden zwischen der Stärke des Gebäudes einerseits und meinem Stil, meiner Ästhetik andererseits. Der Schlüssel war, den Kirchenraum als Umgebung, fast wie eine Landschaft zu begreifen.
In die haben Sie Ihr eigenes Haus gebaut: Ein viergeschossiges Gerüst, in dem Sie mit Ihren 60 Mitarbeitern arbeiten.
Genau. Da sitzen wir jetzt drin und schauen hinaus.
Ihr Büro liegt direkt unter der reich bemalten Decke. Wie fühlt es sich an, so nah an den Fresken zu arbeiten?
Es ist ein Privile. Das spürt man umso mehr, als die Fresken aus der Nähe natürlich die falschen Proportionen haben. Gerade die gemalte Architektur, die Säulen, Kassettendecken und Balustraden vortäuscht, muss man eigentlich von weit weg, von ganz unten sehen. Die Fresken stammen von den Brüdern Campi, Antonio, Vincenzo und Giulio, berühmten Malern aus der Lombardei. Es heißt, sie hätten auch Caravaggio inspiriert.
Haben Sie sich verändert, seit Sie in einer Kirche arbeiten? Wurden Sie gläubiger?
Nein. Aber ich habe an mir ein neues Faible für Stehkragen und weiße Hemden zu dunklen Pullis festgestellt: Ich kleide mich jetzt irgendwie priesterlicher.
Elena Salmistraro
Elena Salmistraro ist Produktdesignerin und Künstlerin zugleich: Ihre grossen, bunten Deckelvasen in Form stilisierter Affenköpfe für die Keramikmarke Bosa waren die Entdeckung auf der Mailänder Möbelmesse 2017. Die Mailänderin, die 2008 ihren Abschluss am Politecnico Milano machte, führt seit 2009 ihr eigenes Design-Büro und arbeitet auch für Firmen wie Bitossi oder Alessi, realisiert Installationen für Nike, Replay oder Timberland. Ihre Arbeiten, knallbunt und aus geometrischen Formen zusammen gepuzzelt, sind wie Stimmungsaufheller ohne Nebenwirkungen. Nur bei ihrem neuesten Projekt kann einem schwindelig werden – so psychedelisch sind die Teppiche für die niederländische Marke Moooi, die mit organischen Umrissen und wild wabernden Mustern räumliche Tiefe vortäuschen. „Space .Escape“ nennt sie die Kollektion, die viel zu schön ist, um auf dem Boden zu liegen. “Design ist die neue Kunst“, glaubt Elena Salmistraro. „Das ist mein Moment!“
Stefano Seletti
Stefano Seletti ist CEO und Artdirector der Marke, die seinen Namen trägt. Seletti, 1964 von seinem Vater nahe Mantua gegründet, steht für exzentrische Möbel und Wohnaccessoires und „das Gegenteil von skandinavischem Design“, wie er sagt. Vor allem Tiere haben es ihm angetan. Zum Shooting brachte er „Jobby“ mit, einen lebensgrossen Kunstharzkater mit Leuchtaugen, den das niederländische Duo Studio Job entworfen hatte. Auch Äffchen, Mäuse, Geckos und Vögel gehören zur Seletti-Kollektion – alle sind unifarben, lebensecht in der Form und halten eine Glühlampe. Ganz neu dabei ist ein Jack Russell Terrier. Statt eines Stöckchens trägt er den abgebrochenen Arm eines Lüsters im Maul – eindeutig ein besonders temperamentvolles Exemplar seiner Rasse. Seine Vorlage ist Rio, Stefano Selettis eigener Hund. Vielleicht ganz gut, dass er nicht den mit in die Kirche brachte.
Giulia Molteni
Giulia Molteni ist mit und in der Möbelfirma gross geworden, die ihr Grossvater vor mehr als 80 Jahren gründete. Trotzdem ging sie selbst zunächst eigene Wege. Nach dem Wirtschafts- und Marketing-Studium in Mailand und New York arbeitete sie vier Jahre im New Yorker Büro der Modemarke Loro Piana. 2007 kehrte sie „aus Heimweh“ zurück – nach Italien und ins Unternehmen. Heute ist die Mutter von drei Kindern Kommunikations- und Marketing-Chefin von Molteni – und eine leidenschaftliche Verehrerin des italienischen Allroundgenies Gio Ponti: Seit 2012 hat die Firma eine „Heritage Collection“ mit zuvor nie produzierten Möbelentwürfen im Programm. Der Mode ist sie Giulia Molteni trotzdem treu geblieben. Nicht nur durch die ausgefeilten Schrankmöbelprogramme des Unternehmens, die jeden Fashion Victim glücklich machen. Sondern auch ganz persönlich: Fürs Shooting trug sie das Kleid einer befreundeten Modedesignerin.
Matteo Galimberti
Matteo Galimberti ist zehn Jahre lang professionell Autorennen gefahren. Dann wurde es seiner Frau zu gefährlich, und er trat mit 26 die die Firma seiner Familie ein, Flexform. Dort musste er, gerade als Galimberti, „venire dalla gavetta“, sich von der Pike hocharbeiten. Heute ist der dreifache Familienvater Verkaufsleiter für Italien und leitet mit seinen drei Cousins das Unternehmen, das vor allem für seine zeitlos schönen, super bequemen und hervorragend verarbeiteten Polstermöbel bekannt ist – alles „Made in Italy“. Dass der Salone, die alljährliche Mailänder Möbelmesse, in diesem Jahr coronabedingt ausfallen musste, war „eine Herausforderung“, wie Galimberti sagt, nicht nur für Flexform, das zu Italiens wichtigen Designfirmen gehört, sondern auch für ihn persönlich. Mit dem Salome ist er aufgewachsen „ich fühle mich als Teil von ihm“, sagt er. Jetzt zeigt Flexform seine Neuheiten – wie das Sofa „Gregory“ von Antonio Citterio – stattdessen peu à peu im Netz – in einer tollen, überraschenden Inszenierung.