Haute Couture

Ausserirdisch schön

Absagen, weil die Bronchitis nach einem Shooting in Brasilien kurz zuvor heftiger geworden ist? Auf die Idee kommt Leonie Hanne (34) vielleicht, aber es widerspricht ihrem Ethos, es tatsächlich zu tun. Auf sie ist Verlass, auch einer der Gründe, warum sie die Rangliste der deutschen Influencerinnen anführt. „Von Herzen gern“, sagt sie oft und gern, sie ist ein herzlicher Typ. Und ein Haute Couture Shooting in Paris, wie wir es für ICON verabredet und organisiert hatten, das wollte sie immer schon machen. Von Herzen gern. Also setzten sie sich in den Zug aus London, sie und ihr Partner und Manager Alex Galievsky, dessen Tätigkeit mit dem Begriff „Insta-Hubby“ nur unzureichend beschrieben wäre, sie kennen sich seit Studienzeiten und teilen sich das Mastermind hinter der Luxusmarke Leonie, die mit 4,5 Millionen Followern auf Instagram auch das beste sogenannte High-End-Following hat, also tatsächlich relevante Umsätze bei Luxusmarken mit ihren Posts und den Aktivitäten auf ihrer Homepage erzeugt. Wobei, auch das gehört zum Markenkern, sie hat auch mit weniger luxuriösen Brands zusammengearbeitet. Von Herzen gern. Und egal wie anstrengend. Kürzlich hat sie auf Netflix „Dubai Bling“ geschaut, und dann festgestellt, dass jede der Hauptdarstellerinnen ihr folgt. Und es begeistert kommentieren, wenn sie High-End-Looks trägt. Leonie hat aber noch eine andere Gabe, sie erzählt gern und überschwänglich.

A film by Esther Haase

Production & Music by NHB Studios

Wie hat es angefangen mit deiner Influencer Tätigkeit?

Wohl gegenteilig zu jedem Gen-Z-Menschen da draußen. Ich war sehr gut in der Schule, habe studiert, war im Otto-Konzern im Führungskräfte-Nachwuchsprogramm, hatte früh Verantwortung. Influencer kannte ich von Instagram. Aber alle fragten immer: ‚Du in einem Konzern?‘ Ich hatte ja als Teenager selbst verrückte Träume: wollte Zirkusakrobatin oder Viva VJane sein. Aber weil ich recht analytisch und selbstkritisch veranlagt bin, konnte ich dieses Spielerische nicht wirklich greifen. Nach dem Abi hatte ich überlegt zu modeln, war auch in einer Modelagentur. Aber mir wurde klar, dass das nichts für mich ist: Den Kopf nicht benutzen, keine eigene Meinung haben. Die Leute gucken, wie du aussiehst, bewerten nur dein Aussehen.

 

Aber geht es Influencern nicht genauso? Stört es dich nicht, dass Influencer generell nicht für ganz helle und oberflächlich gehalten werden?

Ich glaube, dass das primär sehr deutsch ist, es ärgert mich nicht, ich bin eher enttäuscht. Ich habe drei akademische Abschlüsse, ich war gut genug als Strategieberaterin, bin immer noch die gleiche Person, habe mich nicht verändert, halte mich für bodenständig. Warum sollte ich aufgrund meiner Berufswahl auf einmal anders behandelt werden? Gerade in einer Branche, in der angeblich alles so inklusiv ist?

Fehlt es in Deutschland noch immer an Verständnis für Mode?

Mode an sich ist spannend, tiefgründig und eher Leute, die keine Ahnung davon haben, denken, dass sie etwas für oberflächliche Menschen ist. Die Diskussion habe ich in der 12. Klasse schon mit meinem Philosophielehrer geführt. Ich habe im Speckgürtel von Hamburg gewohnt, war in meinem Umfeld die Einzige, die sich für Mode interessiert hat. Auch in meiner Familie. Habe als 16-Jährige bei Vero Moda angefangen zu jobben, das war die erste Marke, die in meiner Kleinstadt eine eigene Boutique eröffnet hat. Niemand hat meinen Traum verstanden.

Pumps mit angedeuteten Goldzehen: Schiaparelli Haute Couture
In der Métrostation „Rue de Bac“: „Déshabillé“-Kleid aus schwarzem Samt, Kopfschmuck aus Gold und Strass mit blassgrünen Perlen als Trauben sowie Pumps mit Goldzehen: Schiaparelli Haute Couture.

Und dann?

Sah ich Influencer, alle super kreativ, die es selbst in der Hand hatten. Sich selbst stylen, fast wie bei einem Magazin. Und nicht zu jung für die Karriere waren. Denn das war immer mein Problem im Konzern. Ich galt als out of the box. „Mensch, Frau Hanne, Sie sind noch so jung. Warten Sie noch mal zehn Jahre.“ Ich fand aber immer schon, dass sich eine gute Idee durchsetzen sollte, egal, wie alt man ist. Oft hörte ich von jungen Kolleginnen „Du passt hier gar nicht rein, liebst Mode, gehst nach Feierabend zu Zara, kaufst coole Taschen. Warum machst du nicht etwas anderes?“

Bustier, Hemd aus Seidenorganza und Rock aus Shantung-Seide, Stiefeletten und Sonnenbrille: Christian Dior Couture

Was du 2014 schließlich tatest. Hattest du Zweifel?

Alles lief wunderbar, ich hatte im Hinterkopf immer den Traum von einer eigenen Homepage, aber auch die Frage: warum ich? Warum sollten sich Menschen Fotos von mir anschauen? Von meinen Outfits? Gerade als Deutsche, die Fankultur ist hier ja nicht so ausgeprägt. Aber 2014 fing ich an, bei „Kleiderkreisel“ meine Klamotten zu stylen, zu fotografieren und zu verkaufen. Ich war kamerascheu und habe meine Mitbewohnerin gestylt und sie für die Webseite fotografiert. Wir hatten unterschiedliche Hosengrößen, also musste ich irgendwann mit auf die Fotos. Ich habe mir Aktionen überlegt, die ich in meinem Wohnzimmer präsentierte, nach wenigen Wochen hatte ich an meinen sonntäglichen Verkaufsabenden plötzlich tausende Aufrufe auf dem Profil, das noch nicht mal unter meinen Namen lief. Selbst im Büro wurde ich angesprochen. Egal, was ich gemacht habe, die Leute wollten mehr. Das war so reizend. Ich liebe alles, was mit dem Job kommt, aber bin noch heute ein bisschen schüchtern.

Trotz des Erfolges?

Man wird hier immer noch sehr beurteilt. Auch wenn es mir nichts ausmachen sollte, daran arbeite ich noch. Auch im Ausland werde ich beim Fotografieren nur von deutschen Touristen beleidigt. Sogar in Hamburg hat mich neulich erst ein Vater zweier Töchter nachgeäfft, als er an mir auf der Straße mit ihnen vorbeilief. Er tat so, als ob er High Heels trägt. Und lachte mich dabei aus. Warum? Jeder Mensch möchte doch seine Karriere verfolgen? Das ist ein Grund, weshalb ich viel Zeit in London verbringe. Ich habe aber kein Problem, damit dafür zu kämpfen. Es sollte jeder eine Chance bekommen. Im Amerikanischen heißt es nicht Influencer, sondern Talents, das mag ich.

In einer Suite im „Plaza Athénée“: Mit Perlen besetztes Etuikleid aus schwarzem Jersey von Alexis Mabille
Im Café „Aux Vieux Garçons“ trägt Leonie ein gehäkeltes Korsagen-Kleid auf Illusions-Tüll und Kopfbedeckung: beides Dolce & Gabbana Alta Moda.

Wann ist dir klar geworden, dass man damit viel Geld verdienen kann?

Meine erste Rechnung habe ich über 50 Euro gestellt. Es hat Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich damit richtig Geld verdienen kann. Ich kenne auch Influencer, die eine Millionenreichweite haben und es nicht richtig schaffen, ihre Kanäle zu monetarisieren. Es hilft, wenn Marken dich, deine Arbeit und deine Persönlichkeit gut finden. Und wenn man gut verkauft wie ich, ist man in einer guten Position. Und vielleicht mögen Brands immer noch die Influencer der Stunde null so gern, weil sie aus Liebe zum Produkt und zum Stylen angefangen haben, nicht aus Gier auf Karriere oder Berühmtheit. Alex und ich arbeiten ständig, wir wissen um die besondere Situation, sind auch heute noch realistisch, wissen, dass das alles sehr besonders ist. Wir behandeln jeden Job mit Respekt. Denn alles, was aktuell passiert, ist außerhalb von dem, was ich mir je erträumt habe.

 Ausserirdisch schön

Wir stellten uns vor, eine Schönheit vom anderen Stern landet in Paris und entdeckt eine Stadt und ihre Schneiderkunst, die Haute Couture, die Moden und Zeiten überdauert. Leonie Hanne spielte mit

 

Bustierkleid aus Lackspitze und Organza von Alexandre Vauthier Couture.
Samtkleid, bestickt von Maison Hurel: Didit Hediprasetyo. Haute-Joaillerie- Uhr „Panthère“ mit einem Beryll, gelben Turmalinen, Smaragdaugen, Fancy-Yellow-Diamanten und Onyx sowie 397 gelben, orangefarbenen und braunen Diamanten. „Clash“- Ring und -Ohrring mit Diamanten im Brillantschliff und Onyx: alles von Cartier
Federbrille: Valentino Couture. Ohrclips und Armreif mit Diamanten: Tiffany & Co. „Schlumberger“-Kollektion
Bustier-Glockenkleid aus grünem Seidentwill und Opernhandschuhe: beides von Balenciaga Couture.
3-D-Lebensbaum-Kleid von Hand bestickt auf Tüll mit „Zari“-Fäden, Pailletten, Perlen und Metallschnüren von Rahul Mishra
Mit Pailletten besetztes Kleid: Julie de Libran. „Serpenti“-Ring mit Marquise-Paraíba-Turmalinen im Brillantschliff, Smaragden und Diamant-Pavé. „Serpenti“-Armreif mit Marquise-Paraíba-Turmalinen im Treppenschliff sowie Smaragden und Diamant-Pavé. „Serpenti“-Collier mit zwei birnenförmigen Diamanten im Brillantschliff und Diamant-Pavé: alles von Bulgari High Jewelry.
Mit Spiegelpailletten und Straußenfedern bestickter Jumpsuit und Ohrring: Giambattista Valli Haute Couture.
Kimono-Cape aus Organza mit Federn sowie Chiffon-Overall mit Federn und Steinen bestickt: beides von Valentino Couture. High-Heels: Aquazzura
Fotografin
Esther Haase c/o Schierke Artists
Styling
Silja Lange
Model
Leonie Hanne
Haare
Sandra Hahnel
Make-up
Chynara Kojoeva
Styling-Assistenz
Katrin Sillem
Foto-Assistenz
Laurent Friquet; Roy Borges-Lopez
Produktion
Jacqueline Pusch
Digital Operator
Clémentine Fumeau
Interview
Inga Griese
Film:
Esther Haase
Produktion & Musik
nhb: Florian Bauer, Jörg Fudickar & Hakan Zscherpe