Der italienische Kaschmirunternehmer und Philanthrop Brunello Cucinelli hat in Umbrien ein Dorf vor dem Verfall gerettet und den Bewohnern eine Perspektive gegeben. Zeit für einen Besuch.
Das Leben in Solomeo

Es empfiehlt sich sehr, in Solomeo an einem der kleinen Tische mitten im Ortskern Platz zu nehmen. Am besten im Schatten, wo man geschützt vor der Sonne die changierenden Farben des jahrhundertealten Backsteins, aus dem die Häuser gebaut sind, begutachten kann. Ruhig ist es, hin und wieder hört man ein Auto vorbeifahren, hin und wieder sieht man jemanden zur Brunello-Cucinelli-Boutique spazieren, die nur wenige Schritte entfernt liegt.
Wer genug geruht hat, spaziert hoch zur „Cima“, so heißt die dicht bewachsene Anhöhe, die Solomeo malerisch umrahmt. Durch einen kleinen Olivenhain gelangt man zu einem Wald aus Zypressen, Pinienbäumen und Eichen, den die Einheimischen seit Jahrhunderten als eine Art Schutzengel des Ortes betrachten.
Die Villa von Brunello Cucinelli, Kaschmirunternehmer und Philanthrop, verfügt über einen weitläufigen Garten mit privatem Pfad zum Wald. Man kann sich gut vorstellen, wie der 66-Jährige in ruhigen Momenten auf eben diesem Pfad seinen Gedanken nachhängt, begleitet von knackenden Ästen und zirpenden Grillen. Ziemlich oft drehen sich seine Gedanken um die philosophischen Lehren eines Plato oder Kant, deren Werke er seit dem Teenageralter kennt und dennoch immer wieder liest. Sie sind indirekt dafür verantwortlich, dass Solomeo heute das ist, was es ist: Eine selbstbewusste, lebendige Gemeinde, die ihre Geschichte pflegt und den Neuanfang geschafft hat, ohne sich als Touristen-Spielplatz verkaufen zu müssen. Deren Mitglieder einer Arbeit nachgehen, die sie ernährt und ihre Würde respektiert.
Cucinellis philosophisch geprägte Ideale motivierten ihn vor 34 Jahren dazu, als Unternehmer Verantwortung für das Land und die Menschen zu übernehmen, die seiner Firma zum Erfolg verhelfen sollten. Die Ursprünge dieses kleinen Dorfes in der umbrischen Provinz nahe Perugia liegen im 13. Jahrhundert, doch ein weitaus bemerkenswerteres Kapitel in seiner Geschichte ist seine Wiedergeburt, die in den 80er-Jahren begann und bis heute anhält. Über die Geschichte, wie er diese Wiedergeburt initiierte, hat Cucinelli inzwischen ein Buch veröffentlicht (bei Feltrinelli erschienen).
Mit 17 Jahren kam der im benachbarten Castel Rigone geborene Modemacher zum ersten Mal nach Solomeo, es war der Heimatort seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau Federica. Von ihr abgesehen, gab es in Solomeo nicht viel: das Zentrum ausgestorben, die Häuser und die Kirche dem Verfall überlassen. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis Cucinelli diesen Prozess stoppen würde.





1985, sieben Jahre nach der Gründung seiner Marke, investierte er in die Restaurierung des Ortskerns, ließ die nach dem Heiligen Sankt Bartholomäus benannte Kirche sowie die sie umgebende Piazza della Pace renovieren, baute ein Theater. Nach und nach kaufte Cucinelli auch die Ländereien und Fabrikgelände um Solomeo auf, die Olivenhaine und Obstplantagen und Weingärten. Überall wird nun gewirtschaftet. In den Fabriken entstehen Cucinellis Kollektionen, auf den Plantagen werden Trauben für den ersten eigenen Wein angebaut, das Schloss von Solomeo beherbergt eine Schule für Schneider- und Handwerk.
Solomeo ist dem Schicksal vieler mittelalterlicher Dörfer Italiens entkommen, denen ihre Schönheit oft wenig genützt hat. Pittoresk gelegen, blickt man von ihnen aus meist auf eine Umgebung aus saftig bewachsenen Hügeln und weitläufigen Ländereien, sie kuscheln sich ein hinter massiven, bröckeligen Mauern, denen man ihre jahrhundertealte Geschichte ebenso ansieht wie den Kirchen, Schlössern und Herrenhäusern, die sie schützen.
Doch wohnen will hier oft niemand mehr. Um die 2500 ländlich gelegenen und verlassenen Dörfer soll es in Italien laut einer Erhebung von 2016 geben, tote Orte, deren geschichtsträchtige Gemäuer den Einwohnern jedoch keine Zukunft bieten konnten, wenn Arbeit fehlte. In Solomeo kann man nicht nur überleben, sondern leben. Klar, es gibt viel zu arbeiten, doch auch Freizeit schreibt der Chef vor. Die kann man auf eigens gebauten Fuß- und Volleyballplätzen verbringen. Oder man setzt sich an einen der kleinen Tische im Zentrum. Und ruht sich aus. Am besten im Schatten.





