Christoph Ingenhoven hat den „Lanserhof Sylt“ entworfen. Das Health Resort ist ein spektakuläres Gebäude, doch seine Essenz liegt in der Reduktion. Wir sprachen mit dem Architekten.
EINE DÜNE
FÜRS DETOXING
Gut 20.000 Quadratmeter Gesamtfläche, das größte reetgedeckte Dach Europas, weit mehr als 100 Millionen Euro Baukosten und ein Architekt mit weltweitem Renommee: Der Düsseldorfer Christoph Ingenhoven hat in List das Gesundheitsresort „Lanserhof Sylt“ gebaut. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne von 1934 entstand ein Ensemble aus fünf Häusern, die sich um das erhaltene Offiziersheim gruppieren: 69 Zimmer, Diagnostik, Therapie. Die Essenz liegt in der Reduktion. Kein Wunder. Ingenhoven steht für energieeffizientes, ressourcenschonendes –und zugleich schönes Bauen. Zum Interview schaltet er sich aus dem Homeoffice zu. Es ist sehr aufgeräumt. Er auch.
Herr Ingenhoven, der Bau prägt schon jetzt die Insel: Wenn man auf der Hauptstraße nach List fährt, erhebt sich hinter der mächtigen Wanderdüne auf der linken Seite plötzlich rechter Hand ein hohes, riesiges Reetdach. Das Erste, was man denkt, ist: „Jetzt macht er noch eine Düne.“ Ist das die Art, wie Sie die Landschaft in Ihr Projekt aufnehmen?
(lacht) Ja, das wäre eine gute Beschreibung unseres Entwurfsgedankens! Sylt ist ja selbst eine Düne und wäre normalerweise immer in Bewegung, würden die Menschen sie nicht in Schach halten. Bauen auf der Insel heißt deshalb immer auch, dass man Teil der Düne ist.
Warum ist die Umgebung so wichtig für Ihre Projekte?
Wir meinen mit Landschaft nicht nur die Natur, sondern auch die Kulturlandschaft: Welche Bauformen die Menschen gefunden haben, um mit den sie umgebenden Gegebenheiten klarzukommen. Das alles interessiert uns sehr, und wir haben gesagt: Wir bauen ein großes Friesenhaus, nur experimenteller.
Was ist neu an Ihrem Friesenhaus?
Wir haben das Haupthaus auf Stützen gestellt und konnten das Erdgeschoss so rundherum verglasen. Zum anderen ist es dessen Dachform. Auf den ersten Blick wirkt es gerade abfallend. Aber die Firstlinie und die Traufkante bewegen sich rauf und runter – so haben wir das Dach zum Schwingen gebracht. Reet ist ein formbares Material, man kann sehr gut damit spielen. Schon als ich als Jugendlicher in den Ferien auf der Insel war, habe ich mir vorgestellt, dass man damit die Dächer weicher, runder machen könnte. Solche Ansätze gab es bereits in den 1930er- und 40er-Jahren. Wir sind also nicht die Ersten, die vom Traditionellen abgewichen sind, doch hat sich bisher niemand so weit gewagt.
Das Dach sieht, zumindest wenn man nach List reinfährt, ziemlich einschüchternd aus.
Die Düne, auf die wir das Haupthaus gebaut haben, mussten wir im oberen Teil quasi abräumen und nach dem Bauen wieder angleichen. Die Stelle, von der Sie sprechen, ist die mit Abstand schwierigste des Projektes gewesen, weil das Haus hier hoch ist und am höchsten Punkt der Düne steht. Es bestand die Gefahr, dass das unharmonisch aussehen würde. Jedoch ist es genauso geworden, wie wir wollten. Ein Kontinuum von Haus und Düne, unterbrochen nur durch das verglaste Erdgeschoss. Wenn das Dach durch die Witterung richtig grau geworden ist, wird das noch überzeugender sein.
Von Ihnen stammt auch der „Lanserhof am Tegernsee“, der Erweiterungsbau des Stammhauses in Lans und der „Urban Lanserhof“ in London. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Gruppe?
Ich war hin und wieder Gast im ersten Lanserhof in Lans. Vor gut zehn Jahren sprach mich Christian Harisch, der Inhaber, an: Er wolle am Tegernsee bauen, ob ich mir das mal ansehen könnte. Seither hat sich eine intensive Zusammenarbeit entwickelt, bei der sich Christian Harischs Kenntnis über Architektur und meine über die Lanserhof-Medizin stark gesteigert haben.
Im Lanserhof geht es, sehr verkürzt gesagt, ums Detoxing. Was kann die Architektur dazu beitragen?
Das Konzept besteht aus der Reduktion von Dingen, die wir uns zuführen. Dazu gehört, dass wenig zwischen Mensch und Natur steht. Deshalb ist das Glas im Lanserhof immer transparent. Jedes Zimmer hat einen eigenen Außenbereich. Es gibt Außenschwimmbäder mit Salzwasser. Und man darf nicht vergessen: Sie sind da nicht immer bestens gelaunt, es tut auch weh, insbesondere die ersten Tage sind eine Belastung für den Körper. Sie sind unter totalem Entzug, deshalb brauchen Sie Platz, den Abstand zum Nächsten! Der Luxus, den wir bieten, ist nie die Opulenz des Dekors, der Oberflächen oder der Materialien, obwohl diese sehr edel sind. Es gibt nicht einmal Kunst. Es ist total reduziert. Aber: Es gibt Platz!
Wie erklärt sich dann die „Wow“-Treppe im Zentrum des Haupthauses?
Wir haben in allen Projekten einen Punkt geschaffen, der stark zur inneren Orientierung beiträgt. Am Tegernsee ist das Gelände um einen Hof gruppiert. Da reicht ein Blick aus dem Fenster und Sie wissen, wo Sie sind. Auf Sylt ging das nicht. Hier brauchten wir für die Abwicklung Flure. Doch die haben wir in der Mitte ausgeweitet, sodass sie wie Räume erscheinen. Sie sind offen zur Treppe, die alle Ebenen miteinander verbindet, sie ist der Identifikationspunkt.
Was waren die größten Herausforderungen bei Planung und Bau?
Wir hatten es mit Denkmal-, Dünen-, Vogel-, Natur- und Küstenschutz zu tun, eigentlich alles Verunmöglicher eines solchen Projektes. Aber wir haben in einer sehr intensiven Diskussion mit der Inselverwaltung, dem Kreis und der Landesregierung in Kiel Lösungen gefunden. Auch das Argument, dass der Lanserhof Ganzjahresarbeitsplätze für 150 bis 200 Mitarbeiter bietet, spielte eine Rolle. Zudem stehen wir nicht im Wettbewerb zu anderen touristischen Angeboten auf Sylt, der Lanserhof weist in eine Richtung, in die sich die Insel verstärkt entwickeln möchte.
Es hat viele Diskussionen um das Projekt gegeben. Wie sind Sie damit umgegangen?
Es gab anfänglich großes Misstrauen, auch Gegnerschaft. Und es gab Artikel dagegen. Es ist oft eine kleine Minderheit, die sich, manchmal lautstark, auch in Gemeinderatssitzungen zu Wort meldet. Bei diesen Diskussionen war ich immer dabei. Ich glaube, als Architekt konnte man da eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur durch die Kenntnis des Lanserhofs und auch innerhalb des Unternehmens, sondern auch ein bisschen als Ermöglicher und diplomatischer Verbinder. Es ist uns immer gelungen, durch Reden miteinander, durch Aufklären heil, friedlich und konstruktiv herauszugehen. Diese Art der Kommunikation führt dazu, dass man selbst lernt. Ich lege großen Wert darauf, dass die Dinge, die wir tun, erklärbar sind. Wenn sie es nicht sind, merkt man es in diesen Diskussionen. Dann muss man es noch einmal ändern.