Die Langen Foundation in Neuss ist nicht nur einer der schönsten Ausstellungsorte der Welt, sondern auch ein Werk der Liebe: Privat finanziert und kenntnisreich geführt von den Erben der Gründer. Ein Gespräch.
„Das größte Kunstwerk, das ich mir je geleistet habe“
Hinter Holzheim geht es ins Nirgendwo. Eine schmale Straße führt aus dem Ortsteil von Neuss einen sanften Hügel hinauf, rechts und links sind Felder, der Blick geht auf den A46 und ein paar Inseln aus Gebüsch. An der halbrund geschwungenen Betonwand, die linker Hand auftaucht, fährt man fast vorbei – es ist der Eingang der Langen Foundation. Das private Museum gehört zur Raketenstation Hombroich einer ehemaligen Nato-Basis in der Nähe von Neuss, die jetzt Museumsgelände ist, und der Bau verbirgt sich perfekt in der Landschaft, die ohne ihn bloß Ackerland wäre.
Der Entwurf stammt vom japanischen Pritzker-Preisträger Tadao Andō und besteht aus zwei Baukörpern: einem kleineren, knapp fünf Meter schmalen Betonriegel unter einer Glashaube und einem weit größeren, aber kaum sichtbaren, der zu drei Vierteln seiner Höhe in die Erde gegraben ist. Begrünte Wälle umfassen das Ensemble. Das Haus ist ein diskretes Spektakel, ein Kleinod, das sich selbstbewusst zurückhält. Marianne Langen (1911 – 2004) nannte es „das größte Kunstwerk, das ich mir je geleistet habe“.
Mit ihrem Mann, dem Düsseldorfer Ingenieur und Unternehmer Viktor Langen (1910 – 1990) hatte sie eine Sammlung von Weltniveau zusammengetragen: moderne Kunst aus dem Westen – und alte Kunst aus Asien und Südamerika. Beide stammten aus wohlhabenden Familien, Viktor Langens Vater besaß eine Schraubenfabrik in Krefeld, Marianne Langens Familie eine Firma für technische Autoteile. Als ihr Bruder im Krieg fiel, übernahm Langen diese Firma, meldete diverse Patente an und eroberte damit auch den asiatischen Markt. Auf Geschäftsreisen entdeckte er die japanische Kunst für sich und baute eine eigene Kollektion auf.
Als Marianne Langen dafür nach seinem Tod einen Ort suchte, wurde ihr Andōs Entwurf angeboten. Sie ließ ihn auf eigene Kosten – zehn Millionen Euro – realisieren. Die Einweihung im Herbst 2004 erlebte sie nicht mehr, aber seither führt die Familie das Haus in ihrem und im Sinne ihres Mannes. Enkelin Karla Zerressen ist die Geschäftsführerin, ihre Mutter Sabine Langen-Crasemann die Vorsitzende der Stiftung, die das Museum trägt.
Familiensache: Sabine Langen-Crasemann ist Vorstand, ihre Tochter Karla Zerressen Geschäftsführerin der Langen Foundation
ICON: Frau Langen-Crasemann, kannte Ihre Mutter andere Bauten von Tadao Andō, als sie beschloss, dieses Haus zu realisieren?
Sabine Langen-Crasemann: Nein. Sie hatte keine Ahnung. Sie hat nur die Skizzen gesehen, war begeistert und hat dann gesagt: Ja, dann bauen wir das!
Karla Zerressen: Wenn es um Kunst ging, hat sie ihre Entscheidungen immer sehr schnell gefällt.
Am Entwurf wurde nichts verändert?
KAZ: Nur praktische Dinge. Wir brauchten einen Aufzug, Toiletten – die befinden sich jetzt im Keller – einen Notausgang und das Büro. Mehr als dieser kleine Raum hier ließ sich nicht integrieren, darin arbeiten wir jetzt zu dritt.
SLC: Und ich hatte mir eine Wasserfläche gewünscht, weil die bei vielen Projekten von Andō eine Rolle spielt. Deshalb gibt es das Bassin vor dem Haus.
Wie hat sie den Bau finanziert?
SLC: Sie hat einige ihrer Bilder verkauft, darunter einen großen Pollock von 1951, an dem sie sehr hing: „Der hat das Haus bezahlt“, hat sie immer gesagt.
Der Architekt ist bekannt dafür, Orte von magischer Leere zu schaffen. Erinnern Sie sich noch, wie es war, das Gebäude erstmals von innen zu erleben?
SLC: Oh ja! Das Haus war noch im Rohbau, meine Mutter, meine Tochter und ich sind auf die Baustelle gekommen, schauten von der Galerie in die zwei riesigen Ausstellungsräume hinab – und haben erst mal alle drei nach Luft geschnappt. Dann sagte meine Mutter trocken: „Hoppla!“
KAZ: Wir kannten ja die Quadratmeterzahl, aber durch die acht Meter Deckenhöhe war das Raumvolumen einfach überwältigend.
Und dann?
KAZ: Dann war klar, dass hier nicht nur die Japansammlung gezeigt wird. Für die ist der obere, überschaubare Saal konzipiert und auch passend. Aber nachdem sie gesehen hatte, wie groß das Haus ist, wollte meine Großmutter, dass wir auch zeitgenössische Ausstellungen zeigen.
Man sieht in der Langen Foundation nicht nur Werke der Langen Collection? Es gäbe genug. Allein die Sammlung „Malerei des 20. Jahrhunderts“ bietet ein breites Spektrum – klassische Moderne, Blauer Reiter, russische Avantgarde, École de Paris.
KAZ: Das stimmt, und natürlich werden immer andere Teile der Sammlung unter bestimmten Themenstellungen in eigens konzipierten Wechselausstellungen zu sehen sein. Aber das ist das Gute daran, wenn ein Haus privat und nicht staatlich finanziert ist, dass wir wirklich freie Hand haben mit unserer Programmgestaltung. So können wir auch immer wieder eine Plattform für andere Privatsammlungen sein, die in einem ähnlichen Geist wie die meiner Großeltern entstanden sind. Und wir können Gegenwartskunst zeigen. Am 6. September wird die Ausstellung „Kausalkonsequenz“ von Alicja Kwade eröffnet, ein Herzensprojekt von mir. Sie wird das ganze Haus mit ihren Installationen und raumgreifenden Skulpturen bespielen, inklusive des Bassins vor der Tür und der langen Treppe hinter den großen Ausstellungsräumen. Viele ihrer Arbeiten sind sehr schwer und groß und bringen selbst dieses Gebäude an seine Grenzen. Eine Ausstellung wie ihre wäre anderswo nicht möglich, glaube ich.
SLC: Weiter nach vorn zu gucken ist ganz im Sinne meiner Eltern. So haben sie ja auch zu sammeln begonnen.
Können Sie uns genau sagen, wann das losging?
SLC: Nach der Währungsreform, Ende der 1940er-Jahre. Da war erst mal kaum Geld da, weil die Firma wieder aufgebaut werden musste. Bei einer Fernand-Léger-Ausstellung im Kunstverein wollte mein Vater ein Ölbild kaufen. „Und wovon bitte sollen wir leben?“, fragte ihn meine Mutter. Da wurde es dann nur ein Aquarell.
KAZ: Sie sammelten europäische Kunst, Werke der École de Paris etwa, Jean Dubuffet war ihnen sehr wichtig, Max Beckmann, Francis Bacon, das war ja damals das Zeitgenössische. Nach einer Reise nach New York 1950 kamen auch abstrakte Expressionisten dazu, durch ihre vielen Reisen dann alte chinesische, japanische, präkolumbische und indische Kunst dazu. Erst 1974, nachdem mein Großvater seine Firmen verkauft hatte, haben sie sich ein paar besondere Wünsche erfüllt – einen Monet etwa, noch einen Picasso – eben die klassische Moderne.
SLC: Den Kokoschka hat übrigens die Klavierlehrerin meines Vaters verhindert. Sie fand, ein Steinway-Flügel sei doch die lohnendere Anschaffung, und schleppte ihn gleich zu Heinersdorff, dem renommierten Pianohaus in Düsseldorf.
Wissen Sie, welches Bild das erste der Sammlung war?
SLC: Ja. Aber meine beiden Brüder und ich hatten unsere persönliche Nummer eins, einen „Frauenkopf“ von 1912 von Alexej von Jawlensky, nicht wegen der tollen starken Farben, sondern weil mein Vater ihn „Tante Iwan“ getauft hatte.
Woher rührte die Affinität zur Kunst? Hatten auch schon die Eltern Ihrer Eltern gesammelt?
SLC: Nein, aber sie waren sehr kultiviert. Die Eltern meiner Mutter pflegten engen Kontakt zur Düsseldorfer Malerschule, und meine Mutter hatte am Lette-Haus eine Ausbildung zur Fotografin gemacht. Mein Vater ist in einem überaus musischen Haushalt groß geworden. Seine Mutter und auch er selbst spielten sehr gut Klavier. Und hätte es sein Vater nicht anders bestimmt, wäre er gern Architekt geworden. Die Grundlage für die Kunst war also da und – nach den Entbehrungen des Kriegs – eine Sehnsucht nach Bildern. Auf jeden Fall haben die beiden gleich losgelegt.
Haben Sie ihre Kaufentscheidungen gemeinsam getroffen?
KAZ: Ja, immer. Selbst wenn sie eine Galerie unabhängig voneinander besuchten, ist ihre Wahl auf denselben Favoriten gefallen. Die Entscheidung für ein Bild fiel sehr schnell, und gehandelt wurde nie.
SLC: Sie waren sich immer wahnsinnig einig. Und sie ergänzten sich: Sie war die große Kommunikatorin, immer am Telefon, er brauchte das nicht, er brauchte nur sie. Er war, trotz seines großartigen Humors, eher ernst. Meine Mutter ist in einer sehr lebenslustigen, fröhlichen Familie aufgewachsen, das hat mein Vater förmlich eingesogen.
Es klingt nach einer sehr engen Beziehung.
KAZ: Jedes Jahr sind sie vier bis fünf Wochen auf Fernreise gegangen. Immer selbst organisiert, ohne die Kinder und unter teilweise strapaziösen Bedingungen. Sie wollten die großen Kulturen der Welt mit eigenen Augen sehen.
SLC: Einmal sind sie in Südamerika mit dem Mietwagen vier Stunden einen Berg herauf geholpert, um eine Stelle im Nirgendwo zu besichtigen, und dann vier Stunden wieder runter. Das war typisch für sie. „Kunst ist kein Luxus, sondern ein Bedürfnis“, haben sie immer gesagt. Es ging ihnen nie nur ums Haben, sondern immer auch ums Verstehen. Und sie hatten beide ein wahnsinnig gutes Auge.
Woher kam das? Ihre Eltern haben ja, anders als andere und anders als heute oft, ihre Kollektion nicht mit Unterstützung eines Kurators, Kunstwissenschaftlers oder Art Consultants aufgebaut.
SLC: Sie haben aus dem Bauch heraus gesammelt, wie sie sagten. Wenn man sich ein Leben lang mit Kunst beschäftigt, hat man einfach einen Blick. Mein Vater hat sich außerdem auch theoretisch sehr gründlich mit den Werken und Epochen beschäftigt, es war ihm immer wichtig, die Bezüge zwischen den Kulturen zu sehen. Er war überaus belesen und kunsthistorisch schon sehr gebildet. Meine Mutter hatte ein ungeheures Gespür für Farben und Proportionen.
Heute, so hat man den Eindruck, sammeln viele Sammler mindestens so sehr wie Kunstwerke die Kontakte zu Künstlern. War das bei Ihren Großeltern auch so?
KAZ: Nein, da ging es zuerst um die Bilder. Es war aber auch eine andere Zeit, die Szene überschaubar, Messen und Events spielten noch keine große Rolle, und meine Großeltern haben vor allem in Galerien gekauft.
SLC: Im Fall von Jean Dubuffet war es sogar anders herum. Der wollte diese Langens persönlich kennenlernen, die Jahr für Jahr Werke von ihm kauften – 31 hatten meine Eltern am Ende. Mein Vater hat ihn dann in seinem Atelier besucht und erwarb 1970 eine seiner Großplastiken, die einzige in Privatbesitz. Sie steht im Garten ihres Hauses in Meerbusch, in dem ich jetzt das Glück habe zu wohnen.
Kann man sich das wie ein Privatmuseum vorstellen?
KAZ: Nein, meine Großeltern haben sich nie mit den Dingen geschmückt. Sie haben damit gelebt.
SLC: Das Haus hieß in der Nachbarschaft nur „Die Fabrik“, weil es ein moderner Glaskasten mit Flachdach und einem Galerie-Gang war, die zusammen ein Atrium bildeten. Im Salon lag ein Teppichboden in Lila, der Lieblingsfarbe meiner Mutter, die Sitzgruppe war Knallorange. Die Wände hingen voller Bilder und zwischendrin standen Skulpturen aus Indien, China oder Südamerika. Wenn ein neues Bild kam, wurde oft umgehängt. Es gab eine tolle Bilderleiste mit Plastikschnüren voller Knoten, deren Länge machte meine Mutter immer wieder aufs Neue passend.
Mit Wasserwaage oder ohne?
SLC: Ohne! Immer nur auf Augenmaß!
Waren die Werke irgendwie geschützt?
SLC: Nein. Wenn wir zu Weihnachten Fahrräder bekamen, fuhren wir damit durchs Wohnzimmer. Es ist nie etwas passiert.
Wenn sammeln für Sie beide Privatsache war, wie kam es dann dazu, das die Japansammlung öffentlich gezeigt werden sollte und der Auslöser für den Bau des Andō-Entwurfs wurde?
SLC: Da lag die Sache etwas anders, weil die Sammlung abgeschlossen und, mit gut 200 Rollbildern aus mehreren Jahrhunderten, auch einmalig in Europa war. Zudem hatte mein Vater ihr selbst schon ein kleines privates Museum eingerichtet. Es lag in Ascona direkt neben dem Haus, das meine Eltern dort besaßen. Eigentlich ein herrlicher Bau mit Blick auf den Lago Maggiore, hätte er nicht die Fenster zumauern lassen. Da wurden die empfindlichen Bilder in schwarz gestrichenen Räumen bei gedämpften Licht gezeigt. Es war nicht öffentlich, aber ab und zu auf Anfrage zugänglich. Später ist die Sammlung auch in verschiedenen deutschen Museen zu sehen gewesen, und als meine Mutter aus Ascona zurück nach Nordrhein-Westfalen zog, suchte sie einen Ort für sie. Und hat ihn hier gefunden. Das Museum selbst ist gewissermaßen der Schlusspunkt der Japansammlung.
Beton trifft Glas trifft Wasser. Ein begehbares Kunstwerk und somit perfekter Ort für unser Shooting in der Märzausgabe:
Foto: Markus Jans
Styling: Silja Lange
Models: Lera Koss c/o System Agency und Honza Stiborek c/o nestmodelmanagement;
Haare & Make-up: Chris Schild c/o Ballsaal mit Produkten von Marc Jacobs Beauty und Birte Krause c/o 21agency
Casting: Dominik Wimmer
Foto-Assistenz: Christian Breevaart
Styling-Assistenz: Ineska Baric
Nächste Ausstellung: „Alicja Kwade. Kausalkonsequenz“, vom 6. September 2020 bis Frühjahr 2021; Raketenstation Hombroich 1 in Neuss. Die deutsche Künstlerin Alicia Kladde wird mit ihren skulpturalen Inszenierungen das ganze Haus bespielen. Eröffnung Samstag, 6.9., 12 bis 17 Uhr. Die Ausstellungseröffnungen der Langen Foundation haben einen großen Ruf in den Kunst- und Kunstsammler-Szene: entspannt, herzlich, weltläufig und familiär zugleich, finden sie drinnen und draußen statt und sind auch für Kinder stets ein Fest. Hingehen!