Der Landschaftsgärtner Pierre-Alexandre Risser schafft grüne Freiräume in der Stadt. Er selbst wohnt in einem kleinen Dschungel in der Banlieue.
Der Kokonbauer
Einer seiner jüngsten Gärten liegt in bester Lage: Die Suite „Belle Etoile“ im siebten und obersten Stock vom „Le Meurice“ gehört in jeder Hinsicht zur Spitze dessen, was die Grandhotels in Paris zu bieten haben. Zu geräumigen 650 Quadratmetern Wohnfläche, neu gestaltet von Margaux Lally und Luc Berger, kommt noch der 300 Quadratmeter große Dachgarten mit 360-Grad-Blick auf Paris. Das gesamte Penthouse lässt sich umrunden: Nach vorn blickt man über wehende Federgräser auf die Tuilerien, den Louvre und den Eiffelturm. Vom Marmor-Jacuzzi-Bad auf einen subtropisch anmutenden Dschungel aus Farnen und Bambus sowie den Sonnenaufgang über Montmartre und Sacré-Cœur. Der Schöpfer dieser Oase ist Pierre-Alexandre Risser, der mit seiner Firma Horticulture & Jardins längst so etwas wie der Star-Landschaftsgärtner von Paris ist. Zu seinem illustren Kundenkreis gehören neben Hotels und Restaurants auch Mode- schöpfer wie Kenzo, Emanuel Ungaro oder Loris Azzaro. Über die Namen seiner Privatkunden wacht die Diskretion.
Immergrüne Oase: Pierre-Alexandre Risser in seinem privaten Garten in Paris.
Die Pandemie hat seinem Geschäft nochmals mächtig Aufschwung verliehen: Nicht nur Hotels wie „Le Meurice“ oder „Plaza Athénée“ nutzten die Zwangspause, um sich für den erhofften Neustart im Herbst einer Rundumverschönerung zu unterziehen, sondern auch viele Pariser Privatleute, denen der Balkon oder die Dachterrasse zum neuen, erweiterten Lebensraum wurde. „Mein kleinstes Projekt war ungefähr einen Quadratmeter groß“, sagt Risser. „Die Begrünung und nächtliche Beleuchtung eines Fenstersimses – mit einem spektakulären Effekt für den Innenraum, der so viel größer wirkte und den Blick auf einen Garten simulierte. Kein Platz ist zu klein, um der Natur nicht zu ihrem Auftritt zu verhelfen.“
„Der Trick ist, dem Auge so viele Informationen, Perspektiven und Ankerpunkte zu liefern, dass es sich quasi im Grün verliert“
Rissers eigener Garten liegt in der nordwestlichen Banlieue von Paris. Ein wahrhaft ver- wunschener Ort, an dem die Natur die Hauptrolle spielt: eine wilde, doch harmonische Komposition aus Farben und Texturen, Licht und Schatten wie aus einem Impressionisten-Gemälde, wo es je nach Jahreszeit nach Flieder, Osmanthus oder mexikanischen Orangenblumen duftet. Vorgelagert sind Arbeitsplatz und Büro, die Gewächshäuser, in denen die Bäume, Sträucher und Blumen gezüchtet wer- den, die der Gärtner und seine rund 40 Mitarbeiter später in Paris, Baden-Baden oder wo immer seine Dienste gewünscht werden, einpflanzen werden.
Ein schmaler, vom Grün überwucherter, steiler Pfad führt nicht hoch zu einem Dornröschen- schloss, sondern zu einem kalifornisch anmutenden Holzhaus, das sich hinter hohe Bambus- halme duckt. Daneben liegen ein Boule-Platz und eine Mischung aus überdachter Veranda und Gewächshaus, wo er Salate, Zwiebeln, Tomaten, Kräuter für den Eigenverbrauch anbaut. „Da ich so viel in Paris zu tun habe, haben wir uns mittlerweile auch eine Familienstadtwohnung zugelegt“, sagt er. „Aber wenn ich hier schlafe, finde ich alles, was ich für ein Mittagessen brauche: Die Eier hole ich mir unten aus dem Hühnerstall.“ Der wohl schönste Platz ist der am Natur-Pool. Hier zeigt sich am besten, was ein talentierter Gartengestalter aus einem zuvor eher banalen Gelände – ein schmales, lang gestrecktes Vorort-Grundstück mit Nachbarn zu jeder Seite herausholen kann:
Der Garten wirkt trotzdem riesig und unendlich. Der Blick schweift über den Pool, in dem ein einsamer Koi seine Runden zieht und der dank Pumpe und spezieller Bakterienfilter die Wasserqualität natürlich erhält. Dahinter liegt ein Baumhaus, das an Dschungelresorts auf Bali erinnert, und am Horizont erhebt sich die dunstige Skyline vom Neubauviertel La Défense wie eine Fata Morgana. „Der Trick ist, dem Auge so viele Informationen, Perspektiven und Ankerpunkte zu liefern, dass es sich quasi im Grün verliert“, sagt Risser. „Für mich ist ein Garten ein Kokon, in dem die Welt draußen ausgeblendet wird.“ Selbst im Winter bleibt seiner an den meisten Stellen noch eine grüne Oase. „Wenn wir hier im Dezember oder Januar Gäste empfangen, serviere ich den Apéro immer genau hier,zwischen Tonnensauna und Pool. Dann wärmt uns eine Feuerschale. Ich möchte eigentlich bei jedem Wetter draußen sein.“
„Kein Platz ist zu klein, um der Natur nicht zu ihrem Auftritt zu verhelfen“
Dass der gebürtige Lyoner in der Hauptstadt leben und arbeiten würde, war nicht vorgezeichnet. Sein Großvater war Schneider, seine Urgroßeltern Seidenarbeiter. Der Vater hat sein ganzes Leben lang in der Textilbranche gearbeitet. „Die Mode aber hat mich nie interessiert“, sagt er. „Dafür umso mehr die Gartenarbeit und das Leben in der Natur.“ Ihn beeindruckte eher die Tätigkeit seiner Tante, Georgette Risser, die als Agraringenieurin die Delikatessfrucht Gariguette-Erdbeere erfunden hat.
Risser ging auf eine landwirtschaftliche Oberschule und kam eigentlich nur nach Paris, um bei damals namhaften Landschaftsgärtnern wie Daniel Mathieu oder Alain-Frédéric Bisson Praxisluft zu schnuppern. „Zwei Jahre schwor ich mir – und keinen Tag länger“, sagt er und lächelt. Doch dann packte ihn die Heraus- forderung, die Natur in die Stadt zu tragen. 1986 machte er sich selbstständig – und sah zu, möglichst schnell viele Floristen kennenzulernen. „Die waren in den 80er-Jahren nämlich echte gesellschaftliche Stars“, sagt er. „Meine Überlegung: Wer schöne Blumenbouquets mag, schätzt sicher auch schöne Gärten, Balkone oder Terrassen. So kam ich zu meinen ersten namhaften Kunden.“
Heute arbeitet Risser eng mit den Society-Lieblingen der Jetztzeit zusammen, Innenarchitekten wie Elliott Barnes, Sarah Lavoine oder Didier Gomez. Sein nächstes Projekt ist für den Herbst angekündigt: Dann eröffnet in Paris das erste „Soho House“. Der internationale Privatclub wird nahe Pigalle in das ehemalige Wohnhaus von Schriftsteller Jean Cocteau einziehen – und Pierre-Alexandre Risser übernimmt die Begrünung des Hof- und Poolgartens. Cocteau hätte es sicher interessiert.