Interpretation einer Kulthandtasche

Out of the bag 

Es gibt noch Parkplätze in der Auguststraße in Berlin Mitte. Gleich gegenüber von der „Mädchenschule“, dem coolen Ausstellungshaus, in dem auch die Michael-Fuchs-Galerie eine Etage hat. Dass man hier in dieser hippen Gegend ohne Weiteres – und das noch mit einem Kombi – eine legale Stellfläche findet, ist eher ungewöhnlich. Vielleicht nur Zufall, aber er passt ins Bild. Das Leben um und in den Kulturinstitutionen nimmt erst allmählich Fahrt auf. Aber: Endlich tut es das überhaupt wieder. Die Behörden haben sich nach langem Zögern durchgerungen, den Berliner Philharmonikern ihr traditionsreiches Konzert Ende Juni in der Waldbühne zu erlauben, vor einem Viertel des üblichen Publikums. Aber live.

Und Dior hatte ein gutes Händchen für’s Timing, als man beschloss, die „work in international progress“ Ausstellung „Lady Dior as seen by“ in die Stadt zu holen. Von diesem Samstag bis zum 27. Juni kann man sie besichtigen, zwei Objekte stehen geschäftstüchtig in der Boutique am Ku’damm. Am Donnerstag war ich schon mal zur Vorbesichtigung in der Galerie und die eigentlich ja nervigen Hygienevorschriften haben auch einen Vorteil: Erlauben sie doch Kunst mehr oder weniger allein auf sich wirken zu lassen.

Interpretation einer Kulthandtasche. Das mag für einige immer noch nach Megabrand-Kommerz klingen, aber spätestens, wenn man sich in den luftigen Räumen eingelassen hat auf Kreativität, Fantasie und Subtext, haben sich solcherlei Überlegungen durch die weit geöffneten Sprossenfenster in die heiße Stadt verflüchtigt. Wie der Berliner Künstler Tomislav Topic fröhlich formuliert:

„Man spürt den Anspruch von Dior, deswegen habe ich mich gern darauf eingelassen.“

„Rise“ von Künstler Tomislav Topic

Er ist einer der drei Künstler, die neu dazugebeten wurden. „Rise“ heißt seine Skulptur, bunt lackierte, dünne Stäbe ragen von links nach rechts ansteigend aus einer blauen Tasche, wie ein Wolkenkratzer aus einer Weltstadtkulisse. Topic ist bekannt für spektakuläre großflächige Skulpturen, die kleinere Version ist gleichwohl nicht ohne Energie. Wie ein Hologramm und doch ein solider Körper. Ein symbolhaftes Auftaktobjekt.

Das Foto der Stunde hat die Kölnerin Deborah Mittelstaedt eingereicht. „The Hug“. Vier junge Frauen in enger Umarmung, wehende Haare, grüne Strickjacke, roter Pulli, orangefarbener Strickrock, weißer Rolli, die Blicke verträumt, sehnsüchtig, skeptisch. Ach ja, eine von ihnen hält ein knallrote Dior-Tasche.

Da ist auch die Acryltasche „Clamp“ von Wen Fang in durchsichtiger Krokolederoptik – mit einen inkludierten Krokodilkopfskelett. Das Suchbild, das Alec Soth 2011 fotografiert hat. Ein riesiger Steinhaufen, winzig klein steht darauf eine Tasche wie ein Kruzifix am hohen Berg. Nur an den typischen runden Ledergriffen zu erkennen ist die Dekonstruktion „Birchington Special“ von Jack Lavender, das Material: „Mixed Media“, Utensilien wie aus einer lang nicht aufgeräumten Schreibtischschublade. Und auch über die Stacheldrahttasche, die Mounir Fatmi der birmanischen Trägerin des Friedensnobelpreises Aung San Suu Kyi widmete, kann man eine ganze Weile nachdenken. Freiheit, wie gehen wir mit ihr um? Und dann ist da noch die imposante Arbeit von Michael Saistorfer, 32 Kilo massives Eisen. Sie wird noch weiter oxidieren. Wie das Dasein.

Text
Inga Griese