Die Vitrinendekoration im Stammhaus von Hermès sind von je mehr Kunstinstallation als Marketing.
Fenster zum Zauber
Es wird ein anderes Weihnachten geben dieses Jahr, und dieser Herausforderung stellt sich der Chefdekorateur von Hermès, Antoine Platteau: „Während des ersten Lockdowns ist meine berühmte Vorgängerin verstorben, Leïla Menchari, sodass ich mir nun erlaube, ihr diese Fenster als Hommage zu widmen. Mademoiselle Jardin heißen diesen Winter die Vitrinen in der Rue du Faubourg SaintHonoré, die bis Ende Februar zu sehen sind. „Eines ihrer Lieblingsthemen waren immer Gärten. Besonders ihr eigener im tunesischen Hammamet.“ Platteau pflanzt gleich zwölf Gärten, in jedem Schaufenster einen: Fantastische und verwunschene Gärten im Nacht- und Dämmerlicht, in denen es teils nicht mit rechten Dingen zugeht. Wie unter den seltsamen Bäumen, die wie von Zauberhand mit feinster Stickerei umhüllt wurden und unter denen allerlei Hexenwerk geschieht. Star der Installation ist Zouzou, das lebensgroße Nashorn.
„Für mich ist dieses Tier eine der emblematischsten Figuren in der Geschichte der Hermès-Schaufenster“, schwärmt Monsieur Platteau. Mit Zouzou nämlich markierte Leïla Menchari 1978 ihr Debüt als Chefdekorateurin von Hermès. Statt des zu erwartenden Schneeund Frost-Ambientes in den Vitrinen zum Advent rief sie die „afrikanische Weihnacht“ aus und ließ Zouzou bauen: eine detailgetreue Holzskulptur mit goldenem Horn, einer Haut aus weißem Leder und Hufen aus Perlmutt. Ein Kunde verliebte sich so sehr in Zouzou, dass er die Skultptur am letzten Tag der Ausstellung abholte. Über verschlungene Wege fand das Tier nach Amerika, wo es jahrelang das Schaufenster einer Galerie zierte, in dem es schließlich vom ehemaligen Hermès-Chef Jean-Louis Dumas wiederentdeckt wurde und zurückkehrte nach Paris, wo es heute bei besonderen Anlässen immer noch aus dem „Stall“ geholt wird. Wie jetzt.
Leïla Menchari hat als Chefdekorateurin von Hermès das Schaufensterdesign in neue Dimensionen geführt, in denen sich die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz, Marketing und Magie auf eleganteste Weise aufheben. Nichts war ihr zu groß, nichts zu klein, nichts zu verrückt, um die zwölf Vitrinen im Stammhaus der Rue du Faubourg Saint-Honoré zu Fenstern in eine magische Welt zu verwandeln. Manchmal ließ sie echte Spatzen fliegen, die in echten Pferdeäpfeln pickten, manchmal gab es fast nichts zu sehen – sondern nur zu riechen. „Die Vitrinen sind eine Einladung an Passanten, sich in die Welt von Hermès zu träumen. Nicht der Kaufanreiz steht im Vordergrund, sondern der Zauber des Innehaltens, Entdeckens und Betrachtens“, erklärt Platteau. Gerade jetzt, wo man noch nicht weiß, wann die Geschäfte in der sonst so belebten Einkaufsstraße wieder öffnen dürfen, erfüllt sich die immaterielle Bedeutung der Schaufenster mehr denn je
Dekoration in der Rue du Faubourg Saint-Honoré
Mit Menchari, die noch über 80-jährig tätig war, aber in ihren letzten Jahren von ihrem Nachfolger Platteau unterstützt wurde, verbindet diesen vieles. Beide teilten eine große Liebe: das Kino. Platteau studierte und arbeitete zunächst in der Mode, wurde dann Film- und Theaterausstatter, bevor er vor über 20 Jahren bei Hermès anfing, zunächst kleinere Dekorationen von Events und später auch die Kulissen für die Modenschauen zu entwerfen und seit 2004 für die Fenster verantwortlich ist. Wie sein Vorbild ist auch Platteau Geschichtenerzähler mit einem feinen Gespür für den Zeitgeist. Sein erstes Schaufenster in diesem sonderbaren Jahr war fast prophetisch: Er startete mit einer Art weißen Theaterbühne, die von skurrilen Objekten aus Gips – wie alten Computerbildschirmen und alten Telefonen – bevölkert wurde; Requisiten, die sich im Laufe der Saisons nur leicht veränderten und immer mehr Farbe und Muster annahmen. So als hätte er die virtuelle Kommunikation vorweggenommen, mit der wir nun alle, zunächst unsicher und mit der Zeit immer routinierter, Bekanntschaft gemacht haben. Indem er mehr oder weniger dieselben Objekte über drei Saisons beibehielt und nur äußerlich veränderte, wollte er auch das ausdrücken, was viele empfanden: Man kann auch gut genügsamer leben. „Wir haben wohl alle eine neue Art von Demut gelernt“, sagt er. „Unserem Jahresthema bei Hermès – Sinn für Innovation – kam 2020 so eine besondere Bedeutung zu, die gar nicht geplant war.“ Ein ausgesprochener Weihnachtstyp, lässt er wissen, sei er übrigens nicht. Die Gestaltung der Wintervitrinen sei immer die härteste Nuss, die er zu knacken hätte: „Was ich jedoch mag, ist dieser besondere Moment der Verzauberung.“ Wie recht der Mann hat.
Das Hermès Schaufenster gestaltet von dem Künstler Felix Schmidt im Berliner KaDeWe derzeit:
ICONs Caroline Börger war vor Ort