Kolumne von Inga Griese

Darf ich vorstellen: Harry

Ach, hast Du jetzt auch einen Corona-Hund, fragte neulich jemand. Einen was? Wie das schon klingt!

Bahnfahren ist im Moment wie Kette rauchen. Ich warte auf den Warnhinweis auf meiner App: Zugfahren schadet Ihrer Gesundheit! Richtig, es gibt Fahrten, da sind ganz schön viele Leute um einen herum und wie im Flugzeug trage ich dann statt der „normalen“ die Maske mit dem Schutzwert, der wie eine Partei klingt und bei deren Anblick ich immer Appetit auf Filterkaffee bekomme. Aber noch kein einziges Mal seit Februar hat mich jemand gefragt, ob der leere Platz neben mir noch frei wäre. Das kann eigentlich nicht daran liegen, dass ich etwas irre aussehe mit den beschlagenen Brillengläsern. Dauert ja immer ein bisschen, bis sich nach dem Einsteigen Atem, Maske und Brille miteinander arrangiert haben. Zwar bekomme ich weniger Luft, muss dafür aber weniger Döner mit extra Zwiebeln einatmen. Denke mir halt meinen Kaffeebecher grundsätzlich lieber halb voll… Jedenfalls pendele ich komfortabler denn je und nach wie vor lieber mit der Bahn als mit dem Auto.

Man kann soviel erledigen in der Zeit. Arbeit. Netflix. Jetzt wieder Weihnachtskarten. Oder nur Gedanken nachhängen. Genau das, also letzteres, passierte mir vor einigen Wochen. Denn mein Gehirn (oder Herz?) schickte ein lang gehegtes, aber immer wieder ordentlich verstautes Thema auf Wiedervorlage. Eines Tages wollte ich so gern wieder einen eigenen Hund haben. Wir hatten in den letzten Jahren einen wunderbaren Familienhund, der leider viel zu jung gestorben ist. Er lebte hauptamtlich mit den Kindern und Enkeln in Hamburg, aber war in Ferien, an Wochenenden stets mit auf Sylt. Mir war schon lange klar, dass ich keinen „eigenen“ Labrador mehr haben würde, bei aller großen Liebe zu dieser Rasse würde ein kleines Tier besser in mein auch privat mobiles Leben passen. Und wenn schon klein, dann Dackel. Aber selbst das schien mir in den vergangenen Jahren nicht richtig, ich bin schon sehr viel unterwegs. Und besonders in den ersten Monaten ist es wichtig, dass ein Welpe eine Bezugsperson hat. Ich hatte die Idee also zu den Rentenansprüchen gelegt.

Bis ich Ende September im Zug saß und feststellte, dass für den Rest des Jahres eigentlich keine Dienstreisen mehr anstehen, international eh nicht, aber auch national wurde Termin für Termin abgesagt. Also googelte ich American Teckel. Dackel, aber klein, familienfreundlich. Das Fell ist entweder unitaupe oder in allen Taupetönen gefleckt wie eine Schleswig-Holsteinische Kuh. Die Rasse ist wenig verbreitet bei uns, aber tatsächlich gab es gerade zwei Würfe. Und so kam Harry in unser Leben, von der „Traum Dackel Zucht“ in Mittelangeln in Schleswig-Holstein. Ich hatte bei Cloud7 eine flauschige Tasche gekauft, in und mit ihr tobten erst einmal alle Geschwister, als ich nach einer guten Stunde mit Harry losfuhr in unser Leben, drehte er sich in das Teddyfutter und schlief. Seither ist es sein „Safeplace“.

Er ist klein, schlau, lustig, aufrecht, weich, bald womöglich ohne Fell, wenn das mit dem vielen Streicheln so weiter geht. Apropos: Dass ich mal Pulli und Anorak für einen Hund kaufen würde! Aber Dackelchen sind eben keine Labradore, Harry friert tatsächlich. Er hat einen beigen und jetzt auch einen dunkelblauen Rolli. Die rattengraue Fließjacke, die wir für den Strand gekauft hatten, scheint unter seiner Würde. Jedenfalls bewegt er sich kein Stück damit. Ehrlicherweise steht sie ihm nicht. Bin schon gespannt, wie die avisierte Barbourjacke ankommt. Öh, ja, ich rede tatsächlich über Hundeklamotten. Aber wenn man erst einmal einsteigt ins Geschehen, eröffnen sich ungeahnte Welten: Von Cindy aus Marzahn in Nickipink über Rammstein auf Welttournee, den Geissen-Glamour bis zu den Windsors in Balmoral, alles ist auch im Hundestyling möglich. Nicht nur für Chihuahuas.

Ach, hast Du jetzt auch einen Corona-Hund, fragte neulich jemand. Einen was? Wie das schon klingt! Ich hatte nie Langeweile, brauchte keine Ablenkung. Und wieso sollte ich dieses zauberhafte Kerlchen auch nur annähernd mit etwas so miesem wie Covid in Verbindung bringen? Ich gebe ihn auch nicht wieder ab, nur weil wir diese Geisel bald wegimpfen können. Harry ist kein Ersatz, keine Beschäftigung, kein Lichtblick. Er ist Harry. Und eine Riesenfreude.

Text
Inga Griese
Model
Harry in Ralph Lauren