Als Chefredakteurin des Magazins war Inga Griese in der ganzen Welt unterwegs. Dann hielt die Welt den Atem am. Zoom-Calls, digitale Mode-Schauen, Interviews am Telefon – und all das ohne Dresscode und an einem Schreibtisch. Am vergangenen Wochenende tauchte sie wieder ins analoge Leben ein. Auf dem Weg nach Italien berichtet sie von Tücken bei der Kleiderwahl, Vorfreude und Zukunftsaussichten.
Bühne frei für Sehnsucht
Gala-Abend! In der Mailänder Scala! Ich schreibe im vollbesetzen Flugzeug auf dem Weg gen Süden. Die Italiener machen vor, dass das Leben weitergehen kann, bei aller Vorsicht und regelbewusst, aber eben mit Zuversicht und Energie und dem Wissen auch in der Politik darum, dass die Wirtschaft wieder zu Atem kommen muss. Muss ja nicht gleich wieder außer Atem sein.
Die Männerschauen in Mailand werden Mitte des Monats real sein, und die Pitti Uomo, die hundertste!, das so wichtige Branchentreffen in Florenz findet Ende Juni mit immerhin rund 300 Ausstellern statt. Kleiner, auf das Messeareal konzentriert, ohne die ganze Stadt mit den Palazzi, Gärten und Museen einzubinden wie gewohnt, aber voller Vorfreude. Finanziell sei es ein „Desaster“, wie Raffaello Napoleone, der CEO der Pitti Imagine, in einem Call am Dienstag formulierte, „aber aus gesellschaftlicher Sicht eine Verpflichtung.“ 30 Prozent der Händler in Italien werden ihre Läden für immer schließen müssen, „es wird Zeit, den Motor wieder zu starten“, so Napoleone. Weniger Betrieb zu haben berge auch eine Chance. Er geht davon aus, dass die Atmosphäre konzentrierter, fokussierter und freundschaftlicher sein werde. „Und alles ist besser als eine Absage“, hatte Napoleone noch gesagt. Diesen Mut bringen die Deutschen nicht auf. Die nach dem Umzug der Premium Group von Berlin nach Frankfurt mit Spannung erwartete neue Modemesse Anfang Juli am Main wird nur digital stattfinden.
Bulgari nun setzt auf die langersehnte Rückkehr von einer gewissen Leichtigkeit des Seins, hat seine großen Kunden zum ersten Post-Pandemie Event eingeladen, um mal wieder in Juwelen und Kultur zu schwelgen. Ein in jeder Hinsicht schönes Signal.
Ich war durchaus unterwegs in den vergangenen Monaten, das bringt schon mein Beruf mit sich, aber es waren immer Termine ohne besonderen Dresscode. Die gewisse Bequemlichkeit der Homeoffice-Konditionierung hatte sich ja auf reale Treffen übertragen, Hose, Pulli, weiche Jacken.
Aber Abendkleid? Cocktaildress? Passt überhaupt noch was? Als ich gestern Abend den Trolley packte, fiel mir auf, dass mir die Routine abhanden gekommen ist. Statt den erprobten Weg, Schrank auf, blinder Griff, Seidenpapier, Koffer, Klappe zu, nahm ich die Umleitung über den Spiegel, probierte so einiges. Puh. Der Reißverschluss geht noch zu. Schmuck? Schuhe? Abendtasche? Im Überschwang lag zu viel auf meinem Bett, ich reise aus Erfahrung stets mit Handgepäck, das geht, wenn man sich konzentriert und flache Schuhe trägt. Aber ich war eindeutig aus der Übung.
War auch viel zu früh am Flughafen. Das hatte allerdings weniger mit Aufregung zu tun, als mit ebenfalls fehlender Routine. Der so geschätzte Flughafen Berlin Tegel (keine zehn Minuten Fahrt am frühen Morgen), ist endgültig geschlossen, man muss jetzt zum BER, da war ich schon gelandet und wusste, dass man ewig läuft und viel Taxi-Kosten einplanen musst. Aber die Anfahrtszeit, die Logistik vor Ort, die Abflugrituale unter Pandemieauflagen, sind noch nicht eingespielt. Zeit für den Reporterblick: genervte Schalter Diskussionen: Schnelltest, PCR-Test vorhanden? Ja, muss sein, trotz Impfpass, Rolltreppen, die nur aufwärts fahren, Fahrstühle, die schwer zu finden sind, ungewohnte Strecken, insgesamt weniger, aber mehr aufgeregte Reisende und auch wieder Geschäftsleute unter Strom. Die Pandemie war furchtbar, das vergisst man nie, aber die Zeit jetzt zu nutzen, fühlt sich gut an. Bühne frei für Sehnsucht. Die Nachfrage nach Urlaubsoutfits boomt, und sei es für den heimischen Balkon oder Park. Ich freu’ mich aber auch auf das Aufbrezeln heute Abend. Auf all die Menschen, die ich so lange nicht sah.
