Kolumne von Inga Griese

Her mit dem Spaß!

Dieser Tage dreht Heidi Klum in Berlin die neue Staffel ihres Dauerbrenners „Germany’s Next Topmodel“. Man kann der Sache überdrüssig sein, man kann aber auch Respekt vor der Kontinuität haben. Ich weiß gar nicht, warum mir grad „Was bin ich?“ mit Robert Lembke einfällt. (Für die Klum-Alterszielgruppe: Das war das „heitere Beruferaten“ von 1955 bis 1989 in der ARD, dem sogenannten Ersten Deutschen Fernsehen). Aber wahrscheinlich, weil ich mich kürzlich mit Wolfgang Joop unterhalten habe, nachdem er bei den Dreharbeiten war. Mit seinem Auftritt als Co-Juror vor einigen Jahren bekam die Sendung noch einmal enormen Aufwind, und umgedreht erfreut sich der Designer seither ungeahnter jugendlicher Fanmengen. Wenn nicht Corona ist, kann er auf einer deutschen Einkaufsstraße keine zwei Meter gehen ohne Selfie-Wünsche. Unübersichtlich ist dabei oft nur, wer zuerst losgestürmt ist, die Teenies oder die Mütter dazu?

Inga Griese und Freund Wolfgang Joop

In der neuen Staffel nun ist Wolfgang Joop mit seiner Modelinie Looks dabei, das macht Sinn, die Zielgruppe ist eher demokratisch als elitär. Und doch ist die Ausstattung eine gewisse Herausforderung angesichts des Zeitgeist-gerechten Casting-Mottos „Diversität“. Das macht die bisherige „modelsize“ obsolet.

Die Frage, die über das rein Praktische hinaus im Raum stand, war: Wie vergleicht man überhaupt in einem Modelwettbewerb Leute, die divers sein wollen? Heidi Klum sieht darin keinen Zielkonflikt, es gehe am Ende doch um Professionalität, nicht um Standards. Die Zeit der Entpersonifizierung von Models hin zu Kleiderständern ist vorbei, Individualität ist gefragt, das Schönheitsbild ist fließend wie diese diffusen Zahlen und Buchstaben, die einem oftmals digital als einzugebender Sicherheitscode angeboten werden. Die Idee ist nicht neu, wenn man bedenkt, wer das Mysterium der Supermodels geprägt hat: Frauen, die wie Linda Evangelista bei Versace die Hüfte schwangen, Naomi Campbell, Christy Turlington. Klar, alle ausnahmslos schön, also nicht ganz das, was wir heute unter divers reklamieren, aber vor allem eben Persönlichkeiten.

Überhaupt ist die Idee von Diversität viel älter, als die Jakobiner der Neuzeit und die sozial mächtig vernetzen, selbstgelikten Verwalter der Moral wohl zugestehen würden. Wir nannten es Disco. Nicht die mit Ilja Richter, also, auch ein bisschen vielleicht, aber eben die internationale. Das Lebensgefühl. Es ganz befreit und ein bisschen durchgeknallt krachen lassen. Oder wie Wolfgang Joop es sagt: „Als ich mit Heidi sprach, musste ich gleich an New York damals denken. Ich vergehe mich nicht in Nostalgie, die Zähne waren schlimm, man musste Trockenshampoo benutzen und schwitzte unterm Arm. Aber das Menschenbild war vielfältiger. Deswegen waren wir so gern in NY, alles mischte sich irgendwie. Die Intoleranz, mit der Diversity heute streckenweise postuliert wird, geht doch aufs Gemüt, bitte noch mal im Geschichtsbuch der 70er lesen. Ich dachte an Disco, an das Studio 54. Den Club, in dem jeder Star sein konnte. Der Türsteher tippte mit dem Finger: Du dahinten. Das konnte ein kleiner verschwollener Teenager sein, aber es konnte auch Bianca Jagger aufm Pferd sein. Aber sie konnte eventuell auch hören: Eine mit Pferd haben wir schon drin! Ein Multimillionär aus Burma wurde rausgeschmissen, denn so ein Ähnlicher war schon da. Und wenn acht Schwule in einer Reihe standen, dann mussten die sich auf vier sortieren, man brauchte dringend noch einen Hetero.“ Natürlich war das selektiv. Aber das war der Reiz. Es war nicht einseitig, nicht langweilig.

Ein Revival von Disco als Lebensgefühl ist die Hoffnung, die wohl nicht nur Wolfgang Joop für die Nach-Corona-Zeit hegt. Wir brauchen dringend etwas Spaß und Übermut. Die Mode ist schon mal dabei, man muss nur die jüngsten Schauen ansehen. Das Bild hier stammt aus der Dolce-&-Gabbana-Präsentation. Ein Anfang ist gemacht.

Text
Inga Griese