Kolumne von Inga Griese

Das wahre Gesicht

Es gibt vieles, das – neben dem eigentlichen Virus – an der Pandemie nervt. Muss hier nicht aufgezählt oder wiederholt werden, wir warten einfach voller Vorfreude und Ungeduld auf besseres Wetter und Strukturen, die einer der größten Industrienationen zur Ehre gereichen. Aber dass einem zu allem morgens auch noch dieses Teenagerkinn im Spiegel begegnet, kann schon aufs Gemüt unterm unfrisierten Haaransatz schlagen. Sicher, wir alle wollen ja gern jung aussehen. Aber doch nicht pubertär. Aber das zumindest eint jetzt wahrscheinlich die Nation, es gibt schon einen Fachbegriff dafür: Maskne. Akne durch Maske. So viel peelen kann man wohl gar nicht, dass der Haut die stete Isolation egal bliebe. Ich habe dafür, respektive dagegen, zwei Spezialprodukte von Aesop entdeckt, die ich zwar nicht mit reiner Haut, aber reinen Herzens empfehlen kann.

Und wenn wir schon über Kosmetik reden: Ich habe Jutta Fischer entdeckt! Sie arbeitet seit 30 Jahren bei Lancôme als Brand Trainer, bedeutet, sie schult das Personal. Persönliche Beratung ist die Basis des Erfolgs der großen Kosmetikmarken, die Verkäuferin des Vertrauens kann Wunder auf beiden Seiten bewirken. Bei den Kundinnen und dem Umsatz. Jutta Fischer jedenfalls ist genau der Typ, dem Frau vertraut und wahrscheinlich auch viele Männer. Nicht mehr ganz jung, ein bisschen mütterlich, nicht so perfekt geschminkt, dass man gleich wieder kehrtmachen möchte. Ihr, aus norddeutscher Sicht, fränkischer Dialekt, vermittelt Bodenhaftung, der weiße Kittel Kompetenz. Dass sie nun ein Avatar ist, irritiert nach bald einem Jahr Zoom-Konferenzen gar nicht mehr.

Willkommen im Virtuellen Pop-Up

Jutta Fischer, Brand Trainer

Sie lud mich ein zu einer Führung durch den neuen „Génifique Pop-up-Store“, auf Lancome.de. Den zu launchen, wenn alle Kosmetikgeschäfte geschlossen sein müssen, weil das Argument Grundversorgung leider nicht zog, war natürlich eine kluge Idee. Besonders faszinierend daran sind aber weniger die spielerischen Möglichkeiten, das Gefühl am Bildschirm, tatsächlich samt freundlicher Beraterin sicher und ungestört im Fachhandel zu stöbern, als der Umstand, dass der virtuelle Shop in Deutschland eröffnet wurde. Der erste „stand“ seit dem Sommer in Singapur, und als zweites Land sind tatsächlich wir dran. Holla! Dürfen wir vielleicht doch auf ungeahnte Digitalisierungstendenzen hoffen? Aber womöglich sind wir nur einfach gute Konsumenten, die gern bei Kauflaune gehalten werden?

Egal, erst mal die angebotene Hautanalyse, bitte. Selfie gemacht, Alter und Hautbeschaffenheit (trocken, misch, ölig) angeben, und schon liefert der Bildschirm die personalisierte Antwort. Man ist ja skeptisch: Funktioniert das wie ein Horoskop in Zeitschriften? Eines für alle? Doch schon beim ersten Punkt bin ich überzeugt. Die Ergebnisse, steht da, werden mit denen von Frauen in meiner Altersgruppe verglichen und mit hundert Punkten bewertet, die sich in einer Skala von Warnrot bis Schöngrün auflösen. Und bei Falten schnellt der Cursor an das Ende vom grünen Bereich, 99 Prozent, ich lese: „Exzellentes Aussehen! Die Zeichen des Alters in deinem Gesicht sind weniger sichtbar als bei den meisten Frauen in deiner Altersgruppe.“ Hah!

Ich müsste jetzt auf die maßgeschneiderte Hautpflege drücken, aber von der Seite sagt die Kollegin: „Zieh mal den Rollkragen aus, mal sehen, wie die Werte dann sind.“ Öh? Na gut. Das Ganze noch mal im Unterhemd. Schnelles Foto, vielleicht reagiert mein alter Freund, der Hals, auf die plötzliche Kälte. Die soll ja Wunder wirken, seit Jahren plane ich eine Frosttherapie beim Dermatologen. Ich sollte dranbleiben, denn das iPhone ist gnadenlos: 67 Prozent. Puh. Wenigstens steht bei Falten noch: sehr gute Spannkraft. Womöglich leisten die Masken im Kinnbereich auch nach dem Ende der Pandemie noch gute Dienste?

Gedanken
von Inga Griese