„Markt und Straßen stehen verlassen, still erleuchtet jedes Haus. Sinnend geh’ ich durch die Gassen, alles sieht so festlich aus…“ Der Klassiker von Joseph von Eichendorff ist auch eines meiner Lieblingsgedichte, es belebt die Weihnachtsseele wie der Song von Chris Rea „Driving home for Christmas.“ Dieser Winter fordert seinen Familientribut, aber zum Glück sind meine emotionalen Vorräte gut gefühlt. Ich kann gleich abrufen, wie es ist, wenn das Haus sich füllt, das zeitversetzende Chaos seinen Lauf nimmt.
Doch wir sind vernünftig, setzen aus mit dem, was wir immer tun, wir sind zu viele im engsten Kreis für die geliebte heimelige Gemeinsamkeit im hohen Norden. Das Leben in der Küche, das Schmücken des Baumes, die letzten Geschenke noch schnell nach dem Gottesdienst verpackt. Ist ja noch Zeit dann, weil wir seit ein paar Jahren schon mittags zum ersten Termin von Pastor Chinnow gehen, es sind viele, weil der Andrang immer größer wird und die Friesenkapelle klein ist. Die Aufregung der Lütten dann, wenn es dunkel ist bei ihren Vorträgen am glitzernden Tannenbaum und erst bei ihrer Bescherung.
„Oh du Fröhliche“, erst aus voller Rührung im Gottesdienst, dann noch mal nach dem schiefen „Stille Nacht“ im Weihnachtszimmer, die Umarmungen, die goldenen Papierkronen aus den Knallbonbons, die wieder zu dünn gewordene Stroganoff-Sauce, das Innehalten in Erinnerung an jene, die nicht mehr mit uns sind, das Lachen dann bei der abendfüllenden Bescherung der Großen, weil jedes Präsent einzeln vergeben und begutachtet wird, die kleinen Gedichte dazu, der eiskalte Roederer Cristal, den die Kinder mir jedes Jahr schenken und einschenken, die leicht beschwipste Leichtigkeit im alten Haus, das nicht nur mit seinen dicken Mauern wärmt.
Wir lassen es dieses Jahr gut sein. Teilen uns auf, ein jeglicher in seiner Stadt und wir Großeltern mal hier mal dort bei der Sippe. Nützt ja nichts. Also nützt auch maulen nichts. Ein Seufzer vielleicht. Aber viel Dankbarkeit, dass wir keine wesentlichen Sorgen haben.
Der wohl meist vorgetragene deutsche Schriftsteller Eichendorff schrieb seine „Winternacht“ 1839. In dem Jahr gab es überhaupt erst eine „Pferde-Omnibus“-Verbindung zwischen Hamburg und Altona. Die erste Eisenbahn-Fern(!)-Verbindung wurde eingeweiht zwischen Leipzig und Dresden. Das preußische Regulativ verbot Kinderarbeit. Für unter Neunjährige. Die Briten besetzten Hongkong, um eine Basis zu haben im Opium-Krieg mit China. In Indien forderte ein Zyklon mehr als 300.000 Tote, die Hafenstadt Coringa wurde für immer zerstört. Jedes Ereignis ein Thema, das bis ins Heute weist. Joseph von Eichendorff starb im November 1857 an einer Lungenentzündung. Im März 1839 stand zum ersten Mal „o. k.“ als Abkürzung für all correct in der „Boston Morning Post“. Und so denke ich mir jetzt: Ist schon okay.
Und bald fahre ich mit der kleinen Frieda wieder nach Sylt. Und dann darf sie (siehe unten) auf dem Autozug auch mal heimlich vorn sitzen. Hah! Ich bin nicht festlich bewegt, das gebe ich zu. Sondern in Vorfreude auf eine andere Zeit.
Will es aber auch nicht mit dem Bundespräsidenten halten, der zum Lockdown mitten in den Weihnachtsbesorgungen wahrscheinlich wohlmeinend aber trotzdem trostlos verkündete, es könne auch mal weniger sein. Sicher, unser Geist will dringend zur Ruhe kommen und manche Menschen sind bis zum Anschlag erschöpft und in Not. Jeder von uns kennt bestimmt so jemanden, den er unterstützen kann. Aber generell plädiere ich lieber für mehr, mehr schenken, mehr schreiben. Emotionaler Überfluss ist nicht umweltschädlich, im Gegenteil. Unser lieber Finley wurde in den Hundehimmel abgerufen, aber ansonsten ist unsere Weihnachtskarte Ausweis glücklicher Familienmomente, die es eben auch gab. Sie sind es, die es zu bewahren lohnt.
„Und ich wandre aus den Mauern, bis hinaus ins freie Feld, hehres Glänzen, heil’ges Schauern! Wie so weit und still die Welt! Sterne hoch die Kreise schlingen, aus des Schnees Einsamkeit steigt’s wie wunderbares Singen – O du gnadenreiche Zeit!“ Es ist Heiligabend. Ein Neuanfang. Und Hoffnung.