Endlich! Paris bekommt am 23. Juni sein legendäres Kaufhaus La Samaritaine zurück. Wir durften schon vorher einmal hereinschauen.
Jugendstil, Skateboard
& Street Caviar
Schon der Eingang ist überwältigend: Die große Freitreppe über fünf Galerien, bekrönt von einem rechteckigen Glasdach, hat die Besucher schon im 19. Jahrhundert staunen lassen – und verfehlt auch jetzt, zwei Jahrhunderte später und originalgetreu restauriert, nicht ihre Wirkung. Erst recht nicht nach all der Zeit, wo wir gezwungen waren, nur virtuelle Einkaufskörbe zu füllen. Endlich wieder shoppen, ganz analog und mit allen Sinnen. Es duftet sogar nach frischem Baguette, das hier vom Morgengrauen bis spät abends beim Bäcker Ernest im Ofen backt.
Es gibt wenige Monumente in Paris, zu der ich eine so emotionale Beziehung habe wie zum La Samaritaine, diesem alten Kaufhaus anno 1870 an der Pont Neuf. Es war die Zeit vor den Low-Cost-Airlines, wo ich noch in langen Busnachtfahrten von Deutschland nach Paris reiste, verliebt in die Stadt und in einen Mann. Es war auch die Zeit, wo man sich noch Briefe schrieb und keine Whatsapp-Nachrichten. Unser Treffpunkt war immer die kleine, runde Dachterrasse des Kaufhauses, ein absoluter Geheimtipp, den nur wenige kannten. Schon die opulenten Mosaiken, Schmiedearbeiten und sublimen Jugendstil-Fresken mit dem Pfauenrad ließen mein Herz höherschlagen. Sein Takt erhöhte sich mit jedem Schritt über die engen Spiralstahltreppen. Je höher man stieg, desto lauter röhrten die Belüftungs- und Heizanlagen wie auf einem Luxusdampfer. Oben angekommen fühlten wir uns wie auf dem Krähennest eines Ozeanriesen, unter uns das Häusermeer von Paris: Der Eiffelturm, Notre Dame oder die Concièrgerie zum Greifen nah. Mein ganz privates Titanic-Gefühl.
16 Jahre lang war das La Samaritaine geschlossen, für seinen neuen Besitzer, den Luxuskonzern LVMH, wurde die Sanierung zu einem ungewollt pharaonischen Projekt. Denkmalschutzrechtliche Klagen und Bürgerinitiativen, die ihr geliebtes La Samaritaine in alter Form erhalten wollten, unterbrachen immer wieder die Bauarbeiten. Dann kam auch noch Corona. Als Konzession an die Stadt gibt es nun auch 80 Sozialwohnungen und einen Kindergarten in dem Komplex aus mehreren Gebäuden, das heute aus dem ältesten Jugendstil-Teil, einem Art-Déco-Anbau von 1930 und einem gläsernen, wellenförmigen Neubau des japanischen Architektenbüros Sanaa besteht.
Zusammen mit dem neuen Kunstmuseum „Bourse de Commerce“ der Pinault-Collection nur ein paar Fußminuten weiter, ist das geografische Herz von Paris nun um noch eine Attraktion reicher.
Den alten Werbespruch « On trouve tout à La Samaritaine », man findet alles im La Samaritaine, kennt noch heute jeder Pariser. Und auch das neue, alte Kaufhaus will dem gerecht werden. Von der größten Beauty-Abteilung Europas im Untergeschoss bis zu der Bar & Gastronomie-Ebene im 5. Obergeschoss ist es wie ein kompaktes Paris in Paris. Mit Möbeln und Verkaufsdisplays, die an die Bouquinisten-Stände an der Seine erinnern, diese typischen Holzkisten, in denen noch heute gebrauchte Bücher verkauft werden und die von dem kanadischen Designstudio Yabu Pushelberg nachempfunden wurden.
Man findet nicht nur die Premiummarken wie Dior oder Celine, die zum Luxuskonzern LVHM gehören, sondern auch günstigere wie das zurzeit schwer angesagte dänische Label Ganni, dessen Leopardenkleider und Chelsea-Boots mit klobiger Profilsohle gleich an mehreren Stellen ins Auge fallen. An vielen Stellen löst sich nämlich das La Samaritaine von dem alten Department-Store-Konzept, nach welchem jeder Marke ein eigener Stand zugeordnet wird, sondern sie fasst verschiedene Produkte und Labels zu Themenbereichen zusammen. Jetzt, wo das Colette Geschichte ist, bietet sich das Loulou als Concept Store an. Auf kompakten 200 Quadratmeter gibt es hier schöne Dinge von zwei bis zweitausend Euro zu finden.
Im Sanaa-Neubau finden sich vor allem junge Marken, Sportswear-Labels, Turnschuhe und eine Street-Art-Factory, in der junge Graffiti-Künstler eingeladen werden, sich an den Betonwänden auszutoben. Der Generation Skateboard wird auch Geschmack auf Luxus gemacht: Das Maison Prunier bietet hier seinen „Street Caviar“ auf Baguette an, für erschwingliche 15 Euro.
Doch während ich mich langsam durch die Etagen nach oben bewege, auf der Suche nach meinem alten Liebestreffpunkt und einem noch versteckteren Raum mit verstaubten Schaukästen in der Wand, in der Miniaturen von Stadtszenen aus dem 19. Jahrhundert tiefenperspektivisch detailgetreu nachgebaut waren. Um sie zu bewundern, musste man sich tief ducken, eine Attraktion auf Kinderaugenhöhe, die die Gründer des La Samaritaine, das Ehepaar Cognacq-Jay, für seine jüngsten Besucher bereithielten. Ob diese charmanten historischen Gimmicks die Renovierung überlebt haben? Die Antwort auf diese Frage kann ich leider erst später geben. Die alte Aussichtsplattform befindet sich nämlich auf dem Art-Deco-Anbau Richtung Seine, in dem nun das Hotel Cheval Blanc zu Hause ist. Und das eröffnet erst im September.