Jil Sander x Uniqlo

Zurück zur Gegenwart

Jil Sander betritt wieder die Modebühne, sie arbeitet erneut mit dem japanischen Filialisten Uniqlo zusammen. Das Timing stimmt. Mit ihrer „+J“-Kollektion trifft sie genau den Zeitgeist: Konzentration auf das Wesentliche, Energie, bezahlbarer Luxus. Inga Griese besuchte die Designerin in ihrem Hamburger Atelier.

Ein sonniger Frühherbsttag in Hamburg. So weiß wie eh und je strahlt die große Alsterlage-Villa, die einmal ein Bankhaus war und Jil Sander als Büro- und Atelierhaus dient. Der Trubel vergangener Zeiten ist längst ausgezogen, nun herrscht kontemplative Ruhe in den lichten Räumen, die fast alle leer, aber in ihrer stuckatierten Grandezza keinesfalls öde sind. Mehr denn je stehen sie für einen kostbaren Schatz – nämlich Platz. Und wie immer, wenn man dieses reine Gebäude betritt, betört einen die ästhetische Kraft. Sandra Purificato, die seit Ewigkeiten zum Team gehört, öffnet die Tür, die Hausherrin begrüßt mit bester Laune, immer noch ohne Alter, schmal und energiegeladen, in japanblauen Jeans und blauem Rolli, die Corona-Distanz fällt norddeutschen Menschen nicht schwer. Später werden noch Bruder und Schwägerin kurz vorbei kommen, ihre vertrauten Menschen, ansonsten sind wir drei allein. Es wird ein überraschend lustiger Vormittag unter der Devise: einmal alles. Alles einmal anprobieren. Mit Styling-Beratung von der Chefin persönlich. Ein Girlie-Moment in diffusen Zeiten.

Im großen Saal steht der lange Tisch, an dem in den letzten Monaten sehr viel gearbeitet wurde, und an den Kleiderständern hängen nun die Ergebnisse: die „+J“- Kollektion, auf die jetzt der Run in den Uniqlo-Geschäften und im Online-Store starten kann. Man kann das nur empfehlen. Die erste Kollektion 2009 war schon die überschaubare Investition wert, damals, als Jil Sander ihren demokratischen Luxus zufällig startete, als die Welt mit den Folgen der Finanzkrise kämpfte. Elf Jahre später hat sie mit Schnitten, Material und Verarbeitung eine neue Dimension erreicht. Wie auch die globalen Herausforderungen. Wieder so ein Zufall, der sie besorgt. Und doch: In Zeiten, in denen Sinn und Überfluss in der Modebranche heftig diskutiert werden, trifft sie mit ihrer konzentrierten Haltung den Nerv: „Qualität, Schnitt, Tayloring, das geht auch in dieser Preisklasse. Und für mich sind zwei Punkte essenziell: Langlebigkeit und Beständigkeit.“ Und natürlich die Energie, eines ihrer Lieblingswörter. Es hat wieder geklappt, das in Stoffskulpturen zu übersetzen. In den dunkelblauen Mantel habe ich mich verliebt, bevor ich ihn überhaupt über den Schultern hatte. Sie zuppelt ihn zurecht und sagt fröhlich: „Das Material ist doch irre zu dem Preis!“ Ist es.

Jil Sander fotografiert von Peter Lindbergh

„Qualität, Schnitt, Tayloring, das geht auch in dieser Preisklasse. Und für mich sind zwei Punkte essenziell: Langlebigkeit und Beständigkeit.“ Und natürlich die Energie, eines ihrer Lieblingswörter. Es hat wieder geklappt, das in Stoffskulpturen zu übersetzen. In den dunkelblauen Mantel habe ich mich verliebt, bevor ich ihn überhaupt über den Schultern hatte. Sie zuppelt ihn zurecht und sagt fröhlich: „Das Material ist doch irre zu dem Preis!“ Ist es.

ICON: Frau Sander, wie kam es, dass Sie doch noch einmal zu Uniqlo zurückgekehrt sind?

Die Möglichkeit stand immer im Raum. Uniqlo hat die Zusammenarbeit bei der Entwicklung ihrer „Quality For All“-Philosophie geholfen. Und für mich war es eine große Freude, Luxusqualität zu demokratischen Preisen anbieten zu können. Mich begeistert, dass sich viele Menschen mehr als ein Stück aus dieser konzentrierten Kollektion leisten können werden.

Was treibt Sie an? Ist es eine Art Sucht?

Ja, man kann die Designarbeit als eine Sucht bezeichnen. Sie geht immer weiter, auch in Zeiten jenseits des Ateliers. Aber meine Kreativität war nicht unbeschäftigt, ich habe meinen Garten weitergestaltet und unter anderem die Museumsausstellung „Jil Sander Präsenz“ erarbeitet. Ich konnte jederzeit wieder einsteigen.

Ist diese Kollektion der gute, alte Jil Sander-Look? Aus Hamburg, für Hamburg, in Hamburg?

„+J“ ist meine Handschrift. Natürlich musste ich auch darum kämpfen, dass die Kollektion meinen Vorstellungen entspricht. Sie ist reduziert und die Herausforderung, ein Zusammenspiel der Teile zu erreichen, war reizvoll, aber auch komplex. Mit Hamburg kann ich die Kollektion in Verbindung bringen, weil sie hier entstanden ist. Aber Hamburg ist für mich immer eine weltläufige Stadt gewesen, die nicht einengt, sondern den Sinn fürs Kosmopolitische öffnet. Diese Verbindung zur Welt ist schon immer ein Vorteil für meine Arbeit gewesen.

Wie war das Arbeiten bei Uniqlo jetzt? Waren die vertrauten Menschen, die Sie seinerzeit engagiert hatten, noch da? Sie konnten ja nicht wie früher, ständig nach Tokio ins Atelier fliegen.

Ich habe mein Team zurückbekommen, und die Zusammenarbeit war sehr motiviert. Es war eine Freude, die kreative Arbeit gemeinsam wieder aufzunehmen. Unter den Einschränkungen der Pandemie mussten wir alle zaubern.

„+J“: Looks für Frauen und Männer, unisex zu tragen. Fotografiert von dem Briten David Sims, mit dem Jil Sander schon seit den 1990er-Jahren freundschaftlich zusammenarbeitet

Sie sind ja ein sehr haptischer Mensch, eine Perfektionistin zudem, wie entsteht so eine Kollektion über die Distanz?

Ohne Haptik geht es nicht. Und da wir die Stoffe alle selbst entwickelt haben, haben die Reiseeinschränkungen unsere Arbeit nicht vereinfacht. Natürlich haben wir alle Entwürfe analog im Hamburger Atelier gefittet. Gleichzeitig gab es regelmäßig längere Videositzungen. Sie haben viele Probleme gelöst, obwohl digitale Treffen auch ermüdend sein können. Sie sind nicht vergleichbar mit der persönlichen Zusammenarbeit.

Bekannt ist, dass Sie sogar in der Zusammenarbeit mit High-Fashion-Marken manch unerfreuliche Diskussion über Qualitäten führen mussten, wenn es um die Kosten ging. Sie wollten keine Kompromisse eingehen um der Margen willen. Wie ist es, wenn man für ein Unternehmen arbeitet, das sowieso in ganz anderen Preiskategorien produziert und agiert als der Luxusmarkt?

Ich spreche in Videokonferenzen oft mit Tadashi Yanai, dem Besitzer von Uniqlo. Wir haben in der Vergangenheit bereits drei Jahre zusammengearbeitet und kennen uns inzwischen sehr gut. Unsere Kooperation hat das ausdrückliche Ziel, das Beste, also maximale Qualität und unserer Zeit gemäßes Design, anzubieten. Dass so ein Anspruch im Einzelnen immer wieder durchgesetzt und abgesprochen werden muss, gehört zum Alltag des Designers.

Haben Sie Kompromisse machen müssen? Ermöglichen Hightech-Materialien eine demokratischere Preisgestaltung, und sind Sie an der Entwicklung neuer Materialien involviert?

Hightech ist oft nicht günstiger als traditionelle Luxusstoffe, weil die Entwicklung sehr aufwendig ist. Ich mache keine Kompromisse in der Materialwahl, es kommt auf die Funktion an und auf die Präsenz des Materials als dreidimensionale Form.

Seit der letzten „+J“-Kollektion 2009 hat sich die Welt dramatisch verändert und die Mode auch. Aus einer gewissen Ferne jetzt: Wie beurteilen Sie die Modewelt heute?

Die Mode hat sich sehr gewandelt. Dank der digitalen Medien ist sie heute allgegenwärtig und hat ihre klaren Rhythmen verloren. Deshalb ist es schwer, noch von Trends zu sprechen. Auch die Idee des Neuen hatte vorübergehend an Bedeutung verloren. Aber ich bin immer interessiert, neue Möglichkeiten zu finden. Aktuell befinden wir uns weltweit in einem dramatischen Wandel. Ich gehe davon aus, dass er sich auch auf die Art und Weise, sich zu kleiden, auswirkt.

 

 

Foto Florian Holzherr
Foto Florian Holzherr

Luxus hat sich der Fast-Fashion-Geschwindigkeiten unterworfen, wie sehen Sie das?

Für mich war Luxus nie nur handwerkliche und stoffliche Qualität, sondern immer auch die Reflexion eines Zeitgefühls und bestimmter Inhalte. Für mich hat auch Luxus seine Berechtigung, wenn er in allen Aspekten begehrenswert ist, wenn er animiert und die Persönlichkeit bereichert, wenn er modern ist und die Funktionalität nicht vergisst. Deshalb führt Fast Fashion meines Erachtens nicht unbedingt zu einer parallelen Beschleunigung des Luxusmarkts. Es braucht Zeit, bis sich ein neues Gegenwartsgefühl in eine neue Form des Luxus übersetzt.

Sind Sie auf Instagram unterwegs?

Nein.

Es wird viel über Nachhaltigkeit, Circular Fashion, Bewusstseinswandel, Genderbending im Modekontext diskutiert. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Sie fassen viele Themen in einer Frage zusammen. Nachhaltigkeit steht bei Uniqlo zum Glück an erster Stelle. Hier wird viel bewegt und geändert. Bei Circular Fashion, den neuen Formen des Secondhand-Handels, beobachte ich das Mix-&-Match der Stile mit viel Vergnügen, hier hat vor allem die Jugend eine interessante Antwort auf die in High End und High Street auseinanderfallende Mode gefunden. Persönlich habe ich fast eine Aversion gegen vergangene Kleidung. Durch meine Designarbeit habe ich einen siebten Sinn für Relevanz in der Kleidung entwickelt und suche ständig nach Unverbrauchtem. Das ist in der heutigen Modelandschaft gar nicht einfach. Und was das Genderbending betrifft: Für mich stand immer die Modernität der Aussage im Zentrum. Das betraf auch die Aufhebung der Geschlechtercodes, wenn sich dadurch neue Möglichkeiten für Mann und Frau ergaben.

Kann Mode überhaupt nachhaltig sein? Muss sie das überhaupt?

Wir können Nachhaltigkeit nicht mehr ausblenden, wenn wir unseren wunderbaren Planeten retten wollen. Mir scheint nur, dass man sich nicht auf Nachhaltigkeit beschränken sollte. Mode verliert ihren Reiz, wenn das Design vernachlässigt wird. Aber sie sollte Nachhaltigkeit konsequent zu einer Bedingung machen.

Mit Corona kam das Homeoffice. Aber deswegen die alte Jogginghose aufzutragen ist ja keine Lösung, oder? Gibt es Grenzen der Bequemlichkeit aus Achtsamkeit sich selbst gegenüber, auch ohne Publikum?

Man zieht sich auch für sich selbst an. Selbst im Homeoffice hilft die Kleidung dabei, Energie zu generieren und sich in eine öffentliche Person zu verwandeln, die in Zoom-Konferenzen oder auch am Telefon agiert. Kleidung, in der sich die eigene Haltung widerspiegelt, ist auch ein Glücksfaktor.

Wie haben Sie dieses Jahr verbracht?

Ich habe das Jahr im Atelier verbracht und war oft in der Natur.

Sind Sie besorgt oder zuversichtlich?

Ich neige zur Zuversicht.

Das Hamburger Licht, der Background haben stets Einfluss auf Ihre Entwürfe gehabt. Wie steht es mit Reisen, Gärtnern, Architektur, dem Haus auf Ibiza. Finden sich diese Themen auch wieder?

Alles hat Einfluss auf die Designarbeit, aber auf subtile Weise, nicht durch direktes Zitieren. Perfektion schult das Unterscheidungsvermögen, sei es die einer traditionellen Finca oder die Perfektion des alles durchdringenden norddeutschen Lichts, das Genauigkeit verlangt.

Was tragen Sie selbst, seitdem Sie keine eigene Marke mehr haben? Tragen Sie die ganzen alten Sachen auf, wie viele Ihrer ehemaligen Kundinnen? Vieles ist ja immer noch zeitgemäß.

Ich trage meist eigene Entwürfe. Deshalb freue ich mich schon auf die Auffrischung meines Kleiderschranks.

Oft denkt man, „ich hab doch genug“. Und im nächsten Moment ist da die Sehnsucht nach neuen Sachen. Ist es eine Wohlstandssucht oder vielleicht doch ein gar nicht so oberflächliches Bedürfnis?

Unser Bedürfnis nach neuer Kleidung ist tief verwurzelt. Sie hilft uns, uns zu entwickeln, sei es auch nur symbolisch, und verleiht uns dazu die nötige Kraft.

Interview
Inga Griese