Weithin sichtbar steht das riesige Fabrikgelände von Swarovski vor der Tiroler Alpenkulisse. Knapp 20 Fahrminuten von Innsbruck entfernt liegt aber nicht nur die Konzernzentrale des Kristallproduzenten, sondern auch das Herzstück der 1895 gegründeten Firma: die „Kristallwelten“. Quasi der Erlebnispark des Familienunternehmens. André Heller hatte die „Wunderkammern“ zum 100-jährigen Bestehen konzipiert. Besucher betreten die „Kristallwelten“ durch einen aus Rasen geformten Riesenkopf, ein typisches Heller-Objekt, der noch jeden Besucher verschluckt hat. Im Wortsinn. Denn drinnen sind 18 unterirdische Ausstellungsräume angelegt, deren Prinzip auf den historischen Wunderkammern von Schloss Ambras beruht, in denen im 16. Jahrhundert lauter Kuriositäten und Fundstücke aus aller Welt ausgestellt wurden.
KUNST, KRISTALLE UND KOMMERZ
Die heutigen sind es moderne Kuriositätenkabinette, die zum Staunen und Schauen einladen sollen. Und für Glamour in der Provinz sorgen. Denn mal schwebt ein über und über mit Kristallsteinen besetzter Elton John durch eine Kammer, mal steht man in einer Art Spielzimmer des belgischen Künstlerduos Studio Job. Nun kommt zu Kunstwerken von Andy Warhol, Niki de Saint Phalle, Keith Haring oder dem „Chandelier of Grief“ der Japanerin Yayoi Kusama ein weiteres hinzu: „Umbra, 2022“. Eine Installation des amerikanischen Lichtkünstlers James Turrell. Carla Rumler, Kreativdirektorin und Kuratorin der Kristallwelten, erklärt uns, wie sie es immer wieder schafft, die internationale Kunstwelt nach Tirol zu holen und was ihr neuester Scoop in ihr auslöst.
Kuratorin Carla Rumler und Stefan Isser, Geschäftsführer D. Swarovski Tourism Services GmbH
Vor kurzem haben Sie die James Turrell Wunderkammer in den Kristallwelten eröffnet. Wann hatten Sie die Idee den Meister des Lichts zu fragen?
Eigentlich schon 2015, als wir die Kristallwelten umgebaut haben. Aber es muss erst einmal eine Wunderkammer frei werden und sich auch eignen. Wir sind 2019 mit James Turrell in Kontakt getreten und er war gleich von der Idee angetan, denn er befasst sich in seinen Werken sehr mit Spektralfarben und Kristall, kannte Swarovski, hauptsächlich wegen unserer optischen Produkte. Gemeinsam haben wir dann überlegt, welches seiner Werke sich eignen würde. Es ist eine seiner „Shallow Space Construction“ geworden, übrigens die einzige im deutschsprachigen Raum. Die Raumgröße passt perfekt und integriert sich gut in den Besucher Flow.
Wieso wurde es kein Skyspace, einer seiner Lichträume mitten in der Natur, die er seit den 60er-Jahren konzipiert und wie er sie Houston, Lech und gerade in Uruguay installiert hat?
Seine Skyspaces müssen draußen sein. Insofern ist das hier etwas problematisch. Denn Skyspaces entfalten nur in der Dämmerung die volle Magie. Oder am Abend. Wir hätten uns also an bestimmte Zeiten halten müssen, um die Installation erlebbar zu machen, und das wäre hier im normalen Betrieb schwierig geworden. Außerdem gibt es einen in Lech. Und diesen Shallow Space gibt’s so schnell nicht noch einmal.
War Turrell selbst schon hier?
Nein, er hat es noch nicht gesehen. Sein Agent, mit dem er seit 30 Jahren zusammenarbeitet, hat ihm immer wieder Videos geschickt. Er wäre auch gern zur Eröffnung persönlich erschienen, aber er ist 80. Vielleicht klappt es im Juni.
Wie funktioniert das Prinzip Wunderkammern hier in den Kristallwelten? Wonach wählen Sie die Künstler aus?
Ich bin zwar lange schon bei Swarovski, aber nicht von Anfang an bei den Kristallwelten als Kuratorin involviert. 2012 kam ich dazu und mein Ziel war es, das künstlerische Level zu erhöhen. Das fortzuführen was André Heller begonnen hat. Ihm ging es um das Zusammenspiel von Kristall und Kreativität. Das Ganze startete als Idee, um unseren Sammlern einen Raum zu geben. Wir hatten damals 500.000 Sammler und einen Club. Und wenn sie nach Wattens kamen, gab es außer der Fabrik von außen nichts zu sehen. Nur einen kleinen Laden. Sie sollten aber das Medium Kristall in allen kreativen Facetten erleben können. So fing es an. Das Resultat hat natürlich nicht nur die Sammler angezogen, sondern viele andere Menschen.In kürzester Zeit waren wir das am zweit meistbesuchte Ausflugsziel Österreichs. Gleich nach Schloss Schönbrunn. Ich war vor Ewigkeiten mal in Indien und habe in einem Reisebüro einen Prospekt entdeckt. Da waren Big Ben, der Eiffelturm und unser Riese abgebildet. Unglaublich, oder?
Wie schaffen Sie es gleichzeitig den künstlerischen Anspruch hochzuhalten und kommerziell zu sein?
Ich will die Topleute der Kunstszene zu uns zu holen, auch wenn’s hier kommerzieller ist. Spielerisch sollte es sein. So wie Sie das bei den Kammern von Studio Job oder im Garten erleben können. Hier steht seit 2019 das „Carousel“ von Jaime Hayon. Wir wollen alle Altersgruppen gleichermaßen faszinieren und alle sozialen Level. Jemanden, der sehr Kunst affin ist, bis hin zu jemandem, der sich noch nie mit Kunst befasst hat. Es ist für jeden etwas dabei. Und zwar auf höchstem Niveau. Das ist meine Mission.
Die blaue Halle, der Eingangsbereich im Riesen, wurde seit 1995 aber nicht verändert.
Ja, die ist gesetzt. Sie hat etwas so Intensives, erstrahlt in Yves-Klein-Blau. Dieses erhabene Gefühl, das Spirituelle, ist unglaublich, wenn man sie betritt. Das ist fast wie in einem Tempel. Die Wunderkammern aber werden immer wieder erneuert. So leid es mir tut, sie auszutauschen, weil ich sie alle mag.
Was passiert dann mit den Werken?
Sie werden weder eingelagert, noch wandern sie auf einen Flohmarkt. (lacht) Wir machen weltweit Ausstellungen mit ihnen, oder dekorieren sie in Geschäften oder auf Events. Oder wir hängen sie in die Büros.
Das ist sehr zugewandt.
Ja. Das Schöne ist: Wir leben eigentlich mit der Kunst. Haben kein Depot. Die Kunst ist erlebbar. Für uns selbst, für die Mitarbeiter. Für unsere Kunden. Wir haben schon ein großes Glück mit dem Medium Kristall.
Sie meinen, dass es so Kontext-freudig ist?
Die Geschichten, die man mit Kristall erzählen kann, sind endlos. Und ich bin immer wieder verwundert, wenn neue Künstler durch ihre Zugänge ganz andere Interpretationen erschaffen, wo wir alle immer überrascht sind, wie viele Geschichten man noch erzählen kann. Die Künstler gehen teilweise sehr jungfräulich an das Ganze heran. Fragen dies und das, probieren aus.
Erhalten die Künstler denn Carte Blanche?
Wir sind bei der Auswahl sehr sorgfältig und überlegen gut, mit wem wir arbeiten möchten. Wenn der Künstler zusagt, dann haben wir oft schon eine Vorstellung. Und wenn wir uns auf diese Idee einigen, dann hat er oder sie wirklich volle Freiheit. Wir wussten auch nicht im Voraus, welche Farben James Turrell hier verwenden würde.
„Für mich hat seine Arbeit etwas Sakrales. Eine emotional erhebende, angenehme, schon fast berührende Erfahrung.“
Sein Werk „Umbra, 2022“ ist eine begehbare Installation aus Licht und Farben, die auf alle Sinne wirkt und zutiefst berühren soll. Was macht es mit Ihnen?
Für mich hat seine Arbeit etwas Sakrales. Eine emotional erhebende, angenehme, schon fast berührende Erfahrung. Ich habe längere Zeit im Shallow Space verbracht. Es ist sicher ein Werk, dass man nicht bloß im Vorbeigehen auf sich wirken lassen kann.
Und schon gar nicht festhalten kann. Mit der Handykamera lässt sich der Augenblick kaum einfangen.
Exakt. Diese Wunderkammer soll unsere Wahrnehmung schärfen. Man muss sich darauf einlassen und ich hoffe, dass unsere Gäste das auch tun. Ich finde sie sehr gelungen. Sie hat etwas Leichtes. Wenn man sich auf die Kraft des Lichts fokussiert. Man kann hier die Seele des Kristalls erleben – und was bitte wäre ein Kristall ohne Licht?