Alle wollen jetzt zum Mond oder Mars. Den Künstler Tom Sachs interessiert das auch. Aber vor allem die Reflexion über Nutzen und Nachteil von Expeditionen in andere Welten.
Campingtrip im All
In den 1990er-Jahren wurde der New Yorker Bildhauer Tom Sachs durch Arbeiten bekannt, die Ikonen der Konsumkultur in neue, mitunter provokative Zusammenhänge stellten, und gilt als einer der legitimen Nachfolger von Andy Warhol. Seit etwa fünfzehn Jahren ist die Raumfahrt sein Thema. Mit Sperrholz und Schaumstoff, mit Heißkleber und Schrauben entstehen in seinem Studio und mithilfe seines bis zu 20-köpfigen Teams Skulpturen, die den Menschheitstraum der Erkundung ferner Himmelskörper aus dem Weltraum in den Ausstellungsraum überführen. Während des Aufbaus seiner großen Schau in den Deichtorhallen Hamburg durfte unsere Autorin mit dem so gescheiten wie amüsanten Künstler auf das Dach des Landemoduls klettern. Jetzt ist sie überzeugt: Sachs’ „Space Progam“ ist viel mehr als die Erfüllung eines Jungstraums. Mehr als feinste Do-it-yourself-Bastelei. Es ist ein wundersam detailreiches Gesamtkunstwerk, bei dem der Ausstellungsbesucher auch Teil der Crew werden kann. Und darüber hinaus eine intelligente Reflexion über Nutzen und Nachteil von Expeditionen in andere Welten, Smartphones und das World Trade Center.
Die Stilisten: Mr. Sachs, Ihre früheren Ausstellungen zeigten die Expeditionen, die Sie mit Ihrer Crew zu Mond, Mars und dem Jupiter-Mond Europa unternommen haben. Warum geht es jetzt zum Asteroiden Vesta?
Tom Sachs: Es gibt derzeit um die acht Milliarden Menschen auf der Erde, und wir produzieren bis zu 1,5 Milliarden Handys im Jahr. Für die Dinge, die wir begehren, erschöpfen wir die Ressourcen der Erde. Wir haben so viele seltene Rohstoffe wie Platin und Gold verbraucht, dass wir neue Ressourcen in anderen Welten suchen müssen. Vesta ist benannt nach der römischen Göttin von Heim und Herd. Vesta ist also nicht zufällig das Ziel dieser Mission, die unsere Gier und unser Begehren nach mehr erforscht.
Sie haben einmal gesagt, Sie würden nicht zum Mars reisen, denn die Erde sei „wie ein großer warmer feuchter Kuss“ und Sie zögen es vor, diese bis ins letzte Detail zu erkunden. Trotzdem haben Sie sich um die Teilnahme an dem Mondflug „Dear Moon“ beworben.
„Eigentlich will ich gar nicht, denn es ist gefährlich und kostet einen Haufen Zeit. Schließlich macht keiner „Tom Sachs Kunst“ hier unten besser als ich (lacht). Würde ich aber tatsächlich ausgewählt, wäre ich einer von acht kostenlos mitreisenden Künstlern. Bisher hat ja keiner von denen, die dem Mond nahe kamen, wirklich davon erzählt, was es bedeutet, die Erde als Ganzes, ihre Winzigkeit im Kosmos zu sehen: beleuchtet von der Sonne, umgeben vom stillen, dunklen Weltraum. Ich würde den Rest meines Lebens erzählen, wie fragil, magisch und einzigartig das Leben auf der Erde ist. Wir sollten nicht Leute ins All schicken, die es sich leisten können, sondern die, die über die Erde sprechen können. Schließlich verhunzen wir diesen Planeten so schnell, dass wir sofort etwas dagegen tun sollten.“
Vor Eröffnung der Ausstellung startet eine Live-Demonstration, bei der zwei Astronautinnen die ausgestellten Gerätschaften in Aktion vorführen. Was geht da ab?
Zu den etwa 30 Programmpunkten gehört der Raketenstart ebenso wie die Entnahme von Proben aus dem Boden der Deichtorhallen oder eine japanische Teezeremonie. Unser Raumfahrtprogramm ist real. Es passiert zwar in den Deichtorhallen, aber die Konsequenzen sind real. Die Raumanzüge können überhitzen. Unser Bodenpersonal muss ständig die Gesundheit der Astronautinnen überprüfen. Und falls das Raumschiff verunglückt, muss die Verantwortliche eine fürchterlich schmerzhafte und peinliche Strafe über sich ergehen lassen: Sie muss sich eine Rede von Richard Nixon anhören, gesprochen von ihrem Vater (grinst).
Es wird auch Bereiche geben, die nicht für alle zugänglich sind. Warum?
Jeder kann überall hin. Aber es gibt Bereiche, die muss man sich ein wenig erarbeiten. Wir nennen das Indoktrinierung. Wer will, kann die Ausstellung einfach nur konsumieren. Aber wer mag, taucht tiefer in unser Denken ein, das um das Prinzip der Bricolage kreist: Lieber produzieren wir mit einfachsten handwerklichen Mittel und reparieren Dinge, als dass wir in dieses Handy-Ding gucken und neue Dinge ordern und konsumieren.
Sie haben ein gespaltenes Verhältnis zum Smartphone?
Ja, für mich ist das der zentrale Konflikt unserer Zeit. Meine Studio-Managerin ist ein „digital native“. Ich bin mit meinen 55 Jahren nur ein digitaler Immigrant. Mein vierjähriger Sohn ist dagegen schon ständig mit dem iPad zugange. Es ist Teil seines Hirns. Ich verbringe zwar Tag und Nacht mit dem Handy, es rührt an all mein Glück, meine Sorgen, meine Ängste, all meine Sehnsüchte, aber nichts davon kann es wirklich erfüllen. Was mich glücklich macht, ist weit entfernt – die Empfindungsfähigkeit meines Körpers, die Menschen und dass ich solche Dinge bauen kann. Deshalb habe ich ein morgendliches Ritual, das ich Output vor Input nenne: Als Erstes zeichne ich oder ich arbeite mit Ton. Es geht darum, meinem Unbewussten und meinem Körper nach dem Aufwachen Raum zu lassen – noch bevor ich einen ersten Blick aufs Handy werfe.
Um Handys geht es auch in der Ausstellung?
Im Ritual der Transsubstantiation können Besucher ihre Mobiltelefone abgeben. Diese werden dann zerlegt, das Gold wird extrahiert und aus der Ausbeute formen wir ein goldenes Idol.
Ganz schön hart! Aber auch Ihr Verhältnis zur Raumfahrt ist ziemlich ambivalent?
Man kann zu anderen Welten aufbrechen, weil man diese hier verwüstet hat. Man kann ohne Respekt für andere Welten wie Elon Musk sagen: Egal, lass uns den Mars ausradieren und ihn dem Terraforming unterwerfen! Man kann aber auch zu anderen Welten aufbrechen, um unsere eigenen Ressourcen besser zu verstehen. Wenn Sie nach einem Campingtrip zurück in Ihre Wohnung kommen, schätzen Sie Ihren Komfort auf ganz neue Weise. Um unsere Lebensbedingungen auf der Erde zu respektieren, ist Raumfahrt der ultimative Campingausflug.
Welche Funktion haben die beiden Skulpturen, die in den Deichtorhallen an die Silhouette des World Trade Center erinnern?
Das Raumfahrtprogramm, dieses riesige Projekt, wird von der Maschinerie des Kapitalismus angetrieben. Das World Trade Center ist vielleicht seine vollkommene Verkörperung. Zumal es schon an Arroganz grenzt, einem Gebäude diesen Namen zu geben. Für mich aber ist diese Arbeit auch eine sehr persönliche, denn die Anschläge vom 11. September passierten in meiner Nachbarschaft. Ich war damals im Studio, ich sah wie das zweite Flugzeug ins Gebäude flog und die Türme einstürzten. Einige aus meinem Team wollten sich sofort den Marines anschließen und in Afghanistan kämpfen. Nein, sagte ich. Wir haben die Werkzeuge, wir werden nach Verschütteten graben und dann werden wir erst einmal über unterschiedliche Weisen sprechen, die Welt zu verstehen. Das World Trade Center ist einerseits Symbol des scheinbar exzessiven Drangs, andere Welten zu entdecken, und gleichzeitig ein Symbol, für das, was wir sind. Darum geht es mir generell in meinen Arbeiten: Strukturen wie diese zu beleuchten und transparent zu machen.
Kommt nach der Vesta-Expedition noch ein fünftes Raumfahrtprojekt?
Wir arbeiten tatsächlich schon am nächsten. Es wird aber nicht das fünfte, sondern gleich das unendliche „Space Program“ sein.
Klar. Wohin geht es dann?
Das Ziel der Reise ist die Unendlichkeit. Und das, was jenseits von ihr ist.
Der Künstler: Tom Sachs. Die Ausstellung „Tom Sachs. Space Program: Rare Earths (Seltene Erden)“ ist bis 10. April 2022 in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen.