Mit der „Nautilus“ den Stahluhr-Topseller aus dem Programm zu nehmen, sorgte 2021 für Aufsehen. Nun gibt es einen Nachfolger in Gold. Hier erklärt der Chef Thierry Stern, was das mit der Branchen-Situation zu tun hat.
Ist Patek Philippe bald nur für Milliardäre da, Herr Stern?
Mit der „Nautilus“ den Stahluhr-Topseller aus dem Programm zu nehmen, sorgte 2021 für Aufsehen. Nun gibt es einen Nachfolger in Gold. Hier erklärt der Chef Thierry Stern, was das mit der Branchen-Situation zu tun hat.
Ausgerechnet in dem Moment, in dem Stahluhren boomten wie nie zuvor, nahm Patek-Philippe-Chef Thierry Stern sein Erfolgsmodell „Nautilus“, Referenz 57/1,1 voriges Jahr aus dem Programm. Die Uhr, die Gérald Genta designt hatte, präsentierten die Genfer 1976 – und sie wurde zum Symbol für das Unternehmen. Auf dem Gebrauchtmarkt wird der Zeitmesser für sechsstellige Beträge gehandelt. Sein letzter Verkaufspreis lag um 27.500 Euro, doch das Unternehmen konnte die Nachfrage nicht befriedigen. Nun bringt der Familienbetrieb den Nachfolger heraus: Das ist nicht nur für Uhren-Freunde ein wichtiger Tag, denn das Modell gehört zu den begehrtesten Gegenständen im Luxussektor überhaupt.
Herr Stern, als Sie Anfang vorigen Jahres mit der „Nautilus“ in Stahl Ihren Topseller aus der Kollektion nahmen, gab es einen Aufschrei in der Szene wie seit Jahren nicht mehr.
Ich erinnere mich sehr gut, ja.
Sie haben dann noch kurz eine Version mit grünem statt blauem Zifferblatt gefertigt, auf die sich die Sammler stürzten. Das neue Modell ist wieder blau, hat einen geringfügig größeren Durchmesser, vor allem aber besteht es aus Weißgold. Warum haben Sie sich gegen Stahl entschieden?
Wir können derzeit 66.000 Uhren pro Jahr bauen, das ist nicht sehr viel. Deshalb überlegen wir genau, wofür wir unsere Kapazitäten einsetzen. Patek Philippe stand immer dafür, hervorragend mit edelsten Materialen wie Gold und Platin umgehen zu können. Da war es nett, eine Stahlversion anzubieten, aber dieses Material gehört nicht zu unserem Markenkern. Wer zu sehr auf Stahl setzt, kann auch Probleme bekommen, danach wieder Gold- und Platin-Uhren zu verkaufen.
In Stahl haben Sie auch die „Aquanaut“ und manche Versionen der „Twenty-four“.
Genau, deswegen muss ich aufpassen, dass der Anteil an diesem Material nicht zu hoch wird. Außerdem hatte ich bei der Stahl-„Nautilus“ einfach das Gefühl, jetzt genug davon gebaut zu haben – es ist wichtig, dass unsere Uhren immer der Nimbus des Raren umgibt. Dass wir Dinge aus der Kollektion nehmen, passiert bei jedem Modell, irgendwann muss etwas Neues kommen.
Wirklich grundstürzend neu wirkt die Gold-Version allerdings nicht.
Sie hat kein neues Werk, aber wir haben die Details sehr fein überarbeitet: Das Blau des Zifferblatts hat jetzt den optischen Effekt einer schwarzen Strahlung dazubekommen, das Datumsfenster wirkt harmonischer. Am besten gefällt mir das Armband. Man kann es im Sommer etwas verlängern, wenn sich das Handgelenk in der Wärme etwas ausweitet. Das war schwierig – denn wir wollten etwas kreieren, das zur leichten Ästhetik der Uhr passt.
Welchen Platz in der Kollektion haben Sie für diese Uhr vorgesehen, wie lautet ihre Botschaft?
Botschaft ist ein großes Wort. Ich sehe sie als vielseitige Sportuhr, wasserdicht bis 120 Meter, die man zum Anzug tragen kann. Sie darf trotz ihres klassischen Looks auch ein bisschen trendy wirken. Ich bin mir übrigens sicher, dass wir sie an den Handgelenken einiger Frauen sehen werden. Allzu viele wird es allerdings auch von ihr nicht geben, die Kapazitäten in der Fertigung sind beschränkt. Unsere Konzessionäre sollten bei der Wahl ihrer Kunden sehr genau hinschauen. Und eines schönen Tages werden wir auch diese Uhr wieder aus dem Programm nehmen.
Offenkundig ist es derzeit Ihre Strategie, nicht die Stückzahlen zu erhöhen, sondern dafür lieber immer kompliziertere Uhren aus teuren Materialien zu fertigen. Wollen Sie Patek Philippe zu einer Marke für Milliardäre machen?
Ich sehe das eher andersherum. Unsere Produkte sind so aufwendig, dass sie ein gewisses Preislevel haben müssen, wenn wir nicht vom Markt verschwinden wollen. Ich brauche ständig neue Werke und andere Innovationen und will auch meine Mitarbeiter fair für ihre Arbeit entlohnen. Das ist hier ein Familienunternehmen, wir sind auf uns selbst gestellt – und könnten von Stahluhren allein nicht überleben. Am Ende haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir produzieren entschieden mehr – oder wir tun, was unsere Firma seit ihrer Gründung zusammenhält: Wir wollen an der Spitze der Feinuhrmacherei stehen, und das geht nicht, wenn wir nur einfache Werke in Stahlgehäusen herstellen. Wir müssen beweisen, dass wir exklusive Materialien und vor allem komplizierte Mechanismen beherrschen. Nebenbei: Zu Ewigen Kalendern und Minutenrepetitionen passt Stahl einfach nicht, solche Spezialitäten haben Gold oder Platin um sich herum verdient.
Offenkundig ist es derzeit Ihre Strategie, nicht die Stückzahlen zu erhöhen, sondern dafür lieber immer kompliziertere Uhren aus teuren Materialien zu fertigen. Wollen Sie Patek Philippe zu einer Marke für Milliardäre machen?
Ich sehe das eher andersherum. Unsere Produkte sind so aufwendig, dass sie ein gewisses Preislevel haben müssen, wenn wir nicht vom Markt verschwinden wollen. Ich brauche ständig neue Werke und andere Innovationen und will auch meine Mitarbeiter fair für ihre Arbeit entlohnen. Das ist hier ein Familienunternehmen, wir sind auf uns selbst gestellt – und könnten von Stahluhren allein nicht überleben. Am Ende haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir produzieren entschieden mehr – oder wir tun, was unsere Firma seit ihrer Gründung zusammenhält: Wir wollen an der Spitze der Feinuhrmacherei stehen, und das geht nicht, wenn wir nur einfache Werke in Stahlgehäusen herstellen. Wir müssen beweisen, dass wir exklusive Materialien und vor allem komplizierte Mechanismen beherrschen. Nebenbei: Zu Ewigen Kalendern und Minutenrepetitionen passt Stahl einfach nicht, solche Spezialitäten haben Gold oder Platin um sich herum verdient.
Letzteres sehen manche Konkurrenten anders.
Ja, aber das bedeutet doch: Nicht Patek Philippe ist bei der Wertigkeit der Materialien hochgegangen, sondern die anderen herunter. Wenn ich mir aber dann die Preise mancher Marken ansehen, erstaunt mich das etwas. Bei denen sind Stahl und Keramik zuweilen teurer als Gold bei uns. Wir haben noch dazu gerade eine halbe Milliarde Franken in unsere neue Manufaktur investiert, da kann es nicht mein Ziel sein, eine Uhr für 5000 Franken herauszubringen.
Wenn man sich die allgemeine Situation Ihrer Branche ansieht, stößt man auf einen Widerspruch: Wir leben in einer Welt großer Krisen, mit all den Unsicherheiten, die das mit sich bringt. Aber die Uhrenindustrie scheint in einer starken Verfassung zu sein. Die Geschäfte laufen gut, für immer mehr Modelle gibt es lange Wartelisten. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ich bin mir nicht sicher, ob wirklich die ganze Industrie in einer starken Verfassung ist. Einige Häuser sind es sicher, andere nicht. Ich denke, in Zeiten wie diesen investieren die Menschen ihr Geld gern in sichere Anlagen, in etwas, dessen Wert stabil bleibt. Noch dazu sind Uhren ja auch Begleiter im Alltag und haben als Statussymbol noch lange nicht ausgedient. Die Menschen konnten auch lange weniger reisen, deshalb haben sie ihr Geld eher in unsere Produkte gesteckt. Wir haben profitiert, weil unsere Uhren all das leisten, was ich aufgezählt habe. Das kommt aber nicht von allein. Und ich fürchte, dass manche Marken, die heute viel verkaufen, inhaltlich weniger hart arbeiten als wir.
Was bleibt eigentlich von der Coronazeit?
Die Einsicht, dass man sich am besten so weit wie möglich auf lokale Kunden konzentriert. Wir hatten schon zuvor damit begonnen, und das war der Schlüssel dafür, dass wir ohne größere Schäden durch die harten Monate gekommen sind. Das war auch ein Signal an andere Häuser – heute haben alle ihre Kunden vor Ort ganz anders im Blick als zu Zeiten, in denen das Geschäft mit Touristen von allein lief. Ob die Krise ausgestanden ist, kann ich nicht einschätzen. In China gibt es Probleme, aber dort haben wir uns nicht so sehr engagiert.
Derzeit hört man viel über Probleme mit Zulieferern. Und dann sind da natürlich die steigenden Energiekosten. Wie wollen Sie dem begegnen?
Was die Zulieferer betrifft, sind wir in einer recht komfortablen Situation: Wir machen so viel selbst, wie es geht, und die Komponenten einer Uhr sind nicht sehr groß. Wir haben also noch volle Lager. Das meiste von dem, was wir sonst brauchen, konnten wir schon vor langer Zeit bestellen, auch wenn vielleicht nicht alles pünktlich eintreffen wird. Wir investieren auch Geld in Betriebe wie den Diamantensetzer Salanitro.
Wie sieht es bei der Energie aus?
Wir sparen, wo wir können. Aber natürlich braucht ein Unternehmen wie unseres viel Strom. Ganz klar, wir machen uns Sorgen – aber was sollen wir tun? Wir haben versucht, unser neues Gebäude nach höchsten Energiespar-Standards zu planen, das hat funktioniert. Jetzt verlangen wir ganz simple Maßnahmen von unseren Mitarbeitern: Macht das Licht aus, wenn ihr einen Raum verlasst. Schließt die Türen, damit die Wärme nicht entweicht. All diese kleinen Sachen, die den Unterschied machen. Ich ziehe das auch zu Hause mit meinen Kids so durch. Wenn wir helfen können, werden wir es tun – Solarzellen hätten bei uns noch Platz. Trotzdem gibt es nicht die eine magische Lösung, wir brauchen eben viel Energie, um unsere Uhren zu bauen. Wir, Rolex, die Swatch Group, die ganze Branche steckt in Schwierigkeiten.
Sehen Sie auch Chancen?
Was mich optimistisch stimmt, ist: Jetzt haben wirklich alle die Verpflichtung, sich Gedanken zu machen, wie wir Technologien entwickeln, die wirklich Energie sparen. Es wird also eine Lösung geben. Vielleicht nicht mehr in meiner Zeit an der Spitze, aber der ganze Impuls ist gut für die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen.
Wie groß ist eigentlich derzeit Ihre Erleichterung darüber, an der Spitze eines Familienunternehmens zu stehen, sodass Sie allein entscheiden können und nicht den Zwängen eines Konzerns unterliegen?
Sie sind gut – ich trage eine ganze Menge auf meinen Schultern, ich spüre sehr hohen Druck, gerade, wenn ich an meine Angestellten denke. Für die muss ich da sein. Andererseits haben Sie recht, ich kann schnell entscheiden. Krisen kommen immer plötzlich, das hat mir mein Vater beigebracht. Er sagte: „Du wirst durch schlechte Zeiten müssen, und du wirst sie nicht voraussehen.“ Deswegen habe ich immer dafür gesorgt, dass genügend Geld da ist, um keine Mitarbeiter zu verlieren. Wir bilden sie über Jahre aus, damit sie richtig gut werden. Da wäre es die schlimmste Vorstellung überhaupt für mich, eines Tages zu ihnen hingehen zu müssen und zu sagen: „Entschuldigung, das war’s!“
Hört man nicht oft.
Aber es ist das, was ich einen Kindern mit auf den Weg gebe: Kümmert euch darum, dass genügend Geld schlechte Phasen da ist, denn sie werden kommen. Und steckt euer Geld in die Menschen, denn die Menschen bringen die Produkte. In einer Krise und nach einer Krise braucht man besonders starke Neuheiten – und die zu entwickeln, das kostet eben. Ich habe immer ein, zwei Überraschungen in der Schublade, auf die ich bei Bedarf zurückgreifen kann.
Apropos stark aus einer Krise kommen – werden Sie eigentlich bei Ihrem Nein zum E-Commerce bleiben?
Ja, denn es ist zu früh. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Geschäftsmodell eines Tages zu uns gehören wird, aber bisher brauchen wir es noch nicht. Das Netz nutzen unsere Kunden eher dazu, sich zu informieren. Wir sind in der luxuriösen Situation, warten zu können, benötigen aber hervorragende Konzessionäre. Außerdem müssten wir wohl doch mehr produzieren, wenn ich diesen Kanal nutze. Ich glaube, ich überlasse den E-Commerce lieber meinen Kindern.
Von denen sprechen Sie mehr und mehr. Wie wachsen die in die Firma herein – und wo stehen sie derzeit?
Mein Älterer war auf der Hotelfachschule in Lausanne. Jetzt arbeitet er ein halbes Jahr bei Salanitro, den Steinsetzern. Er lernt da gerade sehr viel. Der Jüngere hat in sechs Monaten sein Abitur. Er weiß schon viel über das Produkt, denn er hat eineinhalb Jahre mit unseren Uhrmachern gearbeitet. Danach sagte er zu mir: „Papa, ich glaube, ich mache mal besser das Abi.“ (lacht) Sie lieben beide Uhren, obwohl ich sie nie in diese Richtung gedrängt habe. Sie müssen ihr eigenes Schicksal meistern, deshalb habe ich sie immer wissen lassen: „Mir ist’s egal, ob ihr bei Patek Philippe landet. Ich werde euch nie darauf verpflichten, denn wer für uns arbeitet, muss es mit Leidenschaft tun, sonst verschwendet er sein Leben.“
Sie haben ihnen wirklich die Wahl gelassen?
So war es. Jetzt kommen sie von sich aus und haben gemeinsam ein paar Armbänder entworfen. Dadurch lernen sie, das Produkt zu denken, seine Erfordernisse zu erkennen. Und danach werden sie genau wie ich alle Aspekte der Industrie in ganz verschiedenen Positionen kennenlernen. Ich glaube, sie werden eine noch bessere Ausbildung erhalten als ich – gerade, was das Finanzielle betrifft. Da lege ich großes Augenmerk drauf. Geld kann sich nur allzu schnell verflüchtigen, wie wir gerade gelernt haben, also müssen sie seinen Wert erkennen. Zu viele Menschen arbeiten hier zu hart, um sie um ihren Lohn zu bringen. Meine Ex-Frau Sandrine sagt den Kindern das Gleiche. Darin liegt eine große Chance für uns.
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