Die Oscar-Preisträgerin Kate Winslet ist eine außerordentliche Schauspielerin. Aber auch Role-Model für ein selbstbestimmtes Dasein. Und die Gelassenheit, die damit einhergehen kann.
EINE FRAU FÜR HEUTE
Die Oscar-Preisträgerin Kate Winslet ist eine außerordentliche Schauspielerin. Aber auch Role-Model für ein selbstbestimmtes Dasein. Und die Gelassenheit, die damit einhergehen kann.
„Sie haben ja eine richtige Bücherwand hinter sich, wie toll!“, ruft Kate Winslet in den Bildschirm. Dabei sitzt sie selbst nicht etwa vor einer öden Logowand, sondern am Küchentisch zu Hause, auf der Arbeitsplatte über den Tischler-Einbauschränken mit Landsitz-Patina steht eine Vase mit Pfingstrosen. Wir zoomen, die Kommunikationsform der Notgedrungenheit. Die aber in diesem Fall den Vorteil hat, einen, wenn auch kleinen Einblick in das private Umfeld der Britin zu bekommen; sie lebt mit ihrem Mann Edward Abel Smith alias Ned Rocknroll und ihren drei Kindern aus drei Ehen auf einem Gut in Sussex. Doch die Schauspielerin ist in jeder Situation in der Lage, eine angenehme Gesprächssituation herzustellen. Auch wenn dieses Interview auf Vermittlung der Kosmetikmarke L’Oréal zustande kam, deren Markenbotschafterin die 45- Jährige ist, wird es nicht zu einem Werbespot. Doch bevor wir uns verplaudern und sich das digitale Zeitfenster schließt, also schnell die Respektfrage:
Worauf möchten Sie als Botschafterin von L’Oréal aufmerksam machen?
Was mir an der Marke bereits gefiel, bevor ich angefangen habe, mit ihr zusammenzuarbeiten, ist, dass sie erschwinglich ist. Das finde ich sehr wichtig.
Wir leben in einer guten Zeit für Frauen, die uns auf eine neue Art und Weise wahrnimmt, oder?
Nun, wir müssen aufrichtig und freundlich sein und Mitgefühl zeigen. Das ist mir persönlich wichtig, meine grundsätzliche Einstellung und nicht in Bezug auf eine besondere Sache. Es geht darum, diese neue Energie zu nutzen, weil es das ist, was wir jetzt wollen und auch verdienen.
In jedem Fall hat sich der Schönheitsstandard gewandelt. Ich erinnere noch, wie Peter Lindbergh sich über zu viel Make-up aufregen konnte. Heute scheint Makel, zumindest in der Modewelt, ganz anders betrachtet zu werden. Was ist Ihr Eindruck?
Da bin ich bei Ihnen. Wir haben begonnen, Imperfektionen zu zelebrieren. Sie und ich haben das wohl immer gemacht, das merke ich, indem ich mit Ihnen spreche. Ich wünschte, wir wären im selben Raum. Mir fällt es schwer, an Peter zu denken, ohne ihn zu vermissen, denn das war ein Mann, der uns Frauen liebte. Sogar wenn ich meine fünf Minuten hatte, schlecht gelaunt und auch dicker war, nachdem ich meine Kinder bekommen hatte, und nicht so in meinem Element war, fühlte ich mich von ihm bestätigt und ernst genommen. Außer meinem Mann kenne ich niemanden, der mich so fühlen lässt. Das ist sehr selten, und das sollte es aber nicht.
Sie haben eine 20-jährige Tochter, Mia Threapleton, die auch Schauspielerin ist. Was wollen Sie dieser Generation vermitteln?
Ich versuche, die jüngere Generationen in jeder Hinsicht zu bestärken, und dazu gehört, dass man sich nicht mit Make-up bedecken oder dünn sein muss, um schön zu sein. Und dafür braucht es nicht das Einverständnis der Männer.
Oder das von anderen Frauen?
Ja, genau. Ich hoffe auch, das ändert sich. Ich bin damit aufgewachsen, dass Frauen im ständigen Wettbewerb zueinander stehen, sie wollten ständig urteilen und jemanden kleinmachen, sodass sie sich stärker fühlen können. Ich denke, das wird weniger, keine meiner Freundinnen hat daran Spaß. Ich habe übrigens so gut wie keine Schauspielerin als Freundin, die meisten meiner Freundinnen sind Mütter, Lehrerinnen, Ärztinnen. Wir leben in einer Zeit, in der Schwesterlichkeit viel wichtiger ist, und wir lernen, uns gegenseitig zu ergänzen. Ich habe meine Schwester gestern gesehen, sie ist drei Jahre jünger als ich. Wir sind gemeinsam kalt geschwommen; und sie sagte zu mir: „Du hattest immer schönere Beine als ich“, und ich antwortete: „Beth, keine sagt mehr so etwas. Das ist doch egal.“ Und da hatte ich das Gefühl, dass sie etwas losgelassen hat, das sie lange in ihrem Kopf hatte. Ich denke, natürliche Schönheit ist wahre Schönheit.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie so weit waren?
Wenn ich höre, wie meine Tochter mit ihren Freundinnen spricht, höre ich eine Selbstsicherheit, die wir nicht hatten. Ich sehe aber auch eine „gender fluidity“, und es gibt eine Diskussion über Inklusion und die eigene Identität. Da ist eine Stärke und eine Überzeugung, die es bei uns nicht gab, und ich denke, es ist ihnen weniger wichtig, den einen Mann zu finden. Meine Tochter und ihre Freundinnen reden nicht über Jungs und Beziehungen. Sie reden über Abenteuer und darüber, ob sie sich eine Wohnung für ein Jahr teilen oder gemeinsam reisen sollen – sie haben eine umfassendere Vorstellung davon, wie sie sich selbst erforschen können, bevor sie sich jemandem verpflichten.
In Ihrer wunderbaren Serie „Mare of Easttown“ spielen Sie eine Polizistin. Es geht um einen alten Fall und die Herausforderungen, beobachtet in einer kleinen Gemeinde zu leben.
Im Film findet etwas Schlimmes statt, aber für mich geht es um das wahre Gesicht einer Gemeinde, und das gefällt mir sehr. Ich bin in so einer Gemeinde aufgewachsen; natürlich gab es kulturelle Unterschiede; ich bin in England aufgewachsen und nicht in Amerika. Aber ich kannte die Freunde meiner Eltern, war mit deren Kindern befreundet, insofern kam es mir so vor, als würde ich Teile meiner Kindheit wieder erleben.
Gibt Ihnen persönlich die engmaschige Struktur einer Gemeinde Kraft?
Ja, ich habe sie immer unbewusst gesucht, auch wenn ich fern von zu Hause bin. Wenn ich mich zum Beispiel beruflich woanders aufhalten muss, versuchen mein Mann und ich das Gefühl herzustellen, als wären wir an dem Ort verankert. Wir suchen uns dann eine gute Bibliothek oder einen guten Buchladen und gehen zum Markt, wo man Woche für Woche dieselben Gesichter sieht, so hat man das Gefühl, mit den Ritualen und den Rhythmen mitzugehen, die zu dem bestimmten Ort gehören, das finde ich sehr behaglich. Und wir versuchen, das unseren Kindern zu vermitteln, weil sie es sonst in dieser Art von unstetem Leben nicht so kennen würden.
Freiheit ist ein Schlüsselwort in unserer westlichen Kultur, Covid hat uns jedoch gezeigt, dass sie nicht selbstverständlich ist. Brauchen wir mehr Wertschätzung?
Nun, ich denke, wir brauchen immer mehr Dankbarkeit und Großzügigkeit. Und mehr Geduld. Mehr Diskussion, mehr Debatte, wir müssen uns gegenseitig besser zuhören. Die Denunzierkultur, in der wir leben, kann etwas extrem sein, insbesondere, wenn es so viele verwundbare Menschen gibt, die emotional nicht belastbar sind und nicht in der Lage, die Cancel Culture zu überstehen. Wir wissen nicht genug über den mentalen Zustand derer, auf die wir mit dem Finger zeigen. Eine glückliche Welt ist nur möglich, wenn die Menschen integer sind und Mitgefühl zeigen. Mitgefühl ist für mich das wichtigste Wort des letzten Jahres. Und Herzlichkeit.
Sie haben einen schlechten Tag – was tun Sie, nachdem Sie in den Spiegel geschaut haben?
Sie finden das sicher sehr klischeehaft englisch, aber ich liebe eine gute Tasse Tee am Morgen. Und je älter ich werde, desto weniger Make-up trage ich; und normalerweise, wenn ich einen „bad hair day“ oder „bad face day“ habe, geht das weg, wenn ich meinen Tee hatte. Und wenn nichts mehr hilft, wasche ich mein Gesicht mit viel kaltem Wasser, denn das lässt alles abschwellen und verfeinert die Poren. Und dann trage ich eine sehr, sehr gute Feuchtigkeitscreme auf. Für den „bad hair day“ kämme ich einfach alles nach hinten.
Sehr praktisch.
Ja, und etwas Elnett-Haarspray, das ich schon seit Jahren benutze, und ein wenig Lippenbalsam.
Nicht dass jetzt ein Shitstorm folgt, weil Sie noch Haarspray benutzen!
Haha. Wir alle sollten noch etwas dürfen. Ich esse kein Fleisch mehr und auch keine Milchprodukte. Hin und wieder trinke ich ein Glas Wein. Insofern: Lasst mich Haarspray benutzen!
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