Interview mit Edgardo Osorio

Zwischen Dolce und Vita

Das weiße Hemd mit den dezenten, blauen Initialen E O trägt er lässig aufgeknöpft, dazu eine blaue gemusterte Hose im Pyjama-Stil sowie venezianische Schlappen. Auch in Blau, seiner Lieblingsfarbe. In einer Hand trägt Edgardo Osario ein Handy, in der anderen ein Buch. „The Sphinx“, die Biografie über die Duchess of Marlborough. Edgardo Osorio, Co-Gründer und Kreativdirektor von Aquazzura, versprüht mühelos den Charme des modernen Dandys. Ein Lebemann – im positiven Sinn. Und in Kombination mit dem Ort, an dem wir an diesem Sommertag zum Cappuccino verabredet sind, eine unschlagbare Mischung. Die Terrasse des „JK Place“ Hotels auf Capri, von der man den Hafen und bei guter Sicht bis nach Neapel blicken kann, ist fast menschenleer. Ungewöhnlich. Eigentlich ist zu dieser Zeit auf Capri Hochsaison. Die vorwiegend amerikanischen Touristen, die die in dieser Woche die kleine Insel bevölkern würden, dürfen nicht nach Europa. Und gerade jetzt, neun Jahre nach der Gründung seines Labels, eröffnet er hier, mitten im Ort, einen eigenen Laden. Sicher,  der Zeitpunkt hätte ein besserer sein können. Doch wegen des Virus die Eröffnung einfach absagen? Das kam für den kolumbianischen Schuhdesigner nicht infrage. Im Gegenteil. Caroline Börger sprach mit ihm über seine Lieblingsinsel, Zukunftspläne und darüber ob, flache Schuhe wirklich sexy sein können.

ICON: Edgardo, wieso eröffnen Sie einen Shop auf Capri?

Für mich hat die Insel eine besondere Bedeutung. Die Idee zu Aquazzura wurde hier, auf dieser Terrasse des „JK Place“ Hotels geboren. Ich glaube sogar, dass es exakt dieser Tisch war, an dem wir heute sitzen. Wir kommen jedes Jahr hierher und wohnen immer hier, es ist mein absolutes Lieblingshotel. Ich bin in Cartagena geboren, in Miami aufgewachsen – ich war immer ein Strandtyp, liebe das Meer. Und mir war klar, dass ich irgendwann mal etwas auf Capri machen würde. Im Jahr, bevor wir Aquazzura gegründet haben, war ich übrigens Gast auf 12 Hochzeiten hier. Und auf jeder beschwerten sich die Frauen über ihr unbequemes Schuhwerk. Schließlich muss man auf der Insel meistens zu Fuß laufen. Und ich fragte mich: Wieso entwirft niemand schöne Schuhe, die gleichzeitig auch bequem sind?

Aber Ihre sollten auch sexy sein, richtig?

Ja, am Anfang standen die Schuhe, aber ich habe Aquazzura eigentlich gegründet, um eine Lifestyle-Marke daraus zu machen. Benannt habe ich sie nach meiner Lieblingsfarbe und dem Wasser. Aqua und Zurra.  Wenn Sie an Aquazzura denken, dann sollen Sie an den italienischen Sommer, an das Dolce Vita, denken – aber auf eine neue, moderne Art. Komisch eigentlich, dass das viele italienische Marken nicht erkennen. Ich, als gebürtiger Kolumbianer, lebe den italienischen Traum und möchte ihn weitergeben.

Ein romantischer Traum, wie es scheint.

Ganz gleich, was war. Ich habe vielleicht mal einen Sommer in Griechenland oder Südfrankreich verbracht, aber Capri und die Amalfiküste sind eine Konstante in meinem Leben. Wissen Sie, früher bin ich neun Monate im Jahr gereist, aber ich bin immer wieder hierhin zurückgekehrt. Das Geschäft habe ich also auch aus sentimentalen Gründen eröffnet. Doch ich bin überzeugt davon, dass es funktionieren wird.

Sie besitzen Boutiquen in Florenz, New York, Dubai, São Paulo und Doha. Sie verfolgen dabei keine globale Strategie, sondern eine lokale, richtig?

Unbedingt. Wenn Sie sehen, wie ich meine Läden gestalte, dann ist es nicht etwa eine Miniversion unseres New Yorker Geschäfts zum Beispiel. Hier auf Capri haben wir die Decke von einer italienischen Künstlerin von Hand mit lauter Capri-Motiven wie Korallen, Zitronen und Bougainvilleen bemalen lassen. Ich liebe die Idee, dass sich ein Laden dem Ort anpasst. Er soll einzigartig sein. Wir leben nun mal in einer globalisierten Welt, wir alle reisen – bislang zumindest. Und 80 Prozent meiner Kunden reisen. Warum sollten sie also einen Laden betreten, der überall sein könnte? Das wäre langweilig. Es geht mir nicht nur um das Produkt, es geht um eine besondere Erinnerung.

Wie schaffen Sie derartige Erinnerung online?

Das Online-Geschäft ist großartig und wird weiterwachsen. Aber ich glaube fest an echte Geschäfte. Nehmen wir zum Beispiel Apple, das größte Technologieunternehmen der Welt. Apple besitzt Läden. Zwar keine Millionen, aber jeweils ein oder zwei in den größten Städten der Welt. Menschen können dorthin kommen und alles anfassen, sich austauschen, Dinge ausprobieren und kaufen. Es geht also um den physischen Aspekt. Darum, dass es eine Person vor Ort gibt, die Ihnen das Produkt erklärt, es in den Kontext stellt. Auch der Ort selbst gibt den Kontext vor. Die hohen Mieten sind zwar auf der ganzen Welt aus dem Ruder gelaufen, das muss sich wieder mehr der Realität anpassen. Davon bin ich überzeugt. Die Korrektur, die zurzeit stattfindet, ist wichtig. Unterstützen Sie die daher die unabhängigen Geschäfte und Marken. Wenn nur noch online gekauft wird, wird vieles verloren gehen.

Was sollte man bei Ihnen auf Capri kaufen?

Die Sonderkollektion! Die Capri-Kollektion. Sie ist nur hier und online bei uns verfügbar. Es gibt keine High Heels, nur flache Schuhe.  In diesem Jahr sind etwa 40 Prozent des Ladens dieser Sonderkollektion gewidmet, aber ab dem nächsten Jahr werden es mehr sein. Vielleicht 60-70 Prozent des Bestands. Außerdem gibt es immer wieder limitierte Stücke, wie etwas Schmuck oder Taschen meiner Freundin Begüm Khan.

 

Sie sagten einmal, dass sich viele Frauen bei Ihnen entschuldigen würden, keine High Heels zu tragen, wenn sie auf Sie treffen. Ist das immer noch so?

Das passiert inzwischen nicht mehr so häufig. Richtig nachvollziehen konnte ich das sowieso nie.

Berühmt geworden sind Sie aber für Ihre High Heels, die von bekannten Schauspielerinnen, Models und auch der Duchess von Sussex getragen werden.

Das stimmt. Am Anfang hatten wir nicht das Geld, um viele unterschiedliche Gussformen zu produzieren. Sie sind teuer. Also begann ich mit zwei Formen für hohe Absätzen. Und ein Paar Sandalen. Mit dem Wachstum wuchs unsere Kollektion. Doch von Beginn an kennen mich die Leute für meine High Heels, obgleich ich immer schon flache Schuhe entworfen habe.

Wie stehen Sie denn zu flachen Schuhen?

Ich glaube, wenn man Persönlichkeit hat, ist das Schönste überhaupt flache Schuhe zu tragen. Gerade am Abend. Ich erinnere mich an Elle Macpherson, die einmal in einem schulterfreien Ballkleid zum MET-Ball ging – in flachen Sandalen! Darin kann man genauso schick und sexy aussehen.

Widerspricht sich das nicht? Flach und sexy?

Vor mir gab es niemanden, der sexy Flats entworfen hat. Und das hat mich nachdenklich gestimmt. Ich werde diese Kategorie noch erweitern. Frauen möchten schicke, flache Schuhe tragen, in denen sie morgens die Kinder zur Schule bringen, danach ins Büro und am Abend zum Essen oder zu einer Verabredung gehen können, ohne die Schuhe wechseln zu müssen. Eine meiner Kundinnen sagte mal: Ihre flachen Schuhe sind die einzigen, die auch meinem Mann gefallen. Weil sie sinnlicher sind. Die flachen Schnürschuhe zählen zu meinem größten Erfolgen. Fairerweise muss man sagen, dass viele Frauen auch gar nicht auf High Heels laufen können. Wenn man nicht weiß, wie man in ihnen laufen muss, ist es besser keine High Heels zu tragen. Das ist völlig in Ordnung.

Dennoch lieben Männer Frauen in hohen Schuhen.

Wenn Sie einen Mann bitten, einer Frau einen Schuh aus dem Regal zu holen, bringt er den 15-cm-Pumps. Oder eine sexy Riemchensandale. Es ist etwas Physisches, wenn eine Frau einen hohen Absatz trägt, dann verändert sich ihr Körper, ihr Gang: Sie muss erstens aufrecht stehen, die Brust ist rausgestreckt, ebenso der Po. Auch die Art, wie sie sich bewegt, verändert sich dann. Eine Frau muss langsamer laufen, aufmerksamer sein. Auf hohen Schuhen zu laufen ist keine automatische Bewegung, es hängt mit Sinnlichkeit zusammen. Und das genießen Männer. Es ist wie ein Tanz. Ich liebe High Heels, weil sie ihre Trägerin verwandeln. Und ich liebe es, dass Frauen sich entscheiden können, jemand anderes zu sein. Egal mit welchem Absatz. Ein Cinderella-Moment. Ein Schuh kann dich vollkommen verändern.

Wer ist die Kundin für die super hohen Heels?

Geschäftsfrauen. Sie fühlen sich auf ihnen stärker, wenn sie etwa in eine Besprechung gehen. Sie tragen Plateaus unter ihren Anzügen, um die Männer zu überragen, damit diese zu ihnen aufschauen müssen. (er lacht). Wissen Sie, dass Absätze am französischen Hof ursprünglich für den König erfunden wurden, damit er größer ist? Nur er und sein Hofstaat durften sie tragen. Warum es sich irgendwann auf Frauen übertrug, weiß ich nicht. Ebenso wenig, weshalb Männer aufhörten, Absätze zu tragen. Der Absatz war ein Machtsymbol. Er verleiht immer noch Präsenz.  Deshalb zählen wir so viele Anwältinnen und Geschäftsfrauen zu unseren Klienten. Sie tragen den ganzen Tag lang die höchsten Absätze!

Was denken Sie, inwiefern sich die Corona-Krise auf Ihr Business auswirken wird?

Alles wird sich ändern. In diesem Jahr zeigen wir zum letzten Mal zwei Kollektionen. Es wird sogenannte Drops geben, im Oktober starten wir damit. Monat für Monat wird es kleine Kollektionen geben. Es gibt keine Präsentationen mehr und nur noch zweimal pro Jahr den Einkäufern vorgeführt. Wir werden intime, kleine Pressetage veranstalten, es dürfen keine Fotos mehr vorab auf Social Media gezeigt werden. So wie früher. Doch in dem Moment, in dem die jeweilige Kollektion in den Laden kommt, werden wir etwas veranstalten. Und im Herbst werde ich auch bequemere Modelle für zu Hause zeigen. Hauptsächlich auch flache Schuhe.

Macht Sinn, da in diesem Jahr wohl kaum noch Partys stattfinden werden.

Dafür wird 2021 ein Partyjahr. Ich habe allein jetzt schon sieben verschobene Hochzeitseinladungen… Das ist gut fürs Geschäft. Doch eines der Dinge, die ich erkannt habe, ist, dass das Leben kurz ist. Daher mein Rat: Geht tanzen, gönnt euch den Drink, esst Pasta, macht die Reise. Wartet nicht! Alles kann sich von einer auf die andere Minute ändern, das haben wir alle in den letzten Monaten gemerkt. Man muss den Alltag zu etwas Besonderem machen. Und das ist der Grund, warum ich meine Casa Kollektion demnächst auf den Markt bringe. Alles rund um den gedeckten Tisch, von der Decke bis zum Besteck oder Tischdekoration. Schöne Teller sollten nicht nur für besondere Anlässe da sein. Jeder Tag sollte ein besonderer Anlass sein. Genießt das Leben! Ich war viel zu viel unterwegs, hatte zu viel um die Ohren. Ich brauchte diese Pause. Für mich als kreative Person war das eine gute Erfahrung. Einfach mal innezuhalten. Und wissen Sie, ich war noch nie so produktiv. Es gab Projekte, über die ich jahrelang nachgedacht habe, und jetzt habe ich sie einfach in zwei Monaten erledigt. Nach Krisen haben die Menschen oft die kreativsten Phasen.

 

Also liegt in einem schönen Zuhause die Zukunft?

Klar, denn wir werden öfter als früher zu Hause bleiben und mehr Gäste einladen. Und vielen wurde bewusst, dass sie schicke zwar Handtaschen besitzen, aber nichts, um den Esstisch hübsch einzudecken.

 

Sie waren selbst Gast auf vielen großen Events und Galas in aller Welt. Wird Ihnen das nicht fehlen?

Nein, denn es wird vermehrt um „Quality time“ gehen. Ich war zwar zu Gast auf vielen Partys, wo ich immer wieder Freunde getroffen habe. Doch echte Konversationen fanden nicht statt. Nur oberflächlich. Ich liebe kleine Dinner Partys, bei denen ich mich mit Freunden wirklich unterhalten kann.  Anstatt dieses „Hi-and-Bye-Fünf-Minuten-Ding”. Beziehungen aller Art sind wie Pflanzen – man muss sie hegen.

 

Also werden Sie Ihr Leben verändern?

Ja, wir ziehen nach Venedig und pendeln zwischen dort und Florenz, wo sich unser Hauptquartier befindet.  Ich brauche Wasser um mich herum. Das entspannt mich.  Und dort werde ich auch meinen nächsten Laden eröffnen. Die Stadt zwingt einen dazu, es langsam angehen zu lassen. Auf die bestmögliche Art und Weise. Es gibt keine Autos, also entweder geht man zu Fuß oder fährt mit dem Boot. Italien ist gerade im Moment unglaublich – und ja, das Geschäft wird zurückkommen. Genießen wir also einfach den Augenblick. Und konzentrieren uns auf die guten Dinge. Wir sollten dankbar sein – es gibt immer etwas, worüber man sich freuen kann. Jeden Tag. Sei es der Sonnenuntergang oder ein guter Cappuccino.  Es wird ein neues Leben sein, aber es wird weitergehen. Und wissen Sie was? Alles ist schon jetzt so viel besser.

 

Text
Caroline Börger