Marion Sailhen, Chefkuratorin der Internet-Galerie Singulart, über Kunstkauf im Netz, Kontakte zu Kunden und transparente Preise.
Wird der Kunstmarkt in Zukunft mehr online stattfinden?
ICON: Traditionelle Galerien haben 20, vielleicht 50 Künstler, Singulart hat mehr als 10.000 aus 146 Ländern. Wer wählt die alle aus?
Marion Sailhen: Wir haben ein großes Team von sogenannten Artist Liaisons, die suchen weltweit.
Nach welchen Kriterien wird ausgewählt?
Der Künstler sollte eine lokale oder gewisse nationale Bekanntheit genießen, eine künstlerische Ausbildung haben, und seine Laufbahn und die Preise für seine Werke sollten stimmig sein.
Unterscheiden sich Onlinekunden von anderen?
Ja. Sie sehen sich nicht als Sammler und haben sich zuvor oft nicht mit Kunst beschäftigt. Die Mehrheit kauft bei uns ihr erstes Bild.
Suchen sie die Anonymität, die ihnen eine Website bietet?
Im Gegenteil, wir kennen unsere Kunden gut, weil unsere Kunstberater viel Kontakt mit ihnen haben. Gut 80 Prozent der Verkäufe passieren nicht über einen Klick, sondern nach einem Anruf und dem Austausch von E-Mails. Unsere Klienten kaufen mit Bedacht und nach Gefühl.
Was ist für Sie dann online anders?
An Singulart schätzen sie die offene Art, mit der die Art Advisers über Kunst sprechen, ohne Belehrungen und Fachausdrücke. Man sollte ein Kunstwerk auch fühlen und verstehen können, ohne seitenweise darüber lesen zu müssen, finden wir.
Was wird gekauft?
Malerei mit Abstand am häufigsten, wie im traditionellen Kunstmarkt, und zwar eher abstrakte als figürliche Bilder.
Macht es nicht einen Unterschied, ob man ein Bild auf dem Bildschirm oder in Realität sieht?
Klar. Aber dank guter Technologie kann man auch Details und Oberflächen gut zeigen. Eine böse Überraschung hat noch kein Klient erlebt.
Wie macht man Oberflächen erlebbar?
Berühren kann man natürlich nichts! Aber in den allermeisten Galerien und Ausstellungen darf man das auch nicht. Es wird so viel über Taktiles und das wortwörtliche Be-greifen von Kunst gesprochen, aber wenn man ehrlich ist, ist das fast nirgendwo möglich.
Wie hoch ist die Quote der zurückgesandten Werke?
Die liegt monatlich bei gerade mal 2,1 Prozent.
Verblüffend. Man sollte denken, dass manche Leute gleich mehrere Bilder bestellen, um zu Hause auszuprobieren, was am besten in ihre Räume passt, ähnlich, wie es beim Onlinehandel mit Mode der Fall ist.
Oh nein, die Leute verstehen sehr gut, dass sie keinen anonymen, industriell produzierten Raumschmuck erwerben, sondern das Original eines echten, lebenden Künstlers. Oft haben sie schon eine kleine Geschichte mit dem Bild, haben es sich täglich online angesehen und dann irgendwann beschlossen, es zu kaufen, obwohl sein Preis über dem Budget liegt, das sie festgelegt haben.
Beraten Sie Kunden auch bei der Hängung? Dank der sogenannten Augmented Reality, mit der am Computer ein reales Abbild der Wirklichkeit geschaffen wird, wäre das sicher möglich.
Ja, daran arbeiten wir derzeit. Viele unserer Kunden sind Menschen, die ein schönes Kunstwerk finden wollen, das in ihre Wohnung passt. Sie sind eher einrichtungsorientiert und nicht unbedingt Kunstkenner. Einige haben eine starke ästhetische Vision von dem, was sie wollen, und die genau dieses Stück suchen und unsere große Auswahl an Kunstwerken schätzen. Aber es gibt auch sehr viele, die sich an uns wenden, weil sie ein geeignetes Kunstwerk für ihre leeren Wände, suchen ohne zu wissen, was sie eigentlich wollen oder was gut aussehen würde. Sie sind dankbar für unsere Beratung – bis hin zur Platzierung. Die machen unsere Art Adviser derzeit noch manuell – die Kunden schicken Bilder ihrer Räume, wissen aber nicht, wie groß das Kunstwerk dafür sein sollte, also fragen wir nach Eckdaten wie der Höhe der Wände, der Höhe des Sofas, über dem es hängen soll, und machen dann einige Vorschläge.
Es gibt auf der Website eine Vielzahl von Filtern, mit deren Hilfe man ein Kunstwerk suchen kann. Wissen Sie, welcher davon am häufigsten verwendet wird?
Ja, die im Durchschnitt höchste Priorität hat der Filter „Thema/Kategorie des Werkes“, also z.B. „Abstrakte Kunst“, „Landschaftsmalerei“, „Natur“, etc., dann folgen der Preis, der Malstil – expressionistisch, realistisch, etc. – sowie die Größe des Werkes.
Die Preise liegen bei Singulart zwischen „unter 1000“ bis „über 10 000 Euro“ – was auch mal 70 000 Euro bedeuten kann. Ist für die Kunden nachvollziehbar, wie die Beträge zustande kommen?
Schon der Umstand, dass wir alle Preise zeigen, ist nicht bei jeder Online-Plattform üblich. Meistens heißt es ab einem bestimmten Betrag: „Auf Anfrage“. Um die Preise zu verstehen, muss einem bewusst sein, dass sich ein Kunstwerk nicht kalkulieren lässt nach dem Preis der Produktion, den Frachtkosten, es ist ja viel komplizierter und vor allem subjektiver in Bezug auf den Künstler und seine Laufbahn. Man bezahlt auch immer für die Originalität einer Idee und die Bekanntheit des Künstlers. Wir versuchen das auch transparent zu machen durch die Kategorisierung in „anerkannte Künstler“ und „aufstrebende Künstler“ und durch die Referenzen, die neben jedem Bild aufgelistet sind, etwa: „international profiliert“, „Einzelausstellung“, „etablierter Künstler“. Und natürlich gibt es im Portfolio der einzelnen Künstler Preisunterschiede, die sich aus der jeweiligen Technik ergeben. Ein Ölgemälde kostet mehr als eine Zeichnung, weil es einfach mehr Zeit und Arbeit in Anspruch nimmt.
Arbeiten die Künstler exklusiv für Singulart?
Ein paar werden online exklusiv von uns vertreten, das ist aber keine Bedingung. Wir ermutigen die Künstler, sich auch von einer lokalen Galerie vertreten zu lassen, denn künstlerische Laufbahnen werden im normalen Kunstmarkt, nicht online gemacht, zumindest bisher noch nicht. Wir sehen unsere Arbeit als Ergänzung dazu, sie erschließt den Künstlern ein anderes Publikum.
Wird der Kunstmarkt in der Zukunft mehr und mehr online stattfinden?
Ich finde, es gibt Raum für online und offline. Natürlich wird sich mehr ins Internet verlagern. Weil es so einfach ist, online zu sein, den Künstlern nicht nur ein anderes, sondern auch ein globales Publikum erschließt – schon jetzt werden bei uns 90 Prozent der Kunstwerke international verkauft – d.h. Künstler und Kunden kommen aus unterschiedlichen Ländern. Und weil die Leute weniger reisen wollen oder können.
Haben dann die großen Events ausgedient, die exklusiven Atelierbesuche, Collectors’ Cocktails und V.I.P.-Programme, die im Kunstmarkt mindestens so wichtig sind wie die Werke selbst?
Ob in Zukunft noch 200 000 Leute zugleich nach Miami zur Messe kommen – wer weiß? Im vergangenen Winter waren dort auf jeden Fall weniger Besucher und fast niemand aus Europa zu sehen. Aber die Möglichkeit, dass sich Künstler und Händler mit Käufern persönlich treffen, muss es weiterhin geben. Wir sind ja selbst auf den klassischen großen Messen mit einem eigenen Stand vertreten. Vielleicht werden solche Begegnungen in Zukunft weniger auf internationaler, sondern auf lokaler Ebene stattfinden – und man kann sich aus aller Welt zuschalten. Einen solchen Moment dann auch für diejenigen interessant zu gestalten, die online dabei sind, wird die große Herausforderung sein.