Weit Weg

Die Komplexität von Sand und Zeit

Historische Grabstätten, internationale Kunst und ein Polo-Turnier: In der Wüste Saudi Arabiens ist einiges los. Eindrücke aus einem Land, das einem die Begegnung nicht immer leicht macht. Heike Blümner reiste nach Alula.

Das Klischee ist auf Sendung. Jedenfalls für europäische Antennen. Drei schwarze Limousinen made in Germany stehen mit schnurrendem Motor und geöffneten Türen in Alula auf dem Rollfeld bereit, als die Treppe an das Flugzeug aus Paris andockt. Neben den Autos warten die Fahrer, deren weiße Gewänder im Sonnenuntergang flattern und die uns im Schritttempo zum wenige Meter entfernten Flughafengebäude von Alula eskortieren werden, wie in Formation.

Wie einem Land unvoreingenommen begegnen, zumal auf Stippvisite, das für vieles steht, das in westlichen Wertefragen aus der Ferne so düster erscheint wie die Wüstennacht, durch die wir kurze Zeit später auf einer leeren, glatt geteerten Autobahn brausen?

Am besten wohl mit Neugierde – und die ist groß. Bis vor wenigen Jahren gab es als Tourist, geschweige denn als Touristin, keine Möglichkeit nach Saudi-Arabien einzureisen. Nun möchte sich das Land der Welt öffnen. Öl ist endlich, weshalb die Herrscher hier nun auch auf andere Ressourcen setzen wollen: Gastfreundschaft, die landschaftliche Schönheit und das reiche kulturelle Erbe zum Beispiel.

 

Die historischen Grabstätten von Hegra in Alula gehören zum Unesco Weltkulturerbe und sind die erste Destination in Saudi Arabien, die diesen Status erreicht.

Im Nordwesten des Landes, in der Provinz Medina, liegt die Oase von Alula, und hier läuft ein Programm, auch in Zusammenarbeit mit Frankreich, um den Tourismus zu initiieren. Die Pandemie machte zeitweilig einen Strich durch die Rechnung, aber nun stehen die Zeichen wieder auf Öffnung, und man betritt als Reisende ein weitgehend unberührtes Gebiet, ohne auf Annehmlichkeiten verzichten zu müssen. Mehr noch:

„Das hier ist kein billiges Angebot. Entweder groß oder gar nicht. So läuft das in Saudi-Arabien.“

Der Mann, der das sagt, heißt Amr Zedan und ist der Vorsitzende der saudischen Polo Federation. An einem blendenden Freitagnachmittag sitzen wir mitten in der Wüste auf einer Tribüne und blicken auf ein vergleichsweise kleines Polo-Feld, auf dem zwei Mannschaften mit je drei Spielern auf ihren Pferden im Sand dem Ball hinterherjagen. Zusammen mit der Schweizer Uhrenmanufaktur Richard Mille, die hier Titelsponsor ist, hat die Vereinigung das Alula-Desert-Polo-Turnier ins Leben gerufen. Richard Milles CEO Peter Harrison knüpfte über einen polobegeisterten saudischen Freund schon früh erste Kontakte zu Land und Leuten – und freut sich nun besonders, „hier präsent zu sein, wo die Kultur rund um das Pferd so eine große Sache ist“. Und das Tempo, mit dem die Dinge hier vorangetrieben werden, sei „enorm“.

Auf Sand spielt es sich anders als auf Rasen, weshalb Wüstenpolo veränderten Regeln folgt und ein lustiger roter Plastikball im Spiel ist. Am Ende geht es jedoch wie auch sonst darum, wer die meisten Tore macht. Vor der spektakulären Kulisse der sich im Hintergrund erhebenden rotbraunen Sandstein-Monolithen entfaltet sich ein wildromantisch anmutendes Spiel, das einige hundert internationale Zuschauer und Zuschauerinnen verfolgen. Engländer natürlich, die in der gleißenden Sonne etwas blass wirken, einige Amerikaner, Besucher aus Dubai und natürlich die saudische Upperclass, die ihre aristokratischen Nachwuchsspieler in den
verschiedenen Teams anfeuert. Darunter befindet sich der junge Publikumsliebling Prinz Salman Bin Mansour, der im Team Saudi zusammen mit dem argentinischen Starspieler Juan Martín Nero gegen weitere Polo-Größen wie den Argentinier Pablo Mac Donough aus dem Team Richard Mille antritt.

Der Botschafter für den Schweizer Uhrenhersteller Richard Mille

Mac Donough ist zum zweiten Mal dabei. Er schwärmt vom Setting, von der Landschaft und von der unkonventionellen Variante seines Sports, die hier geboten wird: „Hier bekommst du ein Gefühl dafür, wie der Ball getroffen werden muss und wie die Pferde auf ihn reagieren. Es ist einfacher, so zu spielen, und ein sehr guter Einstieg, um Polo kennenzulernen.“ Denn um den Nachwuchs gehe es, sagt auch der Vorsitzende der Polo-Föderation Zedan, darum, in einem arabischen Land, in dem Pferde zur Kultur gehören, „den Sport für Jungs und Mädchen attraktiv zu machen und sie auf zukünftige Wettbewerbe vorzubereiten“. Mädchen? Unwillkürlich denkt man an den Film „Das Mädchen Wadjda“, dem ersten komplett in Saudi-Arabien gedrehten Kinofilm der Regisseurin Haifaa Al Mansour aus dem Jahr 2012, in dem ein elfjähriges Mädchen aus Riad davon träumt, Fahrrad fahren zu dürfen. Und nun sollen Mädchen sogar Polo spielen? Ja, heißt es vonseiten der saudi-arabischen Polo-Föderation, die Darstellung im Film sei „nicht akkurat“. Es gehe auch darum, dieses Bild nach außen zu ändern.

Ein eindeutigeres Bild liefert die Landschaft in Alula: flache Wüste mit vom Wind zu skulpturalen Monumenten abgeschmirgelten Gesteinslandlandschaften. Die weitläufigen Grabstätten von Hegra wurden vom Volk der Nabatäer, die auch Petra in Jordanien erbauten, vor über 2000 Jahren errichtet. Es gibt wohl kaum Orte auf der Welt, an dem man heute derartigen Bauwerken so ungestört gegenüberstehen kann und die Zeit gefriert. Das Wüstenszenario kontrastiert mit den zahlreichen Palmenwäldern der Region. Alula ist wasserreich, weswegen im Laufe der Geschichte sich hier immer wieder Menschen ansiedelten.

 

 Kultur soll auch heute wieder eine wesentliche Rolle spielen.

(Dipsastrea Speciosa) x Desert X
(Dipsastrea Speciosa) x Desert X
Stephanie Deumer x Desert X
Zeinab Alhashemi x Desert X
Monika Sosnowska x Desert X
Monika Sosnowska x Desert X
Sultan bin Fahad x Desert X
Sultan bin Fahad x Desert X
Stephanie Deumer x Desert X
Shadia Alem Desert x Desert X
Shadia Alem Desert x Desert X
Shaikha Al Mazrou x Desert X
Stephanie Deumer x Desert X
Stephanie Deumer x Desert X
Serge Attukwei Clottey x Desert X

Direkt nebenan vom internationalen Polo-Turnier befindet sich die temporäre Open-Air-Ausstellung Desert X, die im Süden Kaliforniens ihren Ursprung hat und nun zum zweiten Mal hier stattfindet. 15 internationale Künstlerinnen und Künstler nutzen die spektakuläre Landschaft als Hintergrund für ihre Installationen. Fast alle von ihnen beschäftigen sich mit dem Spannungsfeld von Kultur und Natur – und auf dieser Bühne entfalten die groß angelegten Werke eine unvergleichliche Intensität. Es ist, als würde man einen anderen Planeten betreten, auf dem die Spiegel-Gebilde der Polin Alicja Kwade, die konkave Holzskulptur der Saudi-Araberin Dana Awartani oder der Wasserfall des ghanaischen Künstlers Serge Attukwei Clottey aus goldenen Mosaiksteinchen, die sich bei näherem Hinschauen als Plastikstücke entpuppen, eine außerirdische Anziehungskraft entfalten.

All diese Eindrücke: Die Natur, die historischen Stätten, die Öffnung hin zu sportlichen und kulturellen Einflüssen von außen, die dennoch offensichtlich männlich dominierte Gesellschaft, die aber zumindest hier in Alula keinerlei Verschleierung – auch der arabischen Frauen – verlangt, macht Klischees zumindest brüchig. Wie immer, wenn man sich an etwas annähert und mit Menschen in Kontakt kommt, erscheint die Welt nicht mehr schwarz-weiß. In Alula jedoch ist alles sehr alt oder sehr neu. So sieht es nicht nur aus, so fühlt es sich auch an. Man möchte wissen, wie es weitergeht. Die Neugierde ist nur größer geworden.