Eine Kolumne von Florentine Joop

STRIKE A POSE!

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Die Haute Couture bringt Frieden und Hoffnung. Wie Kunst ist die „Hohe Schneiderei“ auch in dieser Welt verhaftet, genauso, wie sie von ihr frei ist. Sie war immer ein Kind ihrer Zeit und dadurch auch immer schon politisch. Ein Statement, ein Ausdruck und ein Kleidungsstück in einem. Wer es leid ist, aus Mangel an angemesseneren Anlässen zum Wochenendeinkauf bei Walmart, seine olle Bernie-Couture aufzutragen, der geht heute eben zu einer Inauguration. Wem der Bundestag zu bieder ist, schaut nach Amerika. Da geht wieder was couturemäßig. Nach dem Motto: Leiht dir die Bank keine 10.000 Dollar, frag nach ’ner Million. Da waren sie alle versammelt, die Damen in Chanel und Schiaparelli und in Miu Miu und in Prada, die Broschen und Ohrringe in Farben der Freiheit und der Saison. Die Herren hatten auch was an … glaub ich.

Allen voran Lady Gaga in Schiaparelli inklusive Friedenstaube mit Ölzweig am Busen. Eine Mischung aus Frida Kahlo und Gretchen, sang sie dort für Peace, Love and Harmony in den amerikanischen Farben Navy, Rot und Gold. 

Wir wandern astronomisch derzeit wieder durch das Zeitalter des Wassermanns, der uns bekanntlich seit jeher Blumen ins lange Haar zaubert und Peace on the Planet. Friseure sind noch zu, deshalb passt das ja auch ganz gut.

Und das Fernweh wird größer und unaushaltbarer. Ich ertappe mich dabei, auf booking.com heimlich Hotels in fernen Ländern zu suchen und nicht zu buchen, während ich Yoga mache per Zoom-Matten-Meeting. Die Kinder aus den Jogginghosen zu zwingen wird täglich schwieriger, deshalb Gegenprogramm gestartet. Jetzt wird sich morgens aufgebrezelt. Raus mit den Tüllröcken und Lackschuhen. Wir machen es wie Elsa in „Frozen II“ oder Elsa Permafrosta, wie ich sie heimlich nenne: Musik laut, Spot an, lange Hippie-Haare schütteln, Glitzerklamotte übern Kopf und zwischen Spülmaschine und Skype-Call einfach mal: Strike a Pose! Vogue! Mein jüngstes Tochterkind ist wohl genetisch durchgemendelt, denn sie besteht on top auch auf Hut und Stock und Schleife ins Haar sowie Regenbogen-Glitzer-Tüll-Overkill. Wir tanzen, bis der Arzt kommt – und uns impft.

Der Sommer wird’s richten, die USA werden wieder queer und farbenfroh und solange die Haute Couture noch liefert, ist die Party noch nicht vorbei. Ich trage heute bodenlanges Spitzenkleid mit Pfauenfederstola bei Rossmann, ein systemrelevantes, veganes Shampoo kaufend, um vor dem Regal mit Sonnenmilch zu verharren. Dann lege ich meinen Rollkoffer aufs Laufband und schaue die Kassiererin genauso fragend an wie sie mich. Ich rücke die Ganzkörpersonnenbrille zurecht: „Ohho say can you see …!“ hebe ich an zu singen, mein goldenes Mikrofon schimmert in der Wintersonne, als ich abgeführt werde. Zu viel American Way of Amtseinführung für Brandenburg, I KNOW, aber das war es allemal wert! Live for the Haute-CoutureMoment! And God bless America!

Ein erstaunlicher Moment in unserer Zeit. Poesie: Amanda Gorman
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Florentine Joop
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Florentine Joop