IM RAUM BERLIN

Räume machen Kleider. Die Fashion Week in der Hauptstadt hat sich auf ihre Stärke besonnen: Veranstaltungsorte, für die sie international bewundert wird. WIR nahmEN überall Platz.

 

Als die Show vorüber ist und sich die Gäste langsam von ihren Sitzbänken erheben, stehen die ersten Models schon draußen am Ausgang. Nicht umgezogen, sondern immer noch in ihren Laufsteg-Looks: locker sitzende Kleider, leicht ausgestellte Mäntel und Hosen aus Denim, Metallic-Brokat und fließende Seide, versehen mit Palmenprints, Streifen und ausfransenden Säumen. Nach und nach bringen sie sich auf der Freitreppe der James-Simon-Galerie in Position. Die Gäste bleiben stehen, um Fotos zu machen: textiler Eklektizismus vor grauem Chipperfield-Beton. Das Finale von Odeehs Show zur Sommerkollektion 2024 während der Berlin Fashion Week im Juli.

„Die Idee kam uns, als wir zum ersten Mal in der James-Simon-Galerie waren“, sagt Otto Drögsler, der gemeinsam mit Jörg Ehrlich das Label Odeeh gegründet hat und leitet. „Der Aufgang war gleich eine Art Aufforderung, nach dem Motto: „Macht was mit mir!“ Merke: Die Location bedingt die Inszenierung einer Modenschau. Sie kann direkter Inspirationsgeber sein und im besten Fall dazu beitragen, dass man sich noch lange an eine Kollektion erinnern wird. Bei der Berlin Fashion Week kam es gleich mehrfach zu Momenten, in denen Mode und Architektur ein großes Ganzes ergaben.

Neben Odeeh nutzte auch das Duo Rianna Kounou und Nina Knaudt vom Label Rianna + Nina eine Treppe. Allerdings gleich für die ganze Show: Auf den Stufen zur Alten Nationalgalerie (das Publikum saß auf den Absätzen) wurden flirrend bunte Hausmäntel, Maxikleider und geraffte Blusen präsentiert. Genäht aus seltenen Vintage-Stoffen, die teils über 100 Jahre alt sind. Berlins Publikumsliebling William Fan gastierte im Lichthof vom Gropius Bau. Auf dem Top des ersten Looks stand die Frage „Are you a friend of Dorothy?“ – ehemals Slang, mit dem sich queere Menschen gegenseitig erkennen konnten. Ihm folgte eine Parade genderfluider Looks und von Kopf bis Fuß die Farben der Regenbogenflagge. Ein gesellschaftliches Statement, das durch die Großzügigkeit der Architektur ausreichenden Raum erhielt.

Der Immobilienboom kommt nicht von ungefähr. Zwar werden Designer häufig von Sponsoren beim Suchen und Finden bester Lagen unterstützt (William Fan hatte beispielsweise Mercedes Benz an Bord). Diesmal aber forcierten der Fashion Council Germany (FCG), so etwas wie der Förderverein für deutsche Mode, und die Veranstaltungsgesellschaft Museum & Location die Öffnung bedeutender Berliner Orte zusätzlich. Weshalb auch der Berliner Salon, ein Ausstellungsformat für nationale Designtalente, zurück zu seinen Anfängen fand: Im Kronprinzenpalais wurde er 2015 von der ehemaligen „Vogue“-Chefredakteurin Christiane Arp und dem Berliner Unternehmer Markus Kurz gestartet. Sie ist jetzt die Vorstandsvorsitzende vom FCG, er ist der CEO von Nowadays, einer international agierenden Konzeptions- und Produktionsfirma für Modenschauen.

„Es war eine gezielte strategische Entscheidung, mit ikonischen Orten und Inszenierungen ein neues Bild und eine neue Wahrnehmung der Berlin Fashion Week zu kreieren“, sagt Kurz. Logisch: Spielen Mode und Location perfekt zusammen, wird die Show nicht nur zum Aushängeschild einer Marke, sondern kann auch zu dem einer ganzen Modewoche werden. Deren Bilder sollen im besten Fall ja um die Welt gehen. Die Berlin Fashion Week hat die Sache mit den einzigartigen Kulissen nie so richtig gut hinbekommen. Dabei hat die Stadt viele Locations zu bieten, für die sie international beneidet wird (erst im Juni zeigte Saint Laurent in der Neuen Nationalgalerie). Auch solche übrigens, die nicht Museum oder Galerie sind.

Rosa Marga Dahl etwa zeigte die Kollektion für ihre Marke SF1OG im Ludwig-Erhard-Haus. Von außen erinnert der Bau mit den 15 elliptischen Bögen an ein Schuppentier, innen wirkt er klinisch und futuristisch. Viel Edelstahl, Glas und abgerundete Kanten. Der perfekte Kontrast für eine Kollektion aus natürlichen Materialien wie Leder, Baumwolle und Leinen, mit Shorts, gerafften Tops, bodenlangen Röcken. Dazu Reitsport-Zitate wie Stiefel und Blazer mit Schößchen. Und eine zarte Klavierbegleitung von der Pianistin Meredi, eine bewegende Inszenierung.

Zufall stand Pate bei der Show von Julia Ballardt und Nico Verhaegen für ihr Label Milk of Lime im Zeiss-Großplanetarium, einem der letzten Repräsentationsbauten der DDR und dem heute größten Wissenschaftstheater Europas. „Wir wollten eigentlich in eine ganz andere Location, bekamen aber eine Absage“, sagt Ballardt. „Dann hörten wir im Radio einen Werbespot für eine Party, die im Planetarium veranstaltet werden sollte, recherchierten – und hatten sofort das Gefühl, einen Schatz gefunden zu haben.“ Alles war da: die Sitze, das Soundsystem, die Lichttechnik. Speziell für junge Marken ist das ein kostenrelevanter Faktor. Passend zum Weltraum-Gefühl präsentierten Ballardt und Verhaegen düster-abgehobene Looks aus fließender Seide, Spitze und Porzellanperlen.

Am Ende macht Berlin aber natürlich noch viel mehr als historische und stadtbekannte Gebäude aus. Jale Richert und Michele Beil vom Label Richert Beil suchten deshalb nach „einem Ort, der noch ungesehen und spannend ist und gleichzeitig einfach bleibt.“ Sie fanden ihn in einem ehemaligen Aldi-Supermarkt. Dekonstruierte Anzüge, Latex- und Bondage-Elemente, Spitze im Look alter Tischdecken und der von Hand gestickte Slogan „Getrautes Heim, Glück allein“. Dazu ein Casting, das in seiner Diversität mehr Lebensrealität als überall sonst abbildete. Einschließlich barrierefreiem Zugang.

Bleibt die Frage, was ein Designer macht, wenn er mal nicht den richtigen Platz für eine Show findet. Jörg Ehrlich von Odeeh sagt: „Wir machen keine Show, so einfach ist das. Was auf Fotos bestehen bleibt, ist immer eine Symbiose aus Look und Location, eine daraus resultierende Atmosphäre. Ein mediokrer Ort ist ein K.-o.-Kriterium.“ Umso wichtiger, dass die Berliner Moderaum-Initiative in der kommenden Saison weitergeht.

 

 

WILLIAM FAN

SF1OG

RICHERT BEIL

Rianna + Nina

TEXT
Dennis Braatz
FOTOGRAF
Nico Kawohl