100 Jahre wäre der meisterhafte Fotograf Helmut Newton dieser Tage alt geworden. Und je mehr Zeit verstreicht, umso facettenreicher und mutiger erscheint sein Lebenswerk. Wir haben ikonische Aufnahmen aus dem Modekontext ausgewählt. Matthias Harder, der Direktor der Helmut Newton Stiftung, bietet Einblicke:
Der Mann, der die Frauen liebte
MATTHIAS HARDER, 55, kennt Helmut Newtons Werk wohl so gut wie niemand sonst, von Newtons Frau June einmal abgesehen. Seit 16 Jahren ist der promovierte Kunsthistoriker und Fotografie-Experte Kurator und inzwischen auch Direktor der Helmut Newton Foundation in Berlin. Der Fotograf hat ihn vor seinem Tod 2004 noch selbst eingestellt, „Wir trafen uns im Kempinski und sprachen ein paar Stunden, June kam dazu und er zischte ihr zu ‚his English is quite good, his English is quite good‘ – und schwupps, hatte ich einen neuen Job.“ Harder gewinnt dem schier überbordenden Werk Newtons mit jeder Ausstellung neue, überraschende Aspekte ab. Dass er auch ein guter Erzähler ist, zeigen die Texte zu ausgewählten Fotos Newtons, die er für ICON zum 100. Geburtstag des Fotografen schrieb:
SELF PORTRAIT WITH WIFE AND MODEL, PARIS 1981
Wer ist hier das Model? 1981 wurde Helmut Newton gebeten, Regenmäntel für die italienische Männer-„Vogue“ zu fotografieren. Da steht er nun im Burberry-Trench mit seiner doppeläugigen Spiegelreflexkamera, zusammen mit einem Aktmodell und fotografiert es und sich über einen großen Spiegel. Da wir die nackte Frau in der linken Bildhälfte gleichzeitig von hinten und von vorn sehen, muss sich der Fotograf hinter ihr befunden haben. Das Besondere an diesem ambivalenten Bild ist das integrierte Porträt von June Newton, die auf der Höhe des Spiegels auf einem Regiestuhl sitzt und die ganze Situation – wie eine Moderedakteurin – professionell beobachtet. Hinter ihr ist der Ausgang des ebenerdigen Pariser Studios zu sehen. Eigentlich kam June vorbei, um ihren Mann zum Mittagessen abzuholen, und wusste nicht, dass sie sich im Bildfeld befand. Es handelt sich formal und inhaltlich um eine ziemlich interessante Figurenstaffelung: Der Fotograf ist die kleinste Figur im Bild, er „verzwergt“ geradezu neben der freizügig posierenden Nackten neben ihm. Er schaut von oben in den Sucher seiner Kamera, bleibt im Hintergrund und ist dennoch Verursacher dieser Aufnahme. Der eigentliche Hauptbildgegenstand, nämlich der Regenmantel, wird durch die gewählte Bildkomposition einerseits marginalisiert, andererseits verbindet das Motiv die drei Hauptgenres in Newtons Werk: Mode, Akt und Porträt. Bei dem Modell handelt sich um Sylvia Gobbel, die fast zeitgleich für Newtons berühmtes Diptychon „Sie kommen“ nackt posierte und mehrfach im Sommerhaus des Paares in Ramatuelle, in der Nähe von Saint-Tropez, zu Gast war. Ebenfalls 1981 hatte Newton zu dieser Aufnahme seine legendäre „Naked and Dressed“-Bildserie für die italienische und französische „Vogue“ begonnen. Dafür fotografierte er mehrere Modelle bekleidet und unbekleidet in der gleichen Aufstellung oder Bewegung, die als Diptychen in der Modezeitschrift veröffentlicht wurden. „Self-Portrait with Wife and Models“ entstammt der gleichen grundsätzlichen Bildidee, jedoch als Einzelwerk realisiert.
CATHERINE DENEUVE, PARIS 1976
Die französische Schauspielerin spielt vor Newtons Kamera eine ähnliche Rolle wie in „Belle de Jour“, dem preisgekrönten, surrealen Skandalfilm von Luis Buñuel aus dem Jahr 1967 mit Kostümen von Yves Saint Laurent. Auch hier, neun Jahre später, schlüpft sie in die Rolle der Verführerin, schaut offen und herausfordernd in die Kamera. Es wirkt wie der Blick in einen Spiegel, prüfend, sich selbst kontrollierend. Mit ihrem Daumen scheint sie sich ihr seidenes Nachthemd noch tiefer herunterziehen zu wollen, während ein Träger bereits von ihrer Schulter gerutscht ist. Die Szene zeigt eine subtile wie provokante Frivolität, andererseits ist sie in keiner Weise anstößig oder vulgär. Die Verbindung von Exhibitionismus und Voyeurismus, von Intimität und Distanz mündet bei Newton – wie hier – häufig beim Typus der Femme fatale. Die Reduktion und Abstraktion der Realität durch das Schwarz-Weiß der Aufnahme passt perfekt zur Idee des „Film noir“, dem die Szene ebenfalls entstammen könnte. Ungewöhnlich ist der vergleichsweise enge Bildausschnitt und der visuelle Schnitt durch die Stirn der Protagonistin am oberen Bildrand, wodurch der ausdrucksstarke Blick noch intensiviert wird. Entstanden 1976 für das Magazin „Esquire“, lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ob es sich um ein Modebild oder ein Porträt handelt, was nicht unüblich für Newtons Inszenierungen ist. Er hat die Genregrenzen immer wieder überlappen lassen. Später hat Newton diese Aufnahme mehrfach in seine Publikationen und Ausstellungen aufgenommen. Sie ist zu seinen ikonischen Bildern zu zählen und verkörpert gleichzeitig das faszinierende Image von Catherine Deneuve.
CLAUDIA SCHIFFER, VANITY FAIR, MENTON 1992
Das Ehepaar Newton zog 1981 von Paris nach Monte Carlo. Die Wintermonate verbrachten sie jedoch meist in Kalifornien – und so änderten sich auch die Aufnahmeorte im Werk der beiden. Weg von Paris, wo Newton 20 Jahre lang intensiv gearbeitet, ja seinen unvergleichlichen Stil entwickelt hatte. Im Jahr 1992 führte ihn ein Auftrag für die Zeitschrift „Vanity Fair“ in den französischen Küstenort Menton. Die Szene mit Claudia Schiffer wirkt wie ein visuelles Selbstzitat seiner berühmten, nächtlichen Straßenszene in der Pariser Rue Aubriot aus dem Jahr 1975. Andererseits besteht ein entscheidender Unterschied darin, dass Schiffer hier nicht für eine Modestrecke fotografiert wird, sondern als Frau und Persönlichkeit . Ihr eng- anliegendes und tief ausgeschnittenes Kleid korrespondiert mit ihrem Lippenstift. Die langen Haare umspielen ihr Dekolleté, das Kinn hebt sie selbstbewusst, ja herausfordernd in die Höhe. Mit ausgestrecktem Arm stützt sie sich an der Hauswand in der engen südfranzösischen Gasse ab, während sie den anderen Arm hinter ihrem Körper verbirgt. Es ist keine natürliche Haltung, und so stellt sich eine seltsam surreale Wirkung ein, nicht nur wegen der Unschärfe im Bildhintergrund und des beinahe psychedelischen Komplementärkontrastes rot-grün. Es könnte durchaus auch eine After-Party- Szene sein, die Newton hier visualisiert hat: Die Protagonistin geht leicht angetrunken nach Hause; hier hält sie kurz inne, doch hinter ihr verschwimmt die konkrete Wahrnehmung, und so wirkt die Szene wie aus einem David-Lynch-Film.
Newton hat mit dem deutschen Supermodel häufig zusammengearbeitet. Es begann kurioserweise mit einer Schwarz-Weiß-Werbestrecke für eine österreichische Baumarktkette. Später posierte sie für ihn häufig als Vamp. Hier inszeniert er die damals 22-jährige Schiffer als weiblichen Archetypus, gewissermaßen als Hollywood-Schauspielerin, vergleichbar mit Marilyn Monroe oder Brigitte Bardot. In diesem Bild werden die europäischen und amerikanischen Mythen des Femininen vereint.
STERN, LOS ANGELES 1980
Für den „Stern“ entstand 1980 eine Modestrecke in Los Angeles, meist mit dem gleichen Personal: zwei weibliche Modelle in Kleidern von Karl Lagerfeld, die er für Chloé entwarf, in Kombination mit fünf braun gebrannten, durchtrainierten Männern in schwarzen, knappen Badehosen. Fitnesstraining war in dieser Zeit in den USA Breitensport, die Männer wurden von Newton hier als bloße Statisten eingesetzt. So nannte er sein viertes Buch aus dem Jahr 1984, in dem auch dieses Modebild erneut veröffentlicht wurde, bezeichnenderweise „World without Men“. Denn Männer bleiben in seinen Modevisionen nur Beiwerk, während sie in seinem Porträtwerk, das in dieser Zeit parallel vor allem in und um Hollywood beginnt, auch als Persönlichkeiten eine tragende Rolle übernehmen.
Die Location für das Modeshooting ist eine kalifornische Villa mit Pool, Skulpturen und Säulen, die wie eine Filmkulisse wirkt, und die Männer scheinen einem Gladiatorenfilm entsprungen. Die beiden Frauen, jeweils links und rechts am Rand des querformatigen Bildes, flirten mit ihnen. Einer lehnt sich selbstverliebt an eine weiße, lebensgroße Aktskulptur in der Bildmitte, die einen formalen Kontrast zum dunklen Feld, dem Einblick ins Innere der Villa, bildet. Die Plastik ist eine schlechte Kopie oder Transformation der Antike, vermutlich noch nicht einmal aus Marmor, und ihre Nacktheit kontrastiert mit den dunklen Kostümen der Models. Die Frauen zeigen durch bewusste Ausfallschritte ziemlich viel Bein, eine subtile Verführungsgeste.
In einem anderen Bild dieser Modeserie steht eine der beiden Frauen im kurzen Rock, leicht breitbeinig an der geöffneten Tür des gleichen Hauses. Die fünf halb nackten Männer kommen dem Modell langsam über eine Steintreppe entgegen. Vergleichbare Szenen finden wir in allen Gemäldegalerien dieser Welt: Geöffnete Mieder, Fenster oder Türen verweisen dort auf die verlorene Unschuld der Protagonistin. Hier inszeniert Newton die Frau jedoch als aktiven Part des erotischen Spiels; sie lockt die Männer lächelnd ins Haus. Eigentlich geht es in diesen Bildern, das dürfen wir nie vergessen, um die Visualisierung eines Lagerfeld-Kleides – doch die eingebaute Parallelgeschichte verläuft wie immer bei Newton im erweiterten Assoziationsrahmen.
ELIZABETH TAYLOR,
LOS ANGELES 1985
Porträts wie dieses von Elizabeth Taylor liebt der Zeitschriftenmarkt: So stellen sich viele Fans ihre Hollywood-Lieblinge vor, ein bisschen stilisiert vielleicht, aber immer schön zurechtgemacht und umgeben von luxuriösestem Beiwerk. Helmut Newton hat diese Wünsche perfekt bedient, aber immer auch etwas Salz in die Suppe gestreut. Die Taylor liegt hier elegant, beinahe arrogant, mit gehobenem Kinn auf einer gepolsterten Liege in ihrem Garten in Los Angeles. Die damals 53-jährige oscarprämierte Schauspielerin konnte 1985 schon auf eine vier Dekaden währende Hollywood-Karriere zurückblicken, doch sie arbeitete zu dem Zeitpunkt so gut wie nicht mehr für das Kino und die großen Studios. Ihre Prominenz nutzte sie stattdessen unter anderem als Unterstützerin der Aids-Forschung. Und so zeigt Helmut Newton uns die Schauspielerin auch als eine Filmfigur von gestern, mit müden Augen, eine Spur gelangweilt von Geld und Ruhm, völlig anders, viel unnahbarer, als er beispielsweise Catherine Deneuve in Paris porträtierte. Die Geste ihrer linken Hand und der ganze Stil dieses Celebrity-Shots wirken etwas altmodisch, wie eine Szene aus der großen alten Zeit Hollywoods in den 1930er-Jahren, ein weißer Pelz dient ihr als zusätzliche Decke. Ihre Präsenz vor der Kamera scheint dennoch ungebrochen, und so verwandelt sie selbst die schlichte Gartenszene in eine geradezu klassische Bühnensituation. Zu sehen in „America 1970s/80s“ ab 9. Oktober.
BRITISH VOGUE, 1966
Helmut Newton und die „Vogue“ führten eine wechselhafte, aber stets intensive Beziehung. In Melbourne arbeitete er ab 1956 unter anderem für die australische „Vogue“, einer Beilage der britischen Ausgabe. Im gleichen Jahr brach er nach London auf, um dort einen festen Vertrag für ein Jahr für das britische Mutterheft unter Chefredakteurin Audrey Withers abzuschließen. Doch die Anfangseuphorie verflog rasch und er löste den Vertrag vor dem eigentlichen Ende. Mit June floh er geradezu aus London, zunächst nach Paris, mit Abstechern nach Berlin, wo er für die Zeitschrift „Constanze“ fotografierte. 1959 dann reiste er allein zurück nach Melbourne, während seine Frau ein halbes Jahr in London für die BBC arbeitete. Doch in den 1960er-Jahren, als Helmut Newton wieder in Paris lebte, belieferte er auch die britische „Vogue“ wieder regelmäßig mit Aufnahmen, unter anderem mit dieser Modefotografie. Da das Steuer des Autos rechts – also im Bild links – liegt, handelt es sich wohl um einen englischen Autotyp, in dem die beiden Modelle sitzen beziehungsweise stehen. Sie tragen Bademode und Sonnenbrillen, und der geometrische Hell-Dunkel-Kontrast der Mode wird im Hell-Dunkel der gesamten Aufnahme geradezu verdoppelt. Das Bild wirkt wie eine Nachtaufnahme: Die Autoscheinwerfer sind angeschaltet, die beiden Protagonistinnen im offenen Fonds des Sportwagens sind von einem Scheinwerfer hell erleuchtet, der von außen auf sie gerichtet ist. Die Frauen tragen trotz der vermeintlichen Abendstunde ihre Sonnenbrillen. So baut Newton einen interessanten formalen Dualismus zwischen den dunklen Brillenformen und den hellen Lampen am unteren Bildrand ein. Sie könnten auf dem Weg von der englischen Küste zurück zum Dinner in London sein, Bademode wird zur Abendmode. Damit kann man sich auch in den schicken Restaurants in Mayfair sehen lassen. Newtons cooles Editorial-Bild entstand Mitte der 1960er-Jahre – der Zeit von David Bailey, von Antonionis Film „Blow Up“, von Twiggy und „Swinging London“. Es gliedert sich nahtlos in diese Epoche ein.
AMICA, MILAN 1982
Helmut Newton liebte luxuriöse Hotels und inszenierte Dutzende seiner Aufnahmen dort, so auch dieses Modebild für die italienische „Amica“ im Jahr 1982. Die beiden Modelle in schwarzen, knielangen Cocktail-Kleidern befinden sich in einem schlichen, eleganten Raum. Eine sitzt auf einem roten Sofa und öffnet oder schließt den Riemen der hochhackigen Sandale der anderen Frau, die neben ihr steht und den Fuß mit dem Schuh herausfordernd auf das Polster stellt. Ihre schlanken Beine sind muskulös, was Helmut Newton häufig mit gesetztem Licht herausarbeitete. In einem Film, den June Newton 1995 über ihren Mann machte, sehen wir eine Diskussion der beiden im Pariser Labor des Fotografen. Es geht um ein lebensgroßes Aktbild in zwei Versionen und dabei um die Sichtbarkeit der Beinmuskulatur. Wie wir dort erfahren, scheint dieser Aspekt – als Symbol für Kraft und Macht bei Frauen – für den Fotografen von größter Wichtigkeit gewesen zu sein, und weniger die vordergründige Erotik der Nacktheit.
Mit Arielle (links) hat Newton in jenen Jahren oft zusammengearbeitet. Sie posierte für Aktaufnahmen und trägt den gleichen Haarschnitt wie June Newton damals. Diese Aufnahme entstand nur ein Jahr nach den berühmten Bildserien „Naked and Dressed“ und „Big Nudes“, die den Übergang von der Mode- zur Aktfotografie markierten. Hier werden wir Zeuge einer freundschaftlichen Geste oder einer intimen Situation, je nachdem wie man die Szene deutet. Diese Ambivalenz ist eine Spezialität innerhalb Newtons Werk seit den 70er-Jahren, als er seine weiblichen Modelle davon überzeugen konnte, sich vor der Kamera zu umarmen oder gar zu küssen, was seinerzeit eine Herausforderung für die Magazinmacher und ihr Publikum war. Spätestens seit jenen Inszenierungen hatte sich Newton die fragwürdige Auszeichnung eines „naughty boy“ verdient. Wie der von ihm bewunderte Brassaï, der im Paris der 1930er-Jahre lesbische Paare in den Cafés porträtierte, spielte Helmut Newton später gelegentlich mit der Illusion gleichgeschlechtlicher Intimität und Sinnlichkeit – hier wohlgemerkt erneut für eine Modeaufnahme.
FRENCH VOGUE, RUE AUBRIOT, PARIS 1975
Aufgenommen hat Helmut Newton die Nachtszene in der titelgebenden Gasse im Pariser Stadtteil Marais, wo er auch selbst lebte; im Bildhintergrund befindet sich sein Wohnhaus. Das Modell mit den zurückgegelten dunklen Haaren trägt einen Hosenanzug von Yves Saint Laurent, eine für damalige Zeiten durchaus revolutionäre Modesetzung, die in Newtons Bild ihre adäquate Visualisierung erfährt. Auch hier schwingt eine gewisse Ambivalenz mit, denn das Marais der 1970er-Jahre war des Nachts eine Gegend, in der sich viele Prostituierte präsentierten – und so ist die unnahbar wirkende Dargestellte auf Newtons Aufnahme einerseits eine sehr moderne, mode- und selbstbewusste Frau, andererseits fragt sich der Betrachter möglicherweise, auf wen sie dort eigentlich, allein, rauchend, wartet. Newton rekurrierte mit dieser hintergründigen Inszenierung vermutlich auch auf die Berlin-Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, auf denen die Kokotten nachts rauchend am Pariser Platz auf ihre Kunden warteten.
SELF-PORTRAIT IN YVA’S STUDIO, BERLIN 1936
Helmut Newton fotografierte sich 16-jährig im Studio der berühmten Berliner Porträt- und Modefotografin Yva, der er zwischen 1936 und 1938 assistierte. Das Studio befand sich in der Schlüterstraße, einer großbürgerlichen Gegend. Für jüdische Fotografen und Fotografinnen begann damals eine schwierige und gefährliche Zeit; es gab Berufsverbot, viele kamen später in den Konzentrationslagern um, unter ihnen auch Yva.
Newton wählte für seine Selbstdarstellung den Laborkittel, betonte insofern die ihm zugewiesene Rolle als Assistent, der für Retusche, Filmentwicklung und Dunkelkammerarbeit zuständig ist. Andererseits lehnt er ziemlich selbstbewusst an einer großen Studiolampe. Alles lag noch vor ihm; der Blick ist in die Ferne, in die Zukunft gerichtet. Der Scheinwerfer ist aus, doch ein anderer scheint auf den jungen Mann gerichtet zu sein. Es ist ein filmisches Licht, mit dem auch der Fonds strukturiert wird. Newton befindet sich mit der hellen Jacke vor dem dunklen Studiohintergrund in der linken Bildhälfte, während die dunkle Lampe vor einem hellen Hintergrund steht: Solche spannenden, den Raum konstituierenden Lichtkontraste hat er später immer wieder verwendet. In einem anderen Selbstporträt aus dem gleichen Jahr, am selben Ort und in ähnlicher Bildkomposition entstanden, inszenierte sich Newton wiederum mit Hut und Mantel, mit einer Kamera im Anschlag – wie ein rasender Reporter im Stile von Egon Erwin Kisch, den Newton bewunderte. Nur kurze Zeit später, nachdem er 1938 aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze Berlin verlassen musste und mit dem Schiff in Singapur angekommen war, konnte er sich für die dortige „Straits Times“ als Reportagefotograf beweisen. Doch er lieferte die geforderten Bilder nicht schnell genug ab und scheiterte das erste und einzige Mal mit seinem Wunsch, ein berühmter Fotograf zu werden.
Die Aufnahmen sind Teil der Open-Air-Ausstellung „HELMUT NEWTON ONE HUNDRED“, die vom 26. Oktober bis 8. November in der Köpenicker Straße 70 in Berlin stattfindet. Das Foto von Liz Taylor und die Szene am Pool sind der Ausstellung „America 1970s/80s“ entnommen (9. Oktober bis 16. Mai 2021) in der Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, 10623 Berlin. www.helmutnewton.com