Warum Alessandro Micheles dritte High-Jewelry-Kollektion für Gucci unbedingt in Rom gezeigt werden musste.

Der Maestro selbst war zwar nicht anwesend, aber er war gefühlt überall. Schon die Liegenschaft, in der Gucci eine Woche lang Kunden und Presse empfing, war klasse. Die Villa Albani Torlonia ist eine Privatresidenz, für die Pracht fast schon ein zu bescheidenes Wort ist. Der Palast aus dem 18. Jahrhundert versteckt sich hinter einem hohen Heckenlabyrinth. Wachleute müssen den Fahrern mit den Gästen den richtigen Weg weisen, wollen sie sich nicht darin verirren. Das Anwesen beherbergt eine der bedeutendsten Antiken-Sammlungen der Welt und ist umrahmt von einem acht Hektar großen Garten – und das mitten in Rom. Fotografieren strengstens verboten. Eine passendere Bühne für den dritten Akt seines maximalen „Hortus Deliciarum“ kann es kaum geben. Michele beherrscht die große Geste und die Üppigkeit. In der Mode ohnehin und in der High Jewelry erst recht. Die Colliers, Armbänder oder Ringe – kaum ein Stück, das nicht mit einem Prachtstein von mindestens 80 Karat wuchert. Der größte ist ein violettfarbener Morganit von sagenhaften 237,94 Karat an einem Armband, das das Wort ROMA in Diamanten buchstabiert. Rom besuchen, heißt den Designer begreifen: Diese barocke Sucht nach Ornament, die einen in jeder Kirche, an jedem Portikus in Form eines Löwenkopf-Türklopfers anbrüllt und das ewige Streben nach Schönheit und Grandezza, wo die Grenze zwischen Kunst und Kitsch mit jeder Epoche neu verhandelt wird.

Michele wurde 1972 in Rom geboren, seine Mutter arbeitete in der Cinecittà, sein Vater bei Alitalia, aber im Herzen war er ein langhaariger, bärtiger Künstler wie sein Sohn heute: einer, der in seiner Freizeit als Bildhauer tätig war und aus Prinzip keine Uh ren trug. Ein spiritueller Schamane, wie der Sohn sagt. Über die Filmstars, von denen seine Mutter erzählte und die Popstars der Achtzigerjahre, die er in Musikvideos im Fernsehen sah, kam er erstmals mit der Macht der Mode in Berührung. Er wollte erst Kostümbildner werden und träumt noch heute davon, irgendwann mal einen Kinofilm zu drehen, eine Liebesgeschichte im Fellini-Stil. Über sein Kostümdesignstudium in Rom fasste er schließlich in der Accessoire-Abteilung von Fendi Fuß, wo er mit Karl Lagerfeld und Silvia Venturini Fendi arbeitete und seine persönliche Liebe zum Schmuck entdeckte, bis er 2002 nach Florenz zu Gucci wechselte und 2015 zum globalen Kreativdirektor der Marke aufstieg. Die Kollektion versteht sich als eine Ode an seine Heimatstadt, seit dem 18. Jahrhundert die ultimative Destination für jede Grandtour, jene obligatorische Bildungs- und Inspirationsreise von Aristokraten, Künstlern und Intellektuellen. Micheles Grandtour des Schmucks beginnt in Rom, führt über Indien, den Südpazifik (mit Colliers aus kirschgroßen Perlen!) bis ins moderne New York.






Für das erste Kapitel stellte der Designer, ein besessener Antiquitätensammler, seine eigenen Mikromosaiken aus dem 19. Jahrhundert zur Verfügung: Ovale Miniaturen berühmter römischer Monumente, die als leichte Souvenirs von den Grandtour-Reisenden mitgenommen wurden ähnlich wie heute Kühlschrank-Magneten. Auf ihnen sind das Kolosseum, die Piazza San Pietro mit den Bernini-Kolonnaden, das Pantheon oder das Forum Romanum dargestellt. Diese von Christie’s geprüft echten, historischen Andenken umrahmt er mit filigranen Motiven aus funkelnden Peridoten, gelben Beryllen, roten und rosa Spinellen, blauem Topas, Feueropalen, rosa Turmalinen und farbigen Diamanten. Die Reise endet in den esoterischen 70er-Jahren, in denen Amulette Kult wurden: Ein besonders außergewöhnliches Stück davon ist eine Kette aus Weißgold und Diamanten, mit einem flach geschliffenen, sechseckigen Smaragd-Anhänger von 172,4 Karat, der von rot emaillierten Muscheln eingefasst wird. Bei den traditionellen Schmuckhäusern würde dieser Hochkaräter wegen seiner vielen Inklusionen wohl aussortiert, für Micheles Vision einer zeitgenössischen Haute Joaillerie ist dieser Makel jedoch ein Qualitätsmerkmal, ein Beweis seiner Einzigartigkeit und keine Verlegenheitslösung. In den hoch lukrativen Markt drängen schließlich immer mehr Modehäuser, nach Louis Vuitton und Gucci zuletzt auch Balmain. Die Nachfrage steigt weltweit, aber die begehrten, makellosen Hochkaräter werden immer weniger, die Minen leerer. Für Neulinge wird es daher immer schwieriger, in dem umkämpften, in teils jahrhundertealten Seilschaften verflochtenen Handel um die besten Steine Fuß zu fassen. Vom Malus zum Bonus beim Nonkonformisten Michele macht diese Umdeutung Sinn.







