Live from Hollywood

Gucci goes Hollywood

Es ist ein wichtiges Jahr für Gucci. Die Marke feiert 100. Jubiläum, der Film „House of Gucci“ mit Lady Gaga und Adam Driver wird mit Sehnsucht erwartet. Eigentlich, so könnte man denken, ist es doch komisch, dass das Haus nun ausgerechnet in Los Angeles seine erste Live-Show seit Beginn der Pandemie vorstellt, und dann noch eine Kollektion zeigt, die weniger mit italienischer Heritage und mehr mit dem pop- und filmkulturellen Erbe Amerikas zu tun hat.

Doch in Gucci steckt nicht nur 100 Jahre Markengeschichte, sondern das Herzblut von Alessandro Michele: Ein Designer, der ursprünglich Kostümbildner werden wollte, dessen Mutter einst als Assistentin in einer Produktionsfirma arbeitete. „Die Filmwelt begeistert mich einfach“, sagte Michele auf einer Pressekonferenz nach seiner Modenschau, die Open Air mitten auf dem Hollywood Boulevard stattfand.

 

Die Sterne von Britney Spears oder Rock Hudson pflasterten den Bürgersteig, Superstars wie Diane Keaton oder Billie Eilish posierten für die Fotografen. Überall funkelten Gucci-Logos aus Glitzersteinen, auf Mänteln, Anzügen und Sonnenbrillen. In Los Angeles wird Bling Bling nicht verpönt sondern umarmt, und so fügt sich die extravagante Mode des Hauses nahtlos in eine Szene aus Superreichen und Superberühmten, und allen, die es noch werden wollen.

Doch Michele interessiert sich nicht für Oberflächlichkeiten, sondern für stilistische Codes, was sie bedeuten und wie ihre Bedeutung von nachfolgenden Generationen neu definiert wird. Seine Filmgöttinnen auf dem Laufsteg könnten mit ihren bodenlangen glitzernden Kleidern mit den rüschigen Säumen direkt aus einem Film Noir-Streife entsprungen sein, doch Michele will hier keinen Film drehen, sondern eine neue Realität visualisieren.

„Mein Hollywood findet auf der Straße statt“, sagt er.

Ikonische, vielleicht sogar mit Klischees aufgeladenen Teile, würden sich mit der Zeit stets in etwas anderes entwickeln. Beispiel Cowboy-Hüte, von denen zahlreiche in der Schau zu sehen waren. „Ich sehe heute Cowboy-Hüte in den Clubs von Los Angeles. Das hat mit Western nichts mehr zu tun.“ Sondern mit dem Mut junger Menschen, aus bestehenden Klassikern ihr eigenes Ding zu machen. Eben das tut auch Michele: Er nimmt sich das Hawaii-Hemd vor, den Frack, den (Falsch-)Pelzmantel.

Dass jede Kollektion mehr aus einzelnen Charakteren denn aus einer kohärenten Serie aus Kleidungsstücken zu bestehen scheint gehört seit jeher zu Micheles Handschrift und es ist eine Ästhetik, die gut in diese Stadt passt. In Los Angeles begegnet man Superstars ebenso wie Sonderlingen, alle haben hier ihren Platz. Ähnlich präsentiert sich die Marke Gucci: „Die Art Menschheit, wie ich sie schätze, ist unglaublich divers“, sagte Michele. Und mutig: Der Designer experimentierte mit Fetisch-inspirierter Mode, Strapsen und Dessous, denn was wären Filme ohne Verführung und Versuchung? Auch die neue Gucci-Kollektion ist voll davon und dabei sehr tragbar– so auffällig sie auf den ersten Blick scheint, so leicht lassen sich viele Outfits in einzelne Mainstream-freundliche Stücke auseinandernehmen. Der Traum von Hollywood geht nur für wenige in Erfüllung, aber seine Geschichten sind für alle zugänglich.

Text
Silvia Ihring